Mira Birkholz

Dolúrna


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Wollte er ihr eine Freundin verheimlichen? Warum wollte er sein Rätsel vor ihr nicht aufdecken? Ach, vielleicht war dieser Auftraggeber auch völlig belanglos, beruhigte Hazel sich selbst.

      „Wie auch immer, hier haben wir Eichen. Quercus robur in 16/18, hm. Schau‘ mal, diese würde doch passen, oder?“

      „Ja, sie sieht gut aus, kräftig gewachsen und ordentlich belaubt.“

      „Du hast Glück, Connor. Das ist die einzige dieser Größe im Container. Du könntest sie also heute schon mitnehmen. Hast du einen Anhänger dabei?“

      „Nein, leider nicht, den muss ich mir noch leihen.“

      „Wenn du alle Bäume kaufst, die auf deiner Liste stehen, können wir dir die Pflanzen auch nach Hause liefern!“

      „Das ist eine gute Idee!“

      „Dann lass‘ uns mal sehen, ob wir auch eine schöne Esche finden.“

      So liefen Hazel und Connor durch die Baumschule und luden große Bäume und die kleineren Sträucher auf zwei Paletten, die Connor mit dem Hubwagen selbst auf den Hof fuhr, obwohl Hazel heftig protestierte. William, ihr älterer Kollege, der gerade Ware vom LKW ablud, amüsierte sich über ihr Gezeter, denn gewöhnlich bestand Hazel darauf, Pflanzen selbst zu transportieren, weil sie vor den männlichen Kollegen ihre Kraft und Eigenständigkeit unter Beweis stellen wollte.

      „Richtig so, junger Mann“, rief er lachend, „bremsen Sie die wilde Hazel mal ein bisschen aus!“

      „Ach, Will, du weißt, dass ich das alleine kann!“, schimpfte Hazel und wirbelte um Connor herum wie eine Hummel. Der lachte nur und stellte die Paletten neben dem LKW ab.

      „Wollen wir die gleich aufladen?“, fragte Will und zeigte auf die Pflanzen.

      „Hast du denn Zeit für eine Auslieferung? Musst du nicht erst zu Magnus auf die Baustelle fahren?“, erkundigte sich Hazel. Will wehrte ab.

      „Er wohnt doch in der Nähe! Das ist schnell gemacht!“

      Erstaunt sah Connor den kleinen rundlichen Mann mit dem schütteren Haar und dem roten wettergegerbten Gesicht an.

      „Woher wissen Sie, wo ich wohne?“ fragte er Will.

      „Ach“, erwiderte dieser gedehnt, „das spricht sich doch schnell rum!“

      Hazel blickte von einem zum anderen.

      „Ich lebe wohl hinter dem Mond!“, stellte sie ärgerlich fest.

      „Da ist es doch auch ganz schön!“, feixte William und griff nach dem Hubwagen. Connor schwieg. Während Hazel wütend den Lieferschein schrieb, luden die Männer die schweren Pflanzen auf den Lastwagen.

      „Ich brauche deine Adresse, Connor“, rief sie ihn an und wedelte triumphierend mit dem Lieferschein.

      „Ach, den brauche ich gar nicht“, erklärte er, „ich zahle gleich alles bar.“

      William lachte erneut, und Hazel zerriss wütend den Zettel.

      Schließlich folgte Connor ihr zum Kassenhaus. Als er erklärte, er habe als Mann eben mehr Kraft, boxte sie ihm mit gespielter Empörung auf den Oberarm und ignorierte Caitlins entsetzten Blick und ihre rätselhafte Mimik, mit der sie Hazel dringend auf irgendetwas aufmerksam machen wollte. Vielleicht war Magnus überraschend aufgetaucht oder Jamie hatte sie um ihre Hand gebeten, kicherte Hazel in sich hinein.

      „Wie schade, dass die Weißtanne nicht dabei war“, erklärte Connor, nachdem er bezahlt hatte.

      Hazel dagegen freute sich insgeheim, denn dadurch war Connor gezwungen, noch einmal wiederzukommen.

      „Ich werde dir eine Schöne bestellen“, versprach sie. Connor sah ihr in die Augen, und Hazel umklammerte mit den Händen die Kante vom Tresen.

      „Davon bin ich überzeugt“, hörte sie seine warme Stimme.

      Damit hätte Connor gehen können, doch er blieb wie angewurzelt stehen.

      „Hast du das ernst gemeint?“

      „Was?“, hauchte Hazel und versuchte, den Kloß im Hals hinunter zu schlucken.

      „Dass du mich in die Höhle begleiten möchtest!“

      „Ja“, antwortete sie ohne zu überlegen und fügte in Gedanken hinzu, „dich würde ich überall hin begleiten!“

      „Hast du am Sonntag Zeit?“

      Hazel fühlte, wie ihr die Beine zitterten. War es die Angst vor den Schädeln? Vor den schaurigen Tiefen im Felsgestein? Oder lag es an der faszinierenden, scheinbar unendlichen Tiefe in den Augen dieses Mannes, den sie bereits in ihrem Traum gesehen hatte? Wie war es möglich, dass er nun leibhaftig vor ihr stand? War es Zufall? Oder etwa Schicksal? War es ein prophetischer Traum gewesen? Passierte so etwas häufiger, dass Träume plötzlich wahr wurden? Leider konnte Hazel sich nicht mehr daran erinnern, was im Traum geschehen war. Allein dieses Gesicht hatte sämtlichen Schlafphasen widerstanden und sie am Morgen mit einem seltsamen Kribbeln im Körper erweckt.

      Dieses Kribbeln setzte sich nun fort. Hazel war alt genug um zu wissen, wie es sich anfühlte, verliebt zu sein. Und doch war es nicht dasselbe. Irgendetwas war zwischen ihnen. Etwas Vertrautes, Unerklärliches. Obwohl sie Connor erst zum zweiten Mal begegnet war, spürte sie, dass hinter seiner „Fremdheit“ eine Art Heimat lag, ein Gefühl wie zu Hause, wie unendliches Vertrauen. War das Liebe auf den ersten Blick? Oder steckte noch mehr dahinter? Und warum geschah dies alles?

      „Hazel?“

      Besorgt blickten sie die Meereshöhlen an. Die Meereshöhlen, in denen trotz des tosenden Wassers ein Feuer loderte, das im Begriff war, auf Hazel überzugreifen.

      „Ja“, sprach sie heiser, „ich habe am Sonntag Zeit. Ich werde Ben bitten, uns den Weg zur Höhle zu zeigen.“

      „Das ist sehr lieb von dir.“

      Lieb. Wieder kroch die Gänsehaut über ihren Körper. Hazel lächelte.

      „Ich muss jetzt gehen“, bedauerte Connor.

      Hazel streckte ihm die Hand entgegen. Würde sie es noch einmal spüren? Tatsächlich, wie kleine Nadelstiche prickelte es, als Connors Hand sich sanft um ihre legte. Er musste es auch spüren. Doch Connor sprach kein Wort.

      Plötzlich öffnete sich die Tür und William trat ein.

      „Oh, seit wann werden unsere Kunden mit Handschlag verabschiedet?! Habt ihr euch wieder vertragen?“

      Lachend klopfte er Hazel auf die Schulter. Unwillig zog sie ihre Hand zurück.

      „Bei guten Kunden ist das selbstverständlich“, behauptete sie und zwinkerte Connor zu.

      „Ich werde dann mal losfahren, damit Sie heute noch pflanzen können, Mr. Wood!“

      Hazel zuckte zusammen.

      „Danke. Ich werde Sie begleiten und beim Abladen helfen.“

      „Prima, jetzt ist Ihre Kleidung sowieso schon im Eimer!“, lachte Will schallend und wies auf braune Erdspuren auf Hose und Pullover, bevor er sich auf den Weg zu Mr. Woods Haus machte.

      „Bis Sonntag, Hazel. Um zehn?“

      Connor lächelte.

      Hazel nickte.

      „Um zehn am Hafen.“

      Kaum hatte Connor den Parkplatz verlassen, als Caitlin ins Kassenhaus gestürmt kam und eine verstörte Hazel vorfand, die wie erstarrt am Tresen lehnte.

      „Ich weiß schon, was du sagen willst!“, kam sie Caitlin zuvor, ohne den Blick von der gegenüberliegenden Wand abzuwenden, an der Spinnen zwischen den organischen Düngerpackungen Netze gewebt hatten, wo die Sonne gelbe Streifen auf die Pflanzenschutzmittel malte und ein Werbeposter