Mira Birkholz

Dolúrna


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noch?!“

      „Auf Ben, fürchte ich“, erklärte Connor und zeigte auf dessen Boot.

      „Er ist noch nicht eingetroffen.“

      Hazel sah zur Uhr. „Schon zwanzig nach zehn!“

      Sie kramte ihr Handy aus der Brusttasche der Lederjacke und wählte eine Nummer.

      „Ich ruf ihn an.“

      Connor lauschte dem Gespräch, das für ihn sehr einseitig verlief, da er Bens Worte nicht verstehen konnte.

      „Ben, wo bleibst du denn? – Warum nicht? – Ach, das ist doch albern! – Wir haben schon ganz andere Sachen gemacht! – Wir wollen aber! Connor wartet auch schon! – Mensch, Ben, dann machen wir es eben ohne dich!“

      Wütend beendete Hazel das Gespräch und fuchtelte mit dem Handy in der Luft herum.

      „Er kommt nicht! Er hat uns versetzt! Er meint, es sei zu gefährlich! So ein Quatsch! Er will mich nicht in Gefahr bringen oder so!“

      Fast stampfte sie mit dem Fuß auf, beherrschte sich aber.

      „Er mag dich eben“, erklärte Connor, „da ist es doch klar, dass er dich beschützen will.“

      Hazel sah ihn prüfend an.

      „Aber dann braucht er mich doch nicht wie ein kleines Kind zu behandeln!“

      „Du bist seine Freundin.“

      Connors Augen zogen sich zusammen, so dass die Eingänge zur Höhle schmalen Spalten glichen.

      „Ich würde meine Freundin auch beschützen“, fügte er hinzu, „komme, was wolle.“

      Mit abwesendem Blick schaute er zum Horizont, und Hazel fröstelte, als sie die Blässe seiner Haut sah, die einen krassen Kontrast zu den schwarzen Locken bildete.

      „Was machen wir nun?“, unterbrach Hazel die beunruhigende Stille.

      Connor sah ihr in die Augen, und Hazel kannte augenblicklich seine Antwort.

      „Ich werde allein gehen.“

      „Nein! Ich komme mit!“

      „Hazel, es ist zu gefährlich! Ben hat Recht. Wir dürfen dich nicht in Gefahr bringen!“

      „Ich bin eine erwachsene Frau, Connor, und ich entscheide selbst, was ich tue! Und ich werde dir hier und jetzt zu der verdammten Höhle dieses albernen Keltengotts folgen!“

      Ernst sah Connor sie an.

      „Hazel, Fairtheoir Túláin ist nicht albern! Er ist allgegenwärtig in den Felsen von Kintyre. Er bewacht die Küste und sorgt dafür, dass das Meer dein Land nicht fortspült. Und er bewahrt die Seeleute davor, mit ihren Schiffen an den Felsen zu zerschellen!“

      Für einen kurzen Moment war Hazel sprachlos. Dann hauchte sie: „Du glaubst an ihn?!“

      Connor antwortete nicht.

      Schweigen herrschte.

      Schließlich fuhr er fort: „Ben sprach von dem Kessel. Erinnerst du dich?“

      Hazel nickte brav.

      „Darin konnte Fairtheoir Túláin ertrunkene Seeleute wieder zum Leben erwecken! Er konnte sie mit Speisen aus dem Kessel versorgen, bis sie wieder gesund waren. Und jeder, der den Kessel aus Eigennutz stehlen wollte, starb in dieser Höhle. Denn dessen Seele war böse, egoistisch und hinterhältig, und Fairtheoir Túláin hielt sie gefangen, damit sie in der Welt keinen Schaden mehr anrichten konnte.“

      Hazel fand leise ihre Stimme wieder.

      „Connor, du sprichst, als hättest du es selbst gesehen!“

      Plötzlich war er ihr unheimlich. Was wusste sie eigentlich von diesem Menschen, der aus der Fremde hier her gekommen war und sie mit seinen Augen verzaubert hatte? Sie hatte bereits von ihm geträumt, bevor sie ihm begegnet war! Was tat er mit ihr? Was wollte er wirklich in Portmullen? Hatte die alte Mrs. MacFarlane recht, wenn sie misstrauisch hinter ihm her schnüffelte und behauptete, er sei ein Zauberer? Brachte er wirklich das Böse, wie Hazel zwei Kundinnen in der Gärtnerei hatte tuscheln hören? Connors Blick ließ sie erzittern.

      Doch plötzlich lächelte er.

      „Hazel, du bist ja ganz blass! Du brauchst dich nicht zu fürchten. Deine Seele ist nicht böse. Und ich werde dich beschützen.“

      Mit großen Augen sah sie ihn an.

      „Heißt das, du nimmst mich mit?“

      „Ja. Ich weiß, dass dir nichts geschehen wird.“

      Das seltsame Gefühl in Hazels Bauch wollte einfach nicht weichen.

      „Connor, ständig sprichst du in Rätseln! Woher weißt du das alles?“

      Sanft nahm Connor ihre Hand und beruhigte sie. Mit einem entwaffnenden Lächeln erklärte er: „Ich habe schließlich Geschichte studiert! Du weißt doch, Hazel, dass Lehrer immer alles besser wissen müssen!“

      Laut lachte er, und Hazel fiel erleichtert mit ein.

      „So, wollen wir los?“, fragte Connor und setzte flink den großen Rucksack auf, der am Kiosk gelehnt hatte.

      „Ja, klar! Aber weißt du denn, wohin wir fahren müssen?“

      Stolz zog Connor eine Wanderkarte aus der Jackentasche und zeigte Hazel das Gebiet um Killocraw, das er bereits rot eingekreist hatte.

      „Es ist immer besser, man informiert sich selbst! Auch wenn man eine Fremdenführerin hat!“ Schelmisch grinste er Hazel an.

      „Lass‘ uns dort an der Küste entlang gehen. Das hier sind ungefähr fünf Meilen. Schaffst du das?“

      „Na klar! Und sonst musst du mich halt tragen!“

      Das hatte sie nur denken wollen. Nun waren ihr die Worte aus dem Mund gerutscht.

      Connor lächelte.

      „Kein Problem.“

      Mit dem kleinen Vauxhall machten sie sich auf den Weg Richtung Killocraw. Auf der A 83 fuhren sie durch Wiesen und Felder über Kilchenzie, bis sie nach ungefähr sechs Meilen die Küste erreichten. Hier begann der lange Sandstrand, der im Süden bis nach Machrihanish reichte. Doch sie fuhren in nördlicher Richtung weiter.

      „Sieh nur, hier gibt es schon Felsen, Connor!“, staunte Hazel.

      Er lachte.

      „Ich habe gedacht, du kennst dich hier aus! Na, wie gut, dass du mal etwas Anderes vom Land siehst als Portmullen!“

      „Ich kenne die Küste!“, empörte sich Hazel. „Aber meistens bin ich mit Bens Boot mitgefahren, und von der Wasserseite sieht sie ganz anders aus!“

      „Vielleicht bist du schon ganz nah an der Höhle vorbeigefahren, ohne es zu wissen!“

      „Ja, und vielleicht hat Fairtheoir Túláin uns vor dem Zerschellen bewahrt!“

      Prüfend sah Connor sie an. Machte Hazel sich lustig? Doch ihr Gesicht war ganz ernst.

      „Ben hat mir nie etwas von der Höhle erzählt“, wunderte sie sich.

      „Er wusste wohl, dass du sie sonst besuchen würdest!“

      Endlich erreichten sie Killocraw, und Connor fand einen Parkplatz.

      „Ich dachte, wir wollten bis Bellochantuy fahren?!“

      Überrascht sah Hazel Connor an, der mit versunkenem Blick auf das Meer schaute.

      „Siehst du die Vögel dort?“

      Hazel reckte den Hals.

      „Ja, irgendwelche Möwen.“

      „Na,