Tyra Reeves

Gottessöhne


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Lucy prustete nun auch los, doch sie verstummte sofort und deutete mit dem Kopf in Richtung Tür.

      Mrs. Marsh, ihre Teamleiterin, stand breitbeinig in der Tür, die Hände in die Hüften gestemmt. Der dunkelrote Pullover, der ihr wie so oft ein paar Nummern zu groß war, hing ausladend über einem blauen Faltenrock. Noch vor Monaten hätte man Mrs. Marsh als stark übergewichtig bezeichnen können. Dann hatte sie sich von einem Tag auf den anderen für eine Radikalkur entschieden, dessen glückliches Ergebnis der Verlust etlicher Kilos war, aber unglücklicherweise eine enorme Bauchschürze hinterlassen hatte. Der weitere negative Nebeneffekt des Abnehmmarathons war ihre chronisch schlechte Laune, die sie mit Vorliebe an Kate und Lucy ausließ. Nicht, dass Mrs. Marsh zu moppeligeren Zeiten von sonnigem Gemüt gewesen wäre, aber die Schikanen an ihren Untergebenen hatten in dem Ausmaß zugenommen, in dem die Pfunde gepurzelt waren.

      Vor einigen Tagen, sie war noch mieser gelaunt als sonst gewesen, hatte sie Kate außer der Reihe zu einem Mitarbeitergespräch in ihr Büro gerufen. »Mrs. Wilson, ich würde gerne mit Ihnen über Ihre Arbeitsleistung sprechen.« Kate nickte kurz und drückte sich tiefer in den Stuhl, den ihr die Chefin angeboten hatte. »Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass sie nicht mehr mit dem nötigen Elan bei der Sache sind.«

      »Wieso? Wie kommen Sie darauf?«

      »Nun, ich habe das Gefühl, dass Ihnen die Arbeit nicht allzu viel Spaß macht. Das hat mir auch ein Kollege aus Ihrem Team anvertraut.«

      »Und, darf ich erfahren, welcher meiner Kollegen so etwas behauptet?«

      »Den Namen darf ich Ihnen aus Diskretionsgründen nicht verraten. Nur, durch diese Aussage ist mein Eindruck von Ihnen bestätigt worden. Ihnen fehlt die Freude an Ihrem Job.« »Nein«, erwiderte Kate sofort, wenn auch nicht ganz wahrheitsgemäß, »ich bin gerne hier und mir macht die Arbeit Spaß. Es ist nämlich so, dass…«

      »Das mag ja alles sein,« unterbrach sie Mrs. Marsh im harschen Ton, »aber, wenn ich Ihre Leistungen mit denen der anderen Mitarbeiter vergleiche, liegen Sie eindeutig im unteren Drittel. Ihre Kollegen bearbeiten mehr Kundenanrufe als Sie, und die Kundenzufriedenheit ist auch deutlich höher als bei Ihnen.« Kate wandte ihren Blick zum Fenster und versuchte verzweifelt die Tränen zurückzuhalten. »Also, Mrs. Wilson, strengen Sie sich in Zukunft mehr an und bleiben Sie abends ein oder zwei Stunden länger, das machen Ihre Kollegen auch oft so. Dann ist Ihr Schreibtisch am nächsten Tag aufgeräumt und bereit für neue Herausforderungen. Sie werden sehen, dann wächst die Freude an Ihrer Tätigkeit. Aber letztendlich zwingt Sie niemand hier zu bleiben. Wenn Sie verstehen, was ich meine?« »Ja, ich verstehe Sie. War das jetzt alles?« »Ja, das war’s. Sie dürfen wieder zurück an Ihren Platz.«

      Mit einem Kloß im Hals und voller Wut im Bauch verließ Kate das kleine Büro. Lucy fragte voller Mitgefühl, ob es schlimm gewesen wäre und Kate antwortete ihr, es sei ihr egal, was Mrs. Schwabbelbauch über sie dächte. Von diesem Moment an hatte die Teamleiterin ihren Spitznamen weg. Manchmal pikste Kate zwar ihr Gewissen, wenn sie ihre Chefin so betitelte, aber so konnte sie wenigstens etwas Dampf ablassen, wenn die versteckten Demütigungen und Spitzen der Vorgesetzten ihr zu viel wurden.

      »Was gibt es denn hier zu lachen? Ich würde gerne mit lachen. Ist ja schön, wenn die Kollegen so viel Spaß bei der Arbeit haben.« Der schneidende Ton der Teamleiterin versetzte die beiden Freundinnen in Hab-Acht-Stellung.

      »Ja, gerne«, antwortete Kate süßlich und drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. »Wenn Sie möchten, können Sie uns ja am Wochenende begleiten, Mrs. Marsh. Dann hätten wir alle drei doch etwas zu lachen. Es wäre bestimmt schön, wenn wir unsere Teamleiterin auch privat näher kennenlernen könnten.«

      Mrs. Marsh zog die Oberlippe nach oben, zeigte ihre großen Zähne und entgegnete in ähnlich süßlichem Ton: »Zu gerne, Mrs. Wilson, aber auf mich wartet mein Mann und er mag es nicht, wenn ich mich am Wochenende irgendwo herumtreibe. Aber, vielen Dank für das Angebot. Bitte gehen Sie nun an Ihre Arbeit, die Mittagspause ist längst vorbei.«

      Die Teamleiterin verließ mit raschen Schritten das Großraumbüro. Kate zwinkerte Lucy zu, verdrehte demonstrativ die Augen, um sich dann brav an ihren Schreibtisch zu setzen.

      Endlich konnte Kate nach Feierabend in ihre Wohnung zurückkehren. Sie fühlte sich leer und schlapp, als wäre ihre gesamte Energie zwischen endlosen Telefonaten zerrieben worden. Doch ihre Laune verbesserte sich schlagartig, nachdem sie von Bangla und Desh freudig begrüßt worden war. Kate machte es sich mit ihrem Abendessen und den zwei Katzen auf ihrer Couch in der kleinen Wohndiele gemütlich, stellte ihren Laptop vor sich auf den schmalen Couchtisch und schaltete ihn an. Es erschien eine Message, ihre jüngere Schwester Susan war online. Sie schaltete das Mikro und die Webcam ein und ein paar Sekunden später erschien das mädchenhafte Gesicht ihrer Schwester. Ihr Haar, ebenso mittelblond wie Kates, war wie immer zu einem straffen Pferdeschwanz zurückgebunden.

      »Hi Susan, wie geht’s?« »Oh, hallo Kate, schön, dass du dich meldest. Mir geht’s gut.« Dabei grinste sie bis über beide Ohren und zeigte ihre Zahnspange.

      »Musst du die Spange noch immer tragen? Ich dachte, der Zahnarzt wäre mit deinen Zähnen nun zufrieden.« Susans Lippen bedeckten sofort den festen Draht in ihrem Mund. »Er meinte, ich sollte sie noch ein halbes Jahr behalten. Was gibt’s bei dir, hast du jemand neues kennengelernt?«

      Kate seufzte. »Nein. Ich glaub, das wird eh nichts mehr mit mir. Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Die New Yorker Männer und ich passen anscheinend nicht zusammen.« »Mensch, dabei sollte es doch in Big Apple so viele Singles geben, bestimmt ist auch der Richtige für dich dabei. Möglichkeiten, jemanden kennenzulernen, hast du ja genug. Wenn du willst, könntest du bestimmt jeden Abend in einen anderen Club gehen und hättest sie in einem Jahr noch nicht alle durch.« Kate schüttelte den Kopf. »So wild ist es hier nun auch wieder nicht und im Übrigen fehlt mir das nötige Kleingeld, um mich jeden Abend ins Nachtleben zu stürzen. Mein Gehalt ist nicht allzu üppig.« Sie sah die Enttäuschung in Susans Gesicht. Ihre Schwester stellte sich das Großstadtleben bunt und spannend vor. Kate konnte es ihr auch nicht verdenken, schließlich war in Auburn der Hund begraben und die Jugendlichen waren gezwungen, entweder zu Hause bei ihren Eltern vor dem Fernseher zu versauern oder sich an irgendwelchen öffentlichen Plätzen zu treffen. Wieder einmal war Kate froh, ihre Heimatstadt hinter sich gelassen zu haben.

      »Warum versuchst du nicht, deine Bilder in einer Galerie auszustellen? Wer weiß, dem ein oder anderen gefallen sie vielleicht.«

      »Ach, das bringt doch nichts. Es gibt so viele junge, aufstrebende Künstler, da bin ich nur eine unter vielen. Du kannst nur etwas werden, wenn du aus der Masse herausstichst.«

      »Warum hast du auch dein Kunststudium geschmissen?«

      Kate schloss die Augen, der altbekannte Kloß steckte wieder in ihrer Kehle und sie musste schlucken. »Tut mir leid, ich hab das nicht so gemeint.« »Schon gut. Es ist halt nur, Mom und Dad haben mir ja vorausgesagt, dass man von der Kunst nicht leben kann.«

       Hinter Susan wurde eine Tür geöffnet und Kates Mutter, Alexa Wilson, steckte den Kopf herein. Mit ihrer blonden Kurzhaarfrisur und ihrer schlanken Figur, wirkte sie viel jünger als sie tatsächlich mit ihren 49 Jahren war.

      »Mit wem redest du da, Susan?« Kate sah, wie ihre Mutter neugierig auf den Monitor schaute. Als sie ihre Tochter erkannte, strahlte sie. »Ach du bist es Kate, ich habe ja schon so lange nichts mehr von dir gehört. Ich und dein Vater fingen schon an, uns Sorgen zu machen.« Kate unterdrückte den Wunsch, demonstrativ mit den Augen zu rollen.

       Jetzt geht das wieder los. Wann wird meine Mom endlich begreifen, dass ich erwachsen bin und mein eigenes Leben führe. Ach, sie wird mir den Umzug nach New York nie verzeihen.

      »Wann wirst Du uns wieder mal besuchen? Dein Vater meint, er wüsste gar nicht mehr, wie du aussiehst.«

      »Bald, aber momentan hab ich zu viel zu tun. Wir müssen auf der Arbeit Überstunden machen und…«

      »Du lässt dich ausnutzen. Ich habe es dir ja gleich gesagt, was erwartest du, wenn du einen solch miesen Job annimmst. Arbeiten sollst du bis zum Umfallen und