Mira Birkholz

Dolúrna


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an, und Lucy schrak zusammen. Sie schlug mit der Hand vor ihre Brust und drehte sich herum.

      „Hast du mich erschreckt!“, prustete sie und strich verlegen ihr Haar hinter das Ohr. Sachte glitt die braune Strähne zurück und streichelte mit der hervorstehenden Spitze ihre gerötete Wange.

      „Das war nicht meine Absicht.“

      Langsam fing Lucy sich wieder.

      „Was war dann deine Absicht?“, fragte sie dennoch verunsichert.

      „Ich wollte dir nur Gesellschaft leisten“, erklärte Connor und fügte schmunzelnd hinzu, „und dir Rede und Antwort stehen!“

      „Keine Sorge, das brauchst du bei mir nicht. Ich lasse mir keine Geschichten erzählen, die aus örtlichen Märchenbüchern stammen.“

      Lucy stockte und blickte hastig um sich. Dann fuhr sie leise fort.

      „Meredith ist da anders. Sie lässt sich vom Gerede anderer Leute leicht beeindrucken und glaubt am liebsten an das Böse im Menschen.“

      „Das klingt, als wäre sie nicht deine beste Freundin!“, stellte Connor trocken fest.

      „Das kann man wohl sagen!“, entfuhr es der jungen Lehrerin ungezügelt.

      „Als ich hier vor vier Jahren anfing, hat sie behauptet, ich hätte mein Examen nur mit Hilfe besonderer Unterstützung meines Professors bestanden! Dabei hat sie ihre Augenbrauen hochgezogen, als hätte sie persönlich meiner „besonderen“ Prüfung beigewohnt!“, ereiferte Lucy sich.

      „Nichts als schmutzige Unterstellungen waren das damals! Ich glaube...“

      Erneut blickte Lucy forschend in alle Richtungen, um sich zu vergewissern, dass niemand sie belauschte.

      „Ich glaube“, fuhr sie flüsternd fort, „Mrs. Montgomery muss sich vor Mr. Guthrie immer als unfehlbar darstellen, weil sie nicht die pädagogischen Fähigkeiten besitzt, die er von ihr erwartet.“

      „Puh, das sind ja Offenbarungen an meinem ersten Schultag! Wie soll ich mir denn nun mein eigenes Bild von der Kollegin machen?!“ Connor grinste.

      „Ich glaube“, kicherte Lucy verschwörerisch, „das hast du schon vor der ersten Stunde getan!“

      „Wie kommst du darauf?“

      „Ich habe dich beobachtet. Deine Augen!“

      „Na, da muss ich wohl in Zukunft eine dunkle Brille aufsetzen!“, scherzte Connor.

      „Wenn ich so leicht zu durchschauen bin!“

      Erstaunt blickte Lucy ihn an. Hatte er wirklich etwas zu verbergen, so wie sie alle behaupteten? Hoffentlich würde er ihre Offenheit nicht zu seinen Gunsten ausnutzen! Ja, war es womöglich Dummheit gewesen, ihm ihre geheimsten Vermutungen anzuvertrauen? Warum nur vertraute sie ihm so blind? Sie kannte diesen Mann doch gar nicht! Welche Fähigkeiten besaß er? Na, das würde sie noch herausfinden.

      Plötzlich kam ein Ball geflogen, und Connor konnte ihn gerade noch auffangen. Dem Ball folgte fast ebenso schnell der kleine Tom aus seiner Klasse, der ihn vorhin nach seiner Herkunft gefragt hatte. Seine Wangen waren knallrot vom Fußball spielen, und atemlos fragte er Connor: „Krieg‘ ich ihn wieder?“

      „Na klar“, antwortete dieser, „allerdings musst du vorher noch ein Wort sagen!“

      Lässig drehte Connor den Fußball auf der Fingerspitze und wartete auf Toms Antwort.

      „Äh“, begann er zu überlegen. „Sie meinen den Zauberspruch?“

      Mit leuchtenden Augen sah er hinauf zu seinem großen Lehrer. Connor lachte.

      „Nein, Tom, ein Wort reicht schon.“

      „Äm, Simsalabim?“

      Nun lachte auch Lucy, die zwar die Zusammenhänge nicht begriff, sich aber über Toms kleine Stirn amüsierte, die sich in tiefe Denkfalten gelegt hatte.

      „Schade, Tom, es kommt kein Hase aus dem Ball gesprungen!“

      „Ach, bitte, Mr. Wood!“, bettelte Tom nun ungeduldig.

      „Ja, bravo!“, rief Connor. „Das war das richtige Zauberwort!“

      Und bevor Tom sich versah, war sein Lehrer mit dem Ball in der Hand zum Rasenplatz gelaufen, wo er einen Einwurf machte, von dem die Kinder ihren Eltern begeistert berichten würden.

      „Spielen Sie doch mit, Mr. Wood!“, rief Jason übermütig, und fast wäre Connor seiner Bitte gefolgt. Doch dann besann er sich seines Amtes und Matthews Worte, aus denen er schloss, dass er als „Fremder“ unter ständiger Beobachtung stand. Und tatsächlich erblickte Connor Mrs. Montgomery, die sich zu der staunenden Lucy gesellt hatte und argwöhnisch sein Treiben überwachte.

      „Ihr müsst leider ohne mich spielen“, erklärte er den enttäuschten Jungen und kehrte gemäßigten Schrittes auf den Schulhof zurück.

      „Mr. Wood“, erklang sofort Mrs. Montgomerys nasale Stimme, „Sie sind an dieser Schule, um die Kinder Disziplin zu lehren und nicht, um sie zu belustigen! Wie sollen sie denn Respekt erlernen, wenn ihr Lehrer wie ein wild gewordener Stier über das Schulgelände rennt und mit ihnen Ball spielt?!“

      Das Wort „Ball“ betonte sie mit gerümpfter Nase, gerade so, als handelte es sich um unangenehm riechende Ausscheidungen eben dieses Stiers, mit dem sie Connor verglichen hatte.

      „Da haben Sie vollkommen Recht, Mrs. Montgomery“, stimmte Connor ihr zu, „aber haben Sie nicht auch manchmal das Gefühl, Sie müssten zu Ihren Wurzeln zurückkehren und noch einmal Kind sein? Mit allem, was dazu gehört. Neugier, Übermut, Unbefangenheit und Leichtsinn. Für alles offen sein, was das Leben einem bietet! Risiken eingehen, Abenteuer erleben und nicht an das Morgen denken!“

      Meredith stand mit offenem Mund auf dem Schulhof. Ihr sorgfältig toupiertes, blondes Haar rührte sich nicht im Wind, denn der dichte Sprühnebel von Haarspray hatte ihm jede Lebendigkeit genommen. Oberhalb ihrer Augen trug Meredith zwei aufgemalte braune Halbmonde, mit denen sie die spärlich ausgeprägten Augenbrauen zu betonen gedachte. Leider wirkten sie aber eher wie traurige Münder zweier Clowns, bemerkte Connor, und verliehen ihr ein maskenhaftes Aussehen. Auch den dazugehörigen Augen fehlte jede Heiterkeit. Starr waren sie auf Connor gerichtet und sprachen von Verachtung. Nervös zuckte der Muskel neben ihrem rechten Nasenflügel. ‚Musculus levator labii superioris alaeque nasi‘ schoss es Connor in den Kopf. Ein Muskel, den das Säugetier zum Zähnefletschen benötigte. Wäre Mrs. Montgomery ein Hund, überlegte Connor, würde sie ihn in diesem Moment anknurren. Vielleicht steckte in ihr die Seele eines Rottweilers oder eines Dobermanns! Möglicherweise erlitt der arme Hund die Strafe, in diesem Körper weiterleben zu müssen. Da hätte Connor auch geknurrt! Fast musste er lachen, riss sich aber zusammen. Diese Sorte Mensch, die Meredith verkörperte, war genau Connors Zielgruppe, und er hoffte stark, dass sein Vorhaben endlich gelingen mochte. Mit dieser Verachtung, mit diesen Vorurteilen würde niemals Frieden herrschen. Vielleicht befand er sich exakt am richtigen Ort für seine Mission, denn in Portmullen schien sich eine massive Front von intoleranten und konfrontationsbereiten Mitmenschen aufgebaut zu haben. Das würde seine Pläne zwar erheblich erschweren, aber möglicherweise ein positives Ergebnis forcieren. Hier bestand wirklich erhöhter Handlungsbedarf!

      Nachdem Mrs. Montgomery sich von Connors unglaublicher Äußerung erholt hatte, stammelte sie schließlich: „Mr. Wood, Sie sind ein Kindskopf! Ich weiß nicht, ob Ihr Verhalten und Ihre Ideologie den Erwartungen unserer Schule gerecht werden!“

      In diesem Moment ertönte das Klingelzeichen, das die nächste Stunde ankündigte, und Lucy ging widerwillig ins Schulgebäude zurück. Jedoch nicht, ohne sich noch einmal nach Connor umzudrehen. Welch ein außergewöhnlicher Mann.

      „Mrs. Montgomery“, sprach dieser nun ruhig, obwohl die Kinder bereits den Schulhof verließen, „es geht nicht um meine Ideologie. Ich möchte die Kinder lediglich zum Lernen motivieren. Und