Mira Birkholz

Dolúrna


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Und die Töpfchen hübsch aufgestellt? Ups, was ist denn das? Lauter Scherben! Hat mein Hasel-Äuglein einen Wutanfall bekommen?“

      „Den bekomme ich gleich, wenn du nicht sofort verschwindest!“

      Hazel hob eine Scherbe auf und warf damit nach Jamie.

      Caitlin stand wie angewurzelt und strahlte ihn an.

      „Sieh‘ doch nur“, rief Hazel, „Caitlin hat viel schönere Augen als ich! Das sind echte Himmels-Äuglein!“

      Caitlin wurde rot.

      „Wie ein Engel sieht sie aus! Ist dir das noch nie aufgefallen?“

      Jamie drehte sich um und musterte Caitlin. Er grinste über das ganze Gesicht.

      „Engelchen und Teufelchen!“, spottete er und suchte das Weite, bevor ihn Hazels nächste Scherbe treffen konnte.

      „Ist er nicht süß?!“, schwärmte Caitlin.

      „Na ja“, überlegte Hazel, „ein bisschen schon. Aber keine Angst, Caitlin, Mr. Blue-Eye bleibt mein Traummann!“

      2 Ankunft in Portmullen

      Samstag, 28. August 2010 – Cottage am Rande der Stadt

      Die Abendsonne tauchte die Gipfel der fernen Berge in ein rotgoldenes Licht und ließ das Weidegras hinter dem Haus frischgrün leuchten. Am Bach beugte sich die Krone einer windzerzausten Erle über das Wasser, als wollte sie im Abendlicht ihr Spiegelbild betrachten, während ihr langer Schatten sich auf der Wiese ausbreitete wie ein überdimensionales Wesen aus einer anderen Welt.

      Connor hob die Hand über die Augen, damit ihn die untergehende Sonne nicht blendete, und schritt barfuß durch das feuchte Gras, um zu einer Reihe von Sträuchern zu gelangen, die sein Land von dem seiner Nachbarn trennte. Wie Connor vermutet hatte, handelte es sich um Haselnusssträucher. Er lächelte. Natürlich waren es Haselnusssträucher. An den Zweigen erkannte er bereits jetzt im Spätsommer die Fruchthüllen mit ihren kleinen hellgrünen Nüssen darin. Sanft strich Connor mit dem Zeigefinger über ihre noch weich behaarte Schale. Erneut wandte er sich der Sonne zu und griff nach dem goldenen Amulett, das er an einem schwarzen Lederband um den Hals trug. Connor streckte es der Sonne entgegen und sprach fremdartige Worte, die Mrs. MacFarlane nicht verstehen konnte.

      Ein seltsamer Mann. Das hatte sie ja gleich gewusst, doch Matthew hatte ihr nicht glauben wollen. Hier war der Beweis! Anstatt sich im neuen Heim häuslich einzurichten, lief er ohne Schuhe ziellos über die Wiese, starrte in den Himmel, befühlte Gebüsche und sprach nun zu allem Überfluss auch noch fremde Worte in die Luft. Ja, er führte Selbstgespräche! Und etwas Glänzendes hielt er in die Sonne, so dass ihr Schein sich in seinem Gesicht spiegelte. Seltsame Muster schimmerten auf seiner Haut und ließen ihn wie vergoldet erscheinen.

      Mrs. MacFarlane rieb sich die Arme. Sie fröstelte in ihrer Kittelschürze. Wie gut, dass der neue Nachbar so vertieft war in sein merkwürdiges Spiel. Dadurch hatte er sie hinter den dicht belaubten Büschen nicht bemerkt. Das musste sie unbedingt Matthew erzählen! Und wehe, er glaubte ihr wieder nicht. Doch vorerst musste sie hier ausharren, denn der Fremde durfte sie unter keinen Umständen bemerken, während sie zum Haus zurückging. Und verpassen wollte sie auch nichts.

      Connor hielt seine Augen geschlossen und spürte den warmen Widerschein der Sonne auf seiner Stirn. Ohne nachzudenken setzte er einen Fuß vor den anderen und bewegte sich langsam vorwärts. Dabei streckte er weiterhin das Amulett in das rotgoldene Licht.

      Vielleicht ist er betrunken, überlegte Mrs. MacFarlane. Oder er hat Drogen genommen. In wirren Schlangenlinien stakste er durch das Gras wie ein Storch, der zu viel Whisky getrunken hatte. Insgeheim musste sie bei diesem Gedanken lachen.

      Plötzlich blieb er stehen. Langsam öffnete er die Augen und sah sich um. Connor stand nun am Ende seines Landes, nah am Bach, der sich hier wie ein Kind durch das Gras schlängelte, um als ausgewachsener Mann in den Portmullen Loch zu münden. Vermutlich lag unweit von hier seine Quelle. Connor war zuversichtlich. Das war der richtige Ort. Eine Markierung brauchte er nicht zu hinterlassen. Blind würde er ihn wiederfinden. Er steckte das Amulett unter sein kariertes Flanellhemd und nahm nun den Hunger wahr, der ihn zum Haus zurückführte. Doch was war das? Der Schrei eines Vogels? Connor blickte um sich. Nur das Rascheln des Haselnusslaubes im stetigen Wind war zu vernehmen. Seltsam, überlegte er. Connor hätte schwören können, dass es sich um den Laut eines Menschen gehandelt hatte.

      Plötzlich hörte er eine dunkle Männerstimme rufen.

      „Mary! Mary, wo bist du denn?!“

      Keine Antwort.

      „Mary!“, erklang die Stimme nun näher an Connors Ohr.

      „Mary, ich hab‘ Hunger! Komm‘ rein!“

      Da erblickte Mr. MacFarlane den neuen Nachbarn.

      „Oh, guten Abend, Mr. Wood! Sie sind doch Mr. Wood, nicht wahr?“

      Connor wendete den Kopf und sah einen kleinen rundlichen Mann mit zerschlissener grüner Cordhose und grauem Hemd, das ihm vorne aus der Hose gerutscht war. Darunter lugte ein strammer Kugelbauch hervor. Auf dem Kopf trug der Mann eine alte Schiebermütze aus kariertem Tweed, und sein Gesicht war rot gefärbt von Wind und Wetter. Vielleicht auch vom Whisky. Weiße Bartstoppeln wirkten wie bereiftes Gras in einer winterlichen Moorlandschaft. Mit großen grünen Gummistiefeln kam er mühsam auf Connor zugestapft, um ihm über den Weidezaun eine grobe Hand zu reichen.

      „Willkommen auf Kintyre!“, begrüßte Mr. MacFarlane ihn freundlich, kletterte ächzend über den Maschendraht und erklärte: „Ich bin Matthew.“

      „Danke, Matthew, ich bin Connor.“

      „Connor, hast du meine Frau gesehen? Im Haus ist sie nicht. Bleibt also nur der Garten“, schlussfolgerte Matthew und fügte verschwörerisch hinzu: „Markttag ist ja erst übermorgen!“

      Connor schmunzelte. Das hatten wohl alle Märkte gemeinsam. Alte tratschende Dorffrauen, die den halben Tag mit Geschwätz über Nachbarn und vermeintliche Freunde auf dem Wochenmarkt zubrachten.

      „Nein“, erwiderte er, „ich habe sie nicht gesehen. Aber Moment, ich habe etwas gehört!“

      Plötzlich raschelte der Wind heftig in den Haselnusssträuchern, und Mary MacFarlane trat hervor. Mit den Händen wischte sie abgerissene Blätter von der Kittelschürze fort und strich verlegen ihren Rock glatt. Dann richtete sie ihre grauen Haare, in denen kleine Zweige steckten wie der Kopfschmuck einer Geisha.

      „Mary!“, rief Matthew überrascht. „Wo hast du dich denn herumgetrieben?!“

      Sein schallendes Gelächter drang mit dem Wind bis hinüber zur Bucht von Portmullen.

      Böse funkelte sie ihren Ehemann an.

      „Ich habe nachgesehen“, zischte sie, „ob die Nüsse schon reif sind.“

      „Aber Mary“, wunderte sich Matthew, „wir haben August!“

      „Na und“, erwiderte sie schnippisch, „manchmal spielt die Natur eben verrückt.“

      „Solange du nicht verrücktspielst!“, lachte Matthew und zeigte mit dem Finger auf einen dichtbelaubten Zweig, der vorne in Marys Haussandale steckte.

      „Hast du denn alles gesehen, was du wolltest?“

      „Ich habe nur nach den Nüssen gesehen!“, behauptete sie trotzig und warf ihren Kopf in den Nacken. Dabei sah sie mürrisch an Matthew vorbei und begegnete ungewollt Connors Blick, der stumm die Szene verfolgt hatte.

      „Hallo, Mrs., äh, Mary! Ich bin Connor. Connor Wood“, stellte er sich freundschaftlich vor und streckte ihr die rechte Hand entgegen.

      „Guten Tag, Mr. Wood“, sprach sie steif und verschränkte die nackten Arme vor der