Mira Birkholz

Dolúrna


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Hatte sie nicht auch etwas Schwarzes gesehen? Waren es Felsen gewesen? Ach was, schalt sie sich, das bildete sie sich nur ein! Der starke Wind hatte ihr wohl schon den Verstand aus dem Hirn geblasen!

      „Komm‘, setz‘ dich, das Felsplateau bietet Schutz vor dem Wind“, forderte Connor sie auf.

      Der Höhleneingang lag genau darunter und wurde zu einem Drittel von senkrechten Steinen, die das Plateau stützten, verdeckt. Die Öffnung war gerade so hoch, dass Hazel mit angewinkelten Beinen aufrecht darin sitzen konnte, während Connor sich nach hinten lehnte und die Ellenbogen auf die harten Steine stützte. Wenn sie eng zusammenrückten, bot der Felsspalt genügend Platz für zwei.

      „Was machen wir nun?“, wollte Hazel wissen.

      Wie seltsam, überlegte sie. Inzwischen begab sie sich schon freiwillig unter seine Führung. Sonst war sie selbst immer diejenige, die das Kommando übernahm. Dieser Mann hatte eine unerklärliche Macht über sie. Der Gedanke daran machte ihr Angst, aber zugleich fühlte sie sich sonderbar geborgen.

      „Wir können nicht in die Höhle hinabsteigen, solange Flut herrscht. In den unteren Kammern steht bestimmt noch das Wasser“, erklärte Connor.

      „Zu dumm“, fügte er hinzu, „dass ich mich nicht über die Tidenzeiten informiert habe.“

      „Ja, wir haben uns eben zu sehr auf Ben verlassen. Wenn der wüsste, dass wir die Höhle auch ohne ihn gefunden haben!“

      Connor schmunzelte und sah hinaus auf das ungestüme Meer, das hohe Wellen gen Küste schickte, geradeso, als handelte es in Bens Auftrag und hielte sie davon ab, in die Tiefe hinab zu steigen. Was war wohl der eigentliche Grund dafür, dass er heute nicht gekommen war? Umgab die Höhle ein weiteres Geheimnis, das Ben vor ihnen nicht preisgeben wollte?

      „Dann warten wir eben auf Ebbe“, erklärte Hazel trotzig.

      „Die wird vermutlich zu spät eintreffen. Bei Dunkelheit können wir unmöglich über die Felsen steigen!“

      „Wir hätten eine Taschenlampe mitnehmen sollen!“

      „Habe ich dabei“, sprach Connor und klopfte auf seinen Rucksack, „aber es wäre unvernünftig und verantwortungslos, trotzdem in die Höhle zu steigen, denn wir müssen ja auch noch wieder zurückklettern und den ganzen Weg zum Auto bewältigen.“

      Hazel maulte.

      „So was Blödes!“

      „Wir wollen uns lieber freuen, dass wir die Höhle gefunden haben, Hazel!“, versuchte Connor sie aufzumuntern. „Weglaufen wird sie uns sicher nicht. Denk mal dran, wie viele Jahrhunderte Fairtheoir Túláin hier schon lebt. Da kommt es doch auf ein paar Tage auch nicht mehr an. Wir werden wiederkommen!“ tröstete Connor Hazel – und sich selbst, denn am liebsten wäre auch er sofort in die Tiefe hinabgestiegen und hätte das Geheimnis der gefangenen Seelen gelüftet.

      „Ist es dir nicht unheimlich hier zu sitzen?“, fragte Hazel plötzlich und sah hinab in die kalte schwarze Tiefe, die wie ein offener Schlund auf Nahrung wartete. An den Felswänden rann Wasser hinab wie der Speichel eines Ungeheuers.

      „Du brauchst dich nicht zu fürchten. Wir kommen doch in friedlicher Mission. Und den Stein haben wir auch dabei!“

      Damit Hazel nicht erneut nach dem roten D fragte, lenkte Connor schnell vom Thema ab.

      „Jetzt gibt es erst einmal etwas zu essen und zu trinken!“

      „Oh, toll, daran habe ich gar nicht gedacht“, gab Hazel kleinlaut zu, „ich dachte, wir fahren mit Ben hierher, erkunden die Höhle und fahren wieder nach Hause.“

      „Es ist immer gut, wenn man für den Notfall gerüstet ist“, erklärte Connor und zog zwei Emaillebecher, eine Thermoskanne und eine große Plastikdose aus dem Rucksack.

      „Es gibt heißen Tee und Dinkelbrot mit original Kintyre Cheddar-Käse“, verkündete er stolz.

      Sogleich reichte er Hazel einen Becher, füllte ihn mit dampfendem Tee und schnitt ihr mit einem großen Sägemesser eine dicke Scheibe vom Brotlaib ab.

      „Das Brot habe ich selbst gebacken“, erklärte Connor und hielt es hoch wie eine Trophäe.

      „Ehrlich?“

      Hazel staunte.

      „Ein biologisch versierter Geschichtslehrer, der Fährten lesen und Brote backen kann! Tolle Kombination!“ Hazel lachte und hielt ihm die Scheibe hin, damit er sie mit Käse belegte.

      „Halt“, rief sie, „nicht so viel!“

      „Wer viel gewandert ist, der muss auch viel essen!“, lachte er und biss genüsslich von seinem Brot ab. „Und wer zurückwandern will, der muss auch genug trinken! Slainte mhath!“

      Connor hob feierlich den Becher und stieß mit Hazel an.

      „Slainte mhath!“, erwiderte sie und nippte vorsichtig an dem heißen Tee.

      „Was ist das?“

      „Kräutertee. Schmeckt er dir?“

      „Sag bloß, den hast du auch selbst gemacht?!“

      Mit großen Augen musterte sie Connor, der in der engen Felsspalte noch gewaltiger wirkte.

      Er grinste.

      „Woraus besteht denn der Tee? Hast du ein Aphrodisiakum für mich hinein gemixt?“, rutschte es Hazel heraus, und nun erging es ihr plötzlich wie Caitlin, die ständig rot anlief, sobald Jamie sie ansah. Schnell senkte sie den Blick, doch Connors Lachen befreite sie aus ihrer Scham.

      „Brauchst du das denn?“

      Er zwinkerte ihr zu und klärte sie dann schnell über die Zusammensetzung auf, um die peinliche Situation zu beenden.

      „Der Tee besteht aus verschiedenen Kräutern. Brennnessel, Ehrenpreis und Kamille sind darin, ebenso wie Mädesüß, Gänseblümchen und Beifuß. Außerdem Ringelblume und Eisenkraut.“ Connor überlegte. „Königskerze und sogar Birkenblätter!“

      „Hast du die alle selbst gesammelt, Herr Biologielehrer?“

      „Und getrocknet“, ergänzte Connor stolz.

      „Du bist ja ein halber Druide!“, stellte Hazel lachend fest und bemerkte nicht das Zucken in Connors Mundwinkeln.

      „Hast du die Kräuter mit der goldenen Sichel geschnitten? Und dir einen langen weißen Rauschebart umgehängt? So wie Miraculix?“

      Bei der Vorstellung lachte Hazel schallend, und in der Tiefe des Felsens erklang schaurig ihr Echo. Erschrocken sah sie Connor an. Mit bleichem Gesicht saß er ihr gegenüber. Seine Augen hatten einen leblosen Ausdruck angenommen.

      „Die Vorstellung von Druiden“, vernahm sie seltsam dumpf eine fremde Stimme, die Connors Mund entsprang, „entspricht nicht der Wahrheit. Die Geschichtsschreiber haben vieles falsch interpretiert und überliefert. Und der moderne Mensch hat sich nach Gutdünken ein Bild von dem Druiden erschaffen, das nicht haltbar ist.“

      Befremdet starrte Hazel auf die verzerrten Gesichtszüge ihres Begleiters.

      „Es tut mir leid“, stammelte sie betreten, „wenn ich etwas Falsches gesagt habe. Ich wollte dich nicht verletzen.“

      Verlegen malte sie mit einem Stöckchen Muster in den feinen Sand, der in den Eingang der Höhle geweht war. Zunächst waren es nur wenige Striche, dann entstand daraus ein Baum mit Krone und vielen einzelnen Blättern. Je länger Connor schwieg, desto mehr Blätter zeichnete Hazel in den Sand. Gebannt beobachtete Connor ihr Treiben. Dann nahm er abrupt ihre Hand und sah ihr fest in die Augen. Hazel erblickte in dem kühlen Blau ein Feuer. Rotgoldene Flammen schlugen empor und schienen alles Leben zu verbrennen. Sie begann zu zittern.

      Endlich flüsterte sie: „Connor, du machst mir Angst!“

      Er wandte den Blick von ihr ab