Tyra Reeves

Gottessöhne


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innerlich ab. Sie sah, wie sich die Lippen ihrer Mutter bewegten, aber die Worte schwirrten ungehört an ihr vorbei. Es war immer die gleiche Leier und meistens endete sie damit, dass ihre Mutter mit einem erwartungsvollen Blick die Frage stellte, wann sie wieder zurück nach Hause käme. Doch sie wollte nicht. Sie hatte genug von der spießigen Kleinstadt, in der es jedes Wochenende einen unausgesprochenen Wettbewerb gab, wer am schnellsten und am saubersten den Rasen vor dem Haus mähte. Und unter einem Dach mit ihren Eltern leben, das konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen.

      Als Alexa Wilson den Namen Ray fallen ließ, war sie wieder hellwach. »Ray? Hast du ihn getroffen?«

      »Das habe ich dir doch gerade erzählt.« Die Augenbrauen ihrer Mutter zogen sich verärgert zusammen. »Ich traf ihn vor dem Wal-Mart. Er hat nach dir gefragt.«

      »So? Was wollte er denn wissen?«

      »Wie es dir geht und ob du einen neuen Freund hast.« »Du hast ihm doch hoffentlich nicht darauf geantwortet, oder?«

      »Aber natürlich. Ich hab ihm erzählt, dass du dich in New York halb tot arbeitest und immer noch Single bist.« »Oh Mann, das geht ihn doch gar nichts an.«

      »Warum nicht? Ich habe das Gefühl, er macht sich immer noch Hoffnungen.«

      »Pah, er hat doch wieder eine Freundin.«

      »Ach, das ist doch nichts Festes. Wer weiß, wenn du dich öfters hier blicken lassen würdest, dann könnte es zwischen euch beiden doch wieder etwas werden.«

      »Nie und nimmer!«

      »Ich kann nicht verstehen, warum du dich so sträubst.« »Weil er mich gegen Ende unserer Beziehung nur noch kritisiert hat. An allem hatte er etwas zu meckern, sogar meine Figur hat ihm nicht mehr gepasst.«

      »Er hat deine Entscheidung nach New York zu gehen, um dort Bildende Kunst zu studieren, nie verstanden.« »Na klar, weil er von Kunst keinen blassen Schimmer hat.« »Es ist besser, wir reden über etwas Anderes, du wirst bei diesem Thema immer kribitzig.«

      Kate hätte am liebsten das Notebook zugeklappt. Sie suchte nach einer Möglichkeit, das Gespräch schleunigst zu beenden.

      »Was macht denn dein Asthma? Ist es schlimmer geworden?« Die Stimme ihrer Mutter klang besorgt.

      »Es geht schon. Das neue Spray ist ein echter Segen.« »Na ja, bei den ganzen Autoabgasen, da ist es auch kein Wunder.«

      Kate verschränkte die Arme. »Ich muss aufhören. Bangla und Desh haben Hunger und wollen ihr Futter.« »Gut, dann hören wir lieber auf zu reden. Schön, dass du dich gemeldet hast.«

      »Ja, bis dann und grüß Vater und Nathalie von mir. Meine jüngste Schwester bekomme ich ja so gut wie nie zu sehen.«

      »Du weißt ja, wie sie ist. Basketballtraining von morgens bis abends, das ist das Einzige, was sie im Kopf hat.« »Ja, ich weiß, du hast halt drei sehr unterschiedliche Töchter.« Nach kurzem Zögern antwortete ihre Mutter: »Und das ist auch gut so.«

      Nachdem Kate den Computer runtergefahren hatte, blieb sie mit geschlossen Augen auf dem kleine Sofa sitzen.

       Nie traut sie mir etwas zu. In ihren Augen habe ich in meinem Leben alles falsch gemacht. Die falsche Stadt, das falsche Studium, der falsche Job, falsche Freunde, bis auf Ray, den fand sie super und manchmal denke ich, das war auch der Hauptgrund, warum ich damals mit ihm gegangen bin. Einmal im Leben wollte ich es meiner Mutter recht machen. Am liebsten wäre es ihr, ich hätte einen anständigen Beruf gelernt, Bürokraft oder noch besser Managerin oder so, und ich hätte Ray geheiratet. Dann hätten wir, wie es in einer Durchschnittsfamilie üblich ist, 2,5 Kinder bekommen und mein größtes Glück hätte zuerst aus Windeln-Wechseln und später aus allmonatlichen Tupperware-Partys bestanden.

      Sie gab sich einen Ruck, räumte das Geschirr in die Spüle und schaltete den Fernseher ein. Sofort wurde ihre Aufmerksamkeit geweckt. Die Nachrichtensprecherin berichtete über mysteriöse Todesfälle von Haustieren in New York und Umgebung. Mehrere Tierärzte waren misstrauisch geworden, nachdem die Sterberate von ihren tierischen Patienten sprunghaft angestiegen war. Sie ließen die Todesursachen untersuchen, und zu ihrem Entsetzen war der Grund für die hohe Sterblichkeit ein neuartiges Gift in gängigen Futtermitteln. Der oder die Täter seien bisher unbekannt.

      Kate zog ihre beiden Katzen an sich und streichelte sie liebevoll. Was für ein Glück, dass ich euer Futter online bei einem Bioshop bestelle. Ich werde denen gleich noch heute eine Mail senden, ob euer Futter wirklich in Ordnung ist. Welcher Mensch macht denn so etwas Furchtbares und warum nur? Kate lief ein Schauer über den Rücken und sie wechselte den Fernsehkanal.

      In dieser Nacht träumte Kate wieder den gleichen Traum, doch diesmal wachte sie nicht nach dem bedrohlichen Grollen auf.

      Sie befand sich in einem dunklen, quadratischen Raum. Vor jeder der vier Wände hingen schwere, dunkelrote Vorhänge. Sie ging auf einen der samtigen Behänge zu. Vorsichtig schob sie den schweren Stoff beiseite und schritt durch die Öffnung. Ein dicker, glatzköpfiger Mann saß mit dem Rücken zu ihr auf einer schwarzen Ottomane. Um seine Hüften war ein blutrotes Tuch geschlungen, ansonsten war er nackt. Sehr langsam begann sich die Ottomane zu drehen. Eine dunkle Vorahnung überkam Kate.

      Hastig kehrte sie um und trat wieder in den quadratischen Raum zurück. Auf der gegenüberliegenden Wand gab der nächste Vorhang die Sicht auf eine weitere Szenerie frei. Kate schnappte erschrocken nach Luft, als sie ihr Ebenbild erblickte. Sie sah sich in einem dunklen Teich stehen. Das schwarze, trübe Wasser reichte ihr bis zu den Schultern, ihre Augen waren geschlossen. Bleiche Tierschädel, mit leeren Augenhöhlen, schwammen um sie herum. Sie sah sich selbst die Lippen bewegen, konnte aber nichts hören. Als sie nähertrat, fiel der rote Vorhang herab. Aus dem Augenwinkel nahm sie einen schwachen rötlichen Lichtschein wahr. Sie drehte sich nach links und schritt auf das Licht zu, welches durch einen dünnen Vorhang schimmerte. Als sie den feinen Stoff zur Seite schieben wollte, zerfiel er in ihren Händen und verwandelte sich in Spinnweben, die sich in ihren Haaren verfingen. Voller Ekel riss sich Kate das Gespinst vom Kopf, taumelte, fiel und rutschte durch die frei gewordene Öffnung in den dahinterliegenden Raum.

      Dort saß eine rothaarige Frau seitlich zu ihr, mit nacktem Oberkörper und hochgestecktem Haar, auf einem großen Kissen, das sich, wie die schwarze Ottomane in dem ersten Raum, langsam zu drehen begann. Schützend hatte sie ihre Arme um die Knie geschlungen. Als die Sicht auf ihren Rücken frei war, bemerkte Kate, dass auf den Schulterblättern zwei lange Wunden klafften. Hautfetzen hingen lose herab. Kate wirbelte herum, sie wollte hier raus. Doch wo eben noch der zerbröselte Stoff gehangen hatte, war jetzt nur noch eine undurchdringliche Wand.

      Verwirrt trat sie einen Schritt zurück und ihre Wade stieß gegen einen Widerstand. Zögernd drehte sie ihren Kopf nach hinten und erblickte erneut den kahlköpfigen, halbnackten Mann, der weiterhin reglos auf der sich unermüdlich drehenden Ottomane verharrte. Gleich würde sie sein Gesicht sehen. Doch das wollte sie nicht, nein, das wollte sie ganz und gar nicht. Wie hypnotisiert starrte sie weiterhin auf den Mann, der ihr langsam und unabwendbar sein Gesicht zuwandte. Sie schrie, aber kein Ton entwich ihrer Kehle und dann sah sie es. Er hatte keine Augen! Dort wo seine Augen sein sollten, war nichts. Nur glatte Haut. Plötzlich, unendliche Dunkelheit. Der Boden unter ihren Füßen glitt zur Seite und sie fiel in ein großes, schwarzes Nichts. Laut schreiend wachte sie auf..

      KAPITEL 2

      Die drei Frauen erregten großes Aufsehen, als sie den mondänen Strip-Club betraten. Ihre Haarfarben, schwarz, haselnussbraun und rotblond, durchdrangen das eintönige Grau des von Rauch geschwängerten Raumes. Die schwarzhaarige Frau strich pantherartig zwischen den Tischen und Stühlen des Clubs in Richtung Theke. Ihre Kleidung bestand aus einem durchsichtigen, langen Rock, der an beiden Seiten bis zur Hüfte geschlitzt war. Goldene Ornamente, mit der der dunkle, duftige Stoff bestickt war, blitzen bei jeder ihrer anmutigen Bewegungen auf; lange, perfekt geformte Beine ließen den Rock bei jedem Schritt tanzen. Ein knappes, durchscheinendes, schwarzes Top, dessen goldenes Muster ihre vollkommenen Rundungen noch stärker betonten, schmiegte sich um