Mira Birkholz

Dolúrna


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neuer Lehrer!“

      „Ich weiß.“

      „Hazel, warum starrst du so?!“

      Wild wedelte Caitlin mit der Hand vor ihren Augen.

      „Ich weiß nicht.“

      „Mensch, Hazel, ich wollte dich noch warnen, aber du hast ja nichts begriffen! Ich dachte, ich seh‘ nicht richtig, als du ihn geboxt hast!“

      Caitlin lachte laut los, und endlich löste Hazel den Blick von der Wand.

      „Caitlin“, rief sie aufgeregt, „Caitlin, er war es!“

      „Wie, er war es? Natürlich war das Mr. Wood! Emilys Klassenlehrer!“

      Hazel schüttelte ihre zarte Kollegin an den Schultern.

      „Nein!“

      „Doch!“

      „Caitlin! Der Mann aus meinem Traum!“

      „Nein!“

      „Doch!“

      „Dein Traummann?“

      „Ja.“

      Hazel plumpste nieder auf den kleinen Hocker, der gewöhnlich als Tritt diente, wenn sie oben aus dem Regal ein Fachbuch angelten.

      „Hazel.“

      Auch Caitlin musste sich setzen, fand aber nur den Stapel unausgepackter Werbekataloge, die darauf warteten, mit dem Firmenstempel versehen zu werden.

      Als sich jedoch abrupt die Tür öffnete und sie Magnus vermuteten, sprangen beide Frauen augenblicklich auf, um festzustellen, dass es sich nur um Jamie handelte, der Caitlin gefolgt war. Mit pochenden Herzen standen sie atemlos im Kassenhaus, bleich vor Schreck, sahen einander an und mussten laut loslachen. Jamie wirkte irritiert.

      „Was gibt es denn zu lachen, wenn ich reinkomme?“, beschwerte er sich.

      „That’s amore!“, trällerte Hazel ausgelassen und drehte sich im Kreis, während Caitlin Gilbert Becauds „Was ist so schön an der Liebe“ sang.

      „Spinnt ihr jetzt total?“

      „Vielleicht, doch das ist uns egal!“, säuselte Hazel den Reim auf Jamies Frage und begann mit ihm zu tanzen. Verwirrt sah er hinüber zu Caitlin und löste sich von Hazel.

      „Euch soll einer verstehen!“, murmelte Jamie und lief hinaus.

      6 Das Geheimnis des Heliotrops

      Sonntag, 12. September 2010 – Killocraw

      Am Sonntagmorgen stand Hazel eine halbe Stunde vor dem Spiegel, bis sie sich endlich für eine schwarze Röhrenjeans, den blaumelierten Rollkragenpullover und ihre schwarze Lederjacke entschied. Dazu trug sie braune Cowboy-Stiefel mit Fransen und kleinen Perlen. Ja, so konnte sie Connor in das kalte Reich der Toten folgen. Ihre Kleidung war bequem, warm und trotzdem aufregend genug, um Connors Blick von den Schädeln der gefangenen Seelen auf den Körper der Lebenden zu lenken.

      Hazel hatte Ben telefonisch um ein Treffen am Hafen gebeten, damit er sie zu der Höhle Fairtheoir Túláins führen würde.

      Endlich trat Hazel in die frische, unverbrauchte Luft des Morgens und stieg auf ihr Mofa, das auch am heiligen Sonntag keine Rücksicht auf die ehrwürdige Stille in der Stadt nahm. Es knatterte, hustete und spuckte, bis oben im ersten Stock ein verschlafenes Gesicht zum Fenster gesprungen kam und es hastig schloss. Wie gut, dass Hazel im ratternden Motorenlärm nicht Jennys Fluchen hörte.

      Die kühle Morgenluft des Septembers erinnerte sie daran, dass der Herbst bereits an die Tür klopfte. Im Fahrtwind fröstelte Hazel, während ihr Haar, mit einem breiten schwarzen Gummi zu einem Zopf gebändigt, wie ein Propeller am Hinterkopf kreiste. Der Himmel über der Stadt war milchig-grau und ächzte unter der schweren Last dicker dunkelgrauer Wolken, die wie Federbetten geradewegs über den Dächern zu ruhen schienen.

      Als Hazel den Kai erreichte, entdeckte sie zuerst Connors Auto. Sie parkte ihr Mofa neben dem Gebäude der Touristeninformation und steuerte den kleinen dunkelblauen Vauxhall an, mit dem Connor zur Baumschule gefahren war. Eine seltsame Stille lag über dem Hafenbecken. Wie graue Zuckerwatte dämpfte die Luft jeden Klang. Selbst die Möwen zogen still ihre Bahnen am Himmel, ohne zu kreischen. Wenige Menschen waren unterwegs. Bens Boot lag verlassen am Steg.

      Plötzlich erblickte Hazel Connor, der sich hinter dem Kiosk angeregt mit einer jungen Frau unterhielt. Sie war viel kleiner als er, vielleicht so groß wie Hazel, und trug ihr Haar ordentlich geschnitten. Wenn sie lachte und den Kopf in den Nacken legte, glitt es danach jedes Mal wieder zurück an Ort und Stelle, ohne auch nur ein Anzeichen von Unordnung zu hinterlassen. Unwillkürlich griff Hazel nach ihrem Haar, das zerzaust ihr Gesicht einrahmte. Ein Glück, dass der Zopf stramm gebunden war, überlegte sie.

      Entschlossenen Schrittes ging Hazel mit ihren Cowboystiefeln laut klackend auf die beiden zu. Wer war wohl diese Frau? Eifersucht knabberte an Hazels Herz wie eine gierige Maus am Käse.

      „Hi, Connor!“, rief sie und winkte fröhlich, damit er nichts von ihrer Unsicherheit bemerkte.

      Connor erwiderte ihr Winken.

      „Hi, Hazel! Schön, dass du da bist!“

      Strahlendes Blau brachte den Sommer zurück.

      „Hast du geglaubt, ich mache einen Rückzieher?“

      Herausfordernd sah sie Connor an und lachte.

      „Nein, warum solltest du?! Ich hab Lucy schon erzählt, dass wir ein bisschen an der Küste entlang wandern wollen.“

      Verschwörerisch blinzelte er Hazel zu, und sofort begriff sie, dass Connor sich mit ihr gegen Lucy verbündete, welche sie nun als die junge Lehrerin von Emilys Schule erkannte. Offenbar wollte er verhindern, dass diese etwas von der Höhle erfuhr. Hazels Herz klopfte.

      „Ja“, bestätigte sie schnell, „wir wollen uns an der Westküste Pflanzen und Seevögel ansehen.“

      „Ach, übrigens, Hazel. Lucy, Miss Davenport, ist meine Kollegin. Sie unterrichtet Englisch, Mathematik und Erdkunde.“

      Lucy lächelte stolz.

      „Und Hazel“, erklärte er wichtig, „ist meine persönliche Pflanzenberaterin.“

      Connor zwinkerte Hazel zu.

      „Und Fremdenführerin!“, ergänzte er.

      Grimmig blickte Lucy drein.

      „Wir kennen uns schon. Und als Fremdenführerin hätte ich auch fungieren können! Schließlich lebe ich schon länger auf Kintyre als sie!“

      Mit dem Finger zeigte Lucy auf Hazel.

      „Ich kenne mich hier sehr gut aus!“

      Hatte die gierige Maus nun etwa die Fronten gewechselt? Heftig schien sie jetzt an Lucys Selbstbewusstsein zu nagen, denn nervös strich diese sich das Haar hinter das Ohr, doch sofort glitt es zurück in ihr gerötetes Gesicht. Auch ihr Lächeln war ausgeglitten und zu Boden gestürzt. Mit hängenden Mundwinkeln wünschte sie noch viel Spaß und verabschiedete sich eilig.

      „Auf Wiedersehen, Lucy!“, rief Connor ihr nach, doch sie schien schon außer Hörweite.

      „Ist sie immer so schnell beleidigt?“, fragte Hazel erstaunt.

      „Ich weiß nicht, ich kenne sie ja noch keine zwei Wochen.“

      „Möchtest du sie mitnehmen?“, fragte Hazel anstandshalber und ohrfeigte sich in Gedanken.

      „Nein“, rief Connor entschieden, „schließlich interessiert sie sich gar nicht so sehr für Pflanzen und Seevögel wie wir!“