Mira Birkholz

Dolúrna


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als sie einmal gemeinsam in der Bank gesessen hatten. Dabei hatte sie ihn doch nur darüber informieren wollen, dass Pfarrer McGowan mit der jungen Miss Davenport einen regen Blickwechsel unterhielt.

      Da erschien sie endlich! Lucy Davenport, die junge Lehrerin. Nervös trippelte Mrs. MacFarlane von einem Fuß auf den anderen und wartete ungeduldig darauf, dass sie sich endlich vom Pfarrer verabschiedete. Sah er ihr schon wieder in die schönen Augen? Blitzte da nicht ein Blau in seinem Blick, der von großer Verlockung sprach? Hielt er nicht ihre Hand länger als es sich gehörte?

      Auf Lucy hatte Mrs. MacFarlane gewartet. Gerade als die junge Frau im fliederfarbenen Rock sie passierte, trat sie aus dem Rhododendrongebüsch hervor und stoppte deren Schritt. Sie griff nach Lucys Arm, der schmal in einem feinen weißen Blazer steckte und vor Schreck zusammenzuckte.

      „Mrs. MacFarlane!“, rief Lucy aus. „Haben Sie mich erschreckt!“

      „Guten Tag, Miss Davenport. Entschuldigen Sie bitte. Sagen Sie, haben Sie irgendwo meinen neuen Nachbarn gesehen? Ich hätte ihm so gerne einmal die Stadt gezeigt, jetzt wo wir schon zusammen hier sind.“

      Überrascht sah Lucy die kleine Dame in ihrem altmodischen grünkarierten Tweedkostüm an.

      „Wenn Sie Mr. Wood meinen, muss ich Sie enttäuschen. Der ist heute nicht zur Kirche gekommen.“

      Das wusste Mary natürlich, doch gab sie sich sichtlich betrübt und erklärte: „Ach, das ist aber schade! Wissen Sie denn, wo ich ihn finden kann?“

      „Warum sollte ich wissen, wo sich Ihr Nachbar aufhält?!“, fragte Lucy ungeduldig.

      „Na, er ist doch Ihr Kollege. Und befreundet sind Sie auch, wie ich hörte!?“

      Jetzt wurde Lucy ärgerlich.

      „Ja, wir sind Kollegen, das ist richtig. Mehr nicht!“

      Sie wollte gehen, doch Mary hielt sie zurück.

      „Aber Sie wären doch ein hübsches Paar!“, schmeichelte die alte Dame, nicht ohne Hintergedanken.

      „Mr. Wood verbringt seine Freizeit aber lieber mit Pflanzenexpertinnen!“, brach es nun aus Lucy hervor, die ihre Eifersucht nicht länger unter Kontrolle halten konnte. Niemandem hatte sie ihren Ärger und die Wut anvertrauen können, die sie spürte, seit Connor sich mit Hazel zum Wandern getroffen hatte. Den gesamten Gottesdienst über hatte sie versucht, ihre nagende Eifersucht zu unterdrücken. Nun platzte sie aus ihr heraus, und ohne nachzudenken offenbarte Lucy dem ersten offenen Ohr ihren Missmut.

      „Von wem sprechen Sie?“, erkundigte Mrs. MacFarlane sich scheinheilig und hatte keine Skrupel, die offensichtliche Verwirrung der jungen Lehrerin auszunutzen.

      „Von Miss Blackwell! Von dieser – Gärtnerin! Die mit dem Mofa und der Lederjacke!“

      „Ach die!“, fiel Mary spielerisch aus allen Wolken. „Was findet er denn an der?!“

      Jetzt brauchte sie sich nicht mehr anzustrengen, Miss Davenport Vertraulichkeiten zu entlocken. Ein Schwall aufgestauter Gefühle schoss aus Lucys Lippen und offenbarte eine unerwiderte Liebe und das Unverständnis über Connors Vorzüge, das weibliche Geschlecht betreffend. Darauf hatte Mary gelauert. Also hatte sie richtig vermutet, dass Miss Lucy sich über den neuen Lehrer grämte, als sie heute Morgen mit betrübtem Blick und feuchten Augen die Kirche betreten hatte. Triumphierend blickte Mary zu Mrs. Kingsley an ihrem Arm, die bereitwillig wartete, bis Mrs. MacFarlane ihr Spiel beendet hatte.

      „Stell dir vor, Matthew“, erzählte sie später ihrem Mann, „Mr. Wood ist lieber mit der wilden Miss Blackwell von der Gärtnerei zum Wandern gegangen als mit unserer hübschen jungen Lehrerin in die Kirche – wie es sich gehört an einem Sonntag!“

      Erwartungsvoll sah sie Matthew an, doch der erhob sich schweigend vom Mittagstisch, um endlich wieder in seine bequeme Cordhose zu steigen und hinaus in den Garten zu gehen, wo es so herrlich ruhig war.

      Der würde sich noch umgucken, dieser gottlose Mr. Wood! Schließlich war Hazel Blackwell doch mit Ben Cochrane befreundet. Der junge Fischer galt als streitlustig und schlagkräftig. Der würde sich niemals die Freundin wegnehmen lassen! Ob er wohl davon wusste, dass sein Konkurrent gerade eine Wanderung mit ihr unternahm?

      Hastig schlüpfte Mary in ihre Sonntagsschuhe, stieg auf ihr Fahrrad und fuhr hinunter zum Hafen. Das steife Tweedkostüm engte ihre Brust ein, so dass sie atemlos den Kai erreichte und mit gerötetem Gesicht auf den Steg zumarschierte. Mit beiden Händen glättete sie ihr graues Haar und hielt dabei Ausschau nach Bens Boot. Doch vergeblich. Nein, sie täuschte sich nicht. Das rostige Cochrane-Boot, das Ben nach dem Tod seines Vaters vom alten MacCann gekauft hatte, kannte sie im Schlaf. Schließlich hatte sie manche Stunde hier zwischen den Booten verbracht, unentdeckt von den jungen Leuten, die leider immer so leise sprachen, dass sie nur Wortfetzen verstehen konnte.

      Bens Boot lag nicht im Hafen. Gewöhnlich fuhr er am Sonntag nicht zum Fischen. Warum also war er heute auf das Meer hinausgefahren? Hatte Miss Lucy nicht von der Westküste gesprochen, an der sie wandern wollten? Von wegen Seevögel und Pflanzen! Mary konnte sich schon vorstellen, was sie dort vorhatten! Und nun war Ben auf dem Weg zu ihnen, um sich an Mr. Wood zu rächen! Würde es einen Kampf geben? Ach, es war einfach zu ärgerlich, dass sie keinen Führerschein besaß, sonst hätte sie einmal zufällig vorbeischauen können. Das wäre die Geschichte! Ja, sie hatte ja gleich gewusst, dass dieser Franzose das Böse mitbrachte! Gottlose Zauberei, und nun nahm er auch noch einem Einheimischen die Frau weg! Hoffentlich käme Ben gegen diesen schwarzhaarigen Hünen an! Hoffentlich verhexte dieser ihn nicht! Mr. Guthrie hätte niemals diesen Ausländer nach Kintyre holen dürfen. Bestimmt hatte er böse Wurzeln, die bis in eines dieser Länder reichten, in denen alle Leute solch pechschwarze Haare hatten und nicht an Gott glaubten! Nicht an den Richtigen.

      Das würde noch ein schlimmes Ende nehmen. Resigniert trippelte sie zu ihrem Fahrrad zurück und überlegte. Matthew würde nichts davon hören wollen. Also beschloss sie, zu Margaret zu fahren, um ihr die Neuigkeit mitzuteilen. Schwerfällig stieg sie auf das Pedal und schwang ihr massiges Hinterteil auf den breiten Kunststoffsattel.

      8 Der große Plan der Götter

      Sonntag, 12. September 2010 – Killocraw

      Vorsichtig folgte Hazel Connor über die glatten Felsen, die in dieser Höhe bereits feucht von Meeresgischt glänzten. Die Ledersohlen der Cowboystiefel fanden wenig Halt, und Hazel musste gebückt gehen, um sich mit den Händen an Felsvorsprüngen festhalten zu können. Connor sah nicht zurück. Hatte er sie schon vergessen? Wie im Rausch kletterte er das Felsmassiv hinab, die Füße sicher zwischen den Steinen platzierend, während die Brandung unter ihnen gegen das schwarzglänzende Gestein schlug. Salzige Spritzer benetzten Hazels Gesicht und brannten in den Augen. Mit der Hand wischte sie sie fort und sah hinunter zu Connor, der kurz davor war, die markante Felsspitze zu erreichen. Tapfer kletterte sie weiter. Er hatte zwar behauptet, sie müsse nicht beweisen, dass sie stark und klug sei, aber nun wollte sie ihm zeigen, dass sie auch genug Geschicklichkeit besaß, um mit Wildwest-Stiefeln zur keltischen Höhle zu kraxeln. Wieder schlug eine große Welle an die Felsen, während der Sturm ihr Sand in die Augen blies. Verdammt! dachte Hazel. Plötzlich hörte sie Connor rufen. Seine Worte trug der Wind davon, aber deutlich erkannte sie den erhobenen Daumen und sein strahlendes Lächeln. Hatte er wirklich die Höhle gefunden? Die Sagen umwobene? Hazel beeilte sich. Nur noch wenige vorsichtige Tritte im Gestein, und endlich hatte auch sie den Felsen erreicht, der wie ein Ausrufezeichen den Höhleneingang markierte. Das Felsplateau davor wirkte wie eine Aussichtsplattform, von der aus Fairtheoir Túláin möglicherweise die strandenden Schiffe beobachtete. Oder konnte ein Felsengott durch das Gestein hindurchsehen, fragte Hazel sich, als Connor sie hinunter in den Höhleneingang zog.

      „Wir haben sie gefunden, Hazel!“, strahlte er.

      „Was macht dich so sicher, dass es die richtige Höhle ist?“