Siegfried, Hans Hofmann

HOO


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leicht trockener Kehle und Atem holend. Ziemlich schlapp streckte er sich ein wenig in die Länge. Erwartungsvoll umfasste er einen der biegsamen Trinkhalme, zog sich daran hoch und stülpte seine breiten Lippen über die Öffnung. Dürstend saugte er. Dabei schlürfte er so laut, dass sich die staunenden Blattläuse zeitweise ihre winzigen Ohröffnungen zuhielten.

      „Mmmhh! Aaahh! Köstlich, köstlich süß“, brabbelte Hoo und rülpste geräuschvoll. „Ohh, äh, 'Tschuldigung, ihr Lieben. Der Apfelsaft schmeckt primissima! Ein großartiges Getränk. Da werde ich, äh, ganz bestimmt wieder voll fit!“

      Nachdem Hoo sich mit einigen weiteren, tüchtigen Schlucken aus dem Trinkhalm versorgt hatte, legte er eine kurze Schlürfpause ein. Seine neuen, niedlichen Lausbekanntschaften hockten schaulustig neben ihm auf dem ungespritzten, glänzenden Bio-Apfel. Freundlich, mit musternden Augen, blickte er zu ihnen hinab. Sogleich wollte er das Läusepärchen dazu ermuntern, ihm beim Trinken Gesellschaft zu leisten.

      „Habt ihr denn, äh, gar keinen Durst?“, wollte er von ihnen wissen.

      „Doch, doch, ja, eigentlich schon!“, antwortete Mucks mit gedämpfter Stimme. Seine trockenen Lippen ahmten ein schmatzendes, saugendes Geräusch nach.

      „Hunger oder Durst, Fressen oder Saugen – egal! Hauptsache ist doch, dass es satt macht!“, piepste Birne da schon etwas kecker.

      „Und schmeckt!“, hakte Mucks entschieden nach. Birne nickte.

      „Ähm, hattest du vorher nicht von einem Begrüßungstrunk gesprochen, lieber Hoo?“, wollte Birne nun wissen. Sie schaute ihm dabei unerschrocken in die blauen Augen.

      „Äh, ja, klar, dazu wollte ich euch gerade einladen.“ Hoo lächelte. „Also, ihr süßen Blatt-läuse, äh, dann schaut doch bitte mal hierher!“

      Wohlgefällig deutete Hoo auf eine kleine, runde Vertiefung, die sich in der Mitte seines glänzenden, fülligen Wasserbauchs befand. „Hieraus dürft ihr gerne saugen. Wie ich schon sagte, äh, mein Wasser ist sehr gesund und, äh, frisch aus den Wolken! Setzt euch doch, äh, bitte auf mich und bedient euch! Nur keine Scheu! Zum Wohlsein! Birne und Mucks, es wäre mir wirklich eine große, große Freude!“

      Das ließen sich Birne und Mucks nun wirklich nicht zweimal sagen. Hocherfreut und Hand in Hand sprangen sie vertrauensselig auf seine hochelastische, äußerst strapazierfähige Wasserhaut. An der nabelähnlichen Bauchmulde angekommen, senkten sie durstig ihre grünen Köpfchen. Genüsslich saugten sie die winzigen Tröpfchen himmlischen Wolkenwassers – und konnten nicht genug davon bekommen.

      STURZ AUS DEN WOLKEN

      Es waren wohl einige Minuten verstrichen, bis sich Hoo und das Blattlauspärchen ausgiebig verköstigt hatten. Nun ergriff Mucks als Erster das Wort.

      „So! Jetzt sind wir alle bestens mit Flüssignahrung versorgt. Findest du nicht auch, liebste Birne, dass es hier recht gemütlich ist?“

      „Voll urgemütlich, Mucksischatz. Ja, das gefällt mir“, piepste sie entzückt. Dann wandten beide ihr Gesicht dem spendablen Regentropfen zu. „Außerdem haben wir noch nie so ein erquickendes und zugleich kräftigendes Wässerchen getrunken. Danke schön, lieber Hoo“, bedankte sich Birne höflich.

      „Stimmt“, sagte Mucks. „Dein Begrüßungstrunk hat echt lecker geschmeckt und macht auch ganz schön satt.“ Dabei guckte er auf sein gefülltes Bäuchlein. „Auch ich sage Dankeschön, lieber Hoo!“

      „Nichts zu danken, ihr Lieben“, entgegnete Hoo beschwingt. Durch die ausreichende Zufuhr des nährstoffreichen Apfeldrinks fühlte er sich innerlich frisch gestärkt. „Wenn euch, äh, mein Wasser mundet und es euch auf meinem Bauch so gut gefällt, bleibt doch einfach noch sitzen! Ich denke, fürs Erste werde ich mich ohnehin auf das Nötigste beschränken, mit meinen Kräften haushalten, und, äh, hier auf der schattigen Apfelsafttankstelle ausharren müssen. Deshalb werde ich auch gleich, äh, eine bequemere Sitzhaltung einnehmen. Überdies, äh, tut mir eure Gesellschaft so richtig gut.“

      „Au ja, das ist supertoll, Hoo“, antwortete Birne frohgemut. „Da können wir ja noch länger miteinander babbeln.“

      „Mit Vergnügen, liebe Birne, mit Vergnügen“, stimmte Hoo frisch und fröhlich bei. „Unterhalten wir uns ein bisschen. Das beflügelt den Geist und macht zudem, äh, großen Spaß!“

      Schon sehr gespannt, begann Mucks ihm nun einige Fragen zu stellen, die seit geraumer Zeit durch sein Köpfchen geisterten und ihm jetzt auf den Lippen brannten. „Apropos babbeln und unterhalten! Hoo, möchtest du uns nicht erzählen, was vorgefallen ist? Ich meine, wie bist du denn aus heiterem Himmel hierhergekommen? Bei deiner Ankunft hattest du davon gesprochen, du seist aus den Gewitterwolken geplumpst. Die waren aber doch schon längst über unseren Apfelbaum hinweggezogen, als wir auf dich aufmerksam wurden?“

      „Ja, ja, ja, bitte, Hoo!“, flehte Birne inbrünstig. „Bitte erzähle es uns.“ Schmachtend fügte sie hinzu: „Du liebe, liebe Güte! Wie lange hab ich schon keine gute Geschichte mehr gehört? Hach, wo ich Geschichten doch sooo liebe! Deine Geschichte ist bestimmt voll spannend, gell?“

      Erwartungsvoll schauten sie in seine himmelblauen, wässrigen, doch auch etwas wehmütig dreinblickenden Augen.

      „Nun, ja, äh, Donnerwetter! Da hast du aber gut aufgepasst, Mucks“, ging Hoo auf seine zuletzt gestellte Frage ein. Staunend blickte er zwischen der freudestrahlenden Birne und ihrem wissbegierigen Läusemann hin und her. Die hohe Stirn in Runzelwellen gelegt, versuchte er seine Gedanken zu ordnen. „Lasst mich mal überlegen. Ihr, äh, wollt also wirklich, dass ich euch, äh ...?“

      „Ja, ja, ähm, die ganze Geschichte, wenn's recht ist“, fiel Birne ihm ins Wort. Sie klatschte mit den Händchen und konnte es kaum erwarten. „Bitte Hoo, bitte, bitte!“

      „Erzähl doch einfach drauf los, Hoo“, bat ihn Mucks mit weniger aufgedrehter Stimme. „Wir hören dir liebend gerne zu.“ Beide nickten.

      „Okay, okay! Warum, äh, eigentlich nicht? Genau genommen ist das sogar eine prima Idee von euch. Und, äh, Zeit habe ich ja auch“, willigte Hoo schließlich ein. „Äh, dann aber von Anfang an!“

      „Jaaaaahh! Hoo, das ist super himmlisch!“ Birne piepste in den höchsten Tönen. Voller Entzücken umarmte sie ihren nickenden Mucksischatz. Auf sein grünes, knollig rundes Mininäschen schmatzte sie einen dicken Kuss.

      „Also, ich, äh, hmm ...!“ Hoo brummelte noch einige Sekunden nachdenklich vor sich hin. Unterdessen hatte er sich so behutsam neben den jederzeit greifbaren Trinkhalm gesetzt, dass die zierlichen Blattläuse nicht von seinem Bauch hinabkullern konnten. So fing Regentropfen Hoo also an, den winzigen Apfelbaumbewohnern seine bisherige Geschichte zu erzählen ...

      „ES WAR EIN WUNDERSCHÖNER TAG, als ich in die Schwerelosigkeit einer feuchtwarmen, weißen Sommerwolke hineingeboren wurde. Zusammen mit unzähligen Wassertropfenbabys lag ich auf einem weichen, schäfchenweißen Wolkenkissen. Wir alle ernährten uns von nährstoffreicher Wolkenwatte und gehaltvollem Wolkenwasser. Schnell wuchsen wir heran, wurden größer und kräftiger. Tagsüber hüpften wir ausgelassen in unserer unmerklich über dem Meer dahinziehenden Mutterwolke umher. Wir machten so unsere Späßchen. Eines unserer Lieblingswasserspiele war es, uns gegenseitig nass zu spritzen, wodurch wir fortlaufend viele kleine, siebenfarbige Regenbogen an den unendlichen Himmel zauberten.

      Bereits nach zwei Tagen konnte ich einigermaßen selbständig und völlig frei in unserer Wolke umherrollen, krabbeln, dann gehen, hüpfen und laufen. So ging ich schon am darauffolgenden Tag in unsere allseits beliebte Wolkenschule, um meinen unbändigen Wissensdurst zu stillen. Weil ich jedoch von Geburt an immer dicker wurde und beim spielfreudigen Herumtoben tollpatschig oft auf, äh, meinen Schnorchel geplumpst bin, nannten mich meine engsten Freunde und Spielkameraden bald nur noch ‚Hoo‘.

      Ja, also, äh, ich muss schon sagen, für mein junges Leben war ich sogar auffallend dick! Ohne ersichtlichen Grund war ich schneller als alle anderen Wassertropfen