Siegfried, Hans Hofmann

HOO


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und plumpste los, meinen schlankeren Freunden und unzähligen anderen Wassertropfen hinterher. Manche von ihnen hatten sich flink zusammengetan, um als größere Tropfengemeinschaft vereint, schneller vorwärtszukommen.

      So ziemlich als Letzter erreichte ich schweißgebadet den riesigen, hufeisenförmig gebogenen Eingang der einzig aus Wasser gebildeten Wetterhalle im Zentrum unserer Riesenwolken. Erleichtert darüber, dass ich noch rechtzeitig angekommen war, hüpfte ich hoffnungs- und erwartungsvoll über die flachwässrige Schwelle hinein.

      ‚Wwwsssswwwwwuschschsch!‘, rauschten die Wassermassen hinter mir ineinander. Das Wasserportal hatte sich zu einer stabilen Wasserwand geschlossen. Vor mir tat sich ein kaum überschaubares, gigantisches Gewölbe auf. Überall wimmelte es von schwatzenden Wassertropfen aus aller Herren Wolken. Weiß flirrende, herumsausende Lichtstrahlen blendeten mich. An den feuchten, perlmuttartig schimmernden Wasserwänden brachen sich die grellen Lichtattacken. Es roch nach tiefgekühltem Eis. Mir wurde kalt und es fröstelte mich.“

      „Tropfen! – Volk der Wassertropfen!“, dröhnte plötzlich die laute, metallene Stimme des Botschafters durch die kühle, wellentunnelartige Wetterhalle. Fast schlagartig verstummte das Stimmengewirr.

      „Ich, Rainer Celsius, Botschafter im Auftrag des ‚Globalen Wettermeisters‘, werde euch hier und jetzt eurer Bestimmung zuweisen!“

      Ein anschwellendes Raunen ging durch die Menge. Nach einem eisscharfen „Ich bitte um absolute Ruhe!“, des bekannt strengen Botschafters horchten alle Tropfen willig und gespannt auf.

      „Am Ende dieses Gewölbes, in der Mitte durch eine blauweiß gestreifte, dünnschichtige Wasserwand getrennt, befinden sich zwei auffällig beleuchtete Schleusen. Rund und blau die eine, quadratisch und weiß die andere. Könnt ihr alle die beiden Schleusen sehen?“

      „Jaaaaahhhh!“, schallten millionenfach Tropfenstimmen durch das gigantische Wassergewölbe.

      Weit vorne sah ich die beiden mächtigen Schleuseneingänge. Hoch und hell beleuchtet. Himmelblau und kreisrund. Polarweiß und viereckig. Der Frage von Rainer Celsius hatte auch ich mit einem lauten „Ja!“ zugestimmt.

      „Gut! Dann hört jetzt genau zu! Ich werde mich nicht wiederholen!“, befahl die eiserne Stimme des unsichtbaren Botschafters.

      Nach diesen ermahnenden Worten war es in der riesengroßen Versammlungshalle so unglaublich still, dass man jeden Tropfen hätte platschen hören können. Als die Worte des Botschafters dann laut und abrupt dieses unheimliche Schweigen zerrissen, wären viele junge Wassertropfen – so wie auch ich – vor lauter Schreck beinahe umgepurzelt.

      „Volk der Wassertropfen! Hört! Hört mir zu! Die in der ‚Globalen Verordnung für Wasserwesen‘ umfangreichen und gesetzlich angeordneten Wetterbestimmungen für die sogleich beginnende Gewitteraktivität besagen: Alle gesunden, schlanken und jungen Wassertropfen begeben sich rechts der Wasserwand durch das runde, blaue Wasserportal in die Regenkammer! Alle kranken, dicken und älteren Wassertropfen müssen links der Wasserwand durch das eckige, weiße Eisportal in die Eiskammer! Schlank geht vor alt!!! Dick geht vor jung!!! Das vom Globalen Wettermeister bestimmte ‚Sommergewitter Nr. 22‘ wird in wenigen Minuten beginnen. Beeilt euch beim Hineingehen! Beide Schleusen, Wasser- und Eisschleuse, werden in Kürze geöffnet! Ungehorsam wird unwiderruflich mit Gefängnis in der Hitzekammer bestraft! Also, Volk der Wassertropfen! Macht euch bereit für euren Einsatz!“

      „Macht euch bereit!“, wiederholte der Botschafter schrill, fordernd und unumstößlich!

      „Ich euer Botschafter Rainer Celsius, und unser Globaler Wettermeister wünschen euch allen einen Guten Flug und eine sichere Landung auf der Erde! Donner und Blitz werden euch begleiten. Auf Wettersehen!“

      „Aus! Ende! Basta!“, schnaubte Hoo entrüstet. „Das waren seine gnadenlosen, ernüchternden Worte. Ich, äh, fiel aus allen Wolken! Begreift ihr, was das für mich bedeutete? Begreift ihr das? Birne? Mucks? Das, äh, sollte meine Bestimmung sein?“ Ein zornmütiges Aufblitzen war in seinen Augen zu erkennen. „Äh, nur weil ich so dick geworden bin und vielleicht ein wenig tollpatschig erschien, sollte ich zusammen mit den vielen kranken, dicken und älteren Wassertropfen in die Eiskammer?“

      „In die Eiskammer!“, plärrte Hoo noch einmal und zitterte vor Aufregung am ganzen Leib.

      „Nur ruhig Wasser, Hoo. Bleib cool. Wir sind ja bei dir“, versuchte Birne besänftigend auf ihn einzuwirken. Das Körperzittern ihres aufgebrachten Regentropfenfreundes hatte sich wie ein leichtes Vibrato auf ihre piepsige Stimme übertragen. Wie von selbst klammerte sie sich fester an ihren Mucks. Dann stupste sie ihm merklich in die Seite. In drängendem Zitterton flüsterte sie ihm in die Ohrmuschel: „Sag' doch auch etwas, Mucksischatz, bitte!“

      „Oh. Ja, ge-genau! Jetzt nur nicht aufregen!“, stammelte Mucks. „Hoo, es ist ja vorbei. Hier bei uns gibt es glücklicherweise keine Kammern, welcher Art auch immer. Du hast also nichts mehr zu befürchten! Nein, nichts, – hm, rein gar nichts!“

      Hoos Körpererregung hatte sich leicht abgeschwächt. Stattdessen wechselte sein Gesicht chamäleonrasch die Farbe.

      „Ähm, lieber guter Hoo, was ist denn dann in der Eiskammer geschehen?“, wollte Birne nun wissen. Sie war aufs Äußerste gespannt.

      „Äh, d-das, das war sooo sch-sch-schrecklich!“, stotterte Hoo fahlbleich. Ziemlich aufgewühlt fuhr er mit seiner abenteuerlichen Geschichte fort.

      „Wisst ihr, d-da, da, äh, werden a-alle Tropfen zu Hagelkörnern vereist, um hinterher als heftiger Hagelschauer auf die Erde niederzuprasseln. Stellt euch das doch mal bildlich vor? Ich, äh, der liebe, gute, junge Hoo, der nie etwas Böses getan hat und auch niemandem etwas zuleide tun will, sollte als extradickes Hagelkorn unter einer Meute Hagelschläger auf die Erde fallen und Schaden anrichten! Vielleicht mit allen anderen ein Getreidefeld vernichten? Ein Auto zerdellen, oder, äh, ein Dachfenster einschlagen? Gar ein kleines, unschuldiges Insekt erschlagen? Wer weiß, vielleicht hätte ich nicht nur etwas beschädigt? Genauso hätte ich mich dabei auch selbst verletzen können? Schlimmer noch, wäre ich, äh, womöglich als Hagelkorn zu Tode gekommen?“

      In seinen Adern kochte das Wasser. Sein kleines Herz klopfte so heftig, dass Birne und Mucks es nicht nur hören, sondern auch spüren konnten. Er hatte sich so in Rage geredet, dass sein ganzer Wasserkörper zitterte und erbebte.

      „NIEMALS!!!“, stieß Hoo einen gellenden Schrei aus. Wutentbrannt, ja wie von Sinnen, sprang er auf. Er stampfte mit seinen kurzen, drolligen Wasserfüßen so fest auf die Oberflächenschale der Apfelsafttankstelle, dass es aus beiden Trinkhalmen nur so spritzte.

      Zutiefst erschrocken hüpften Birne und Mucks hinab auf die glatte Apfelfläche. Gar verängstigt huschten sie hinter den braunen Blütenstängel in die Mulde. Beinahe wären sie auf der glitschnassen Schale des Apfels auch noch ausgerutscht.

      „Oh, äh, Himmel, Apfelsaft und Zornausbruch! Birne, Mucks, ich, äh, wollte euch keinen Schrecken einjagen. Verzeiht mir bitte mein zorniges Aufbrausen. Da, äh, ist wohl mein Temperament mit mir durchgegangen“, entschuldigte sich Hoo sofort und geradeheraus, nachdem ihm aufgefallen war, was er im ungewollten Moment heftigster Erregtheit angerichtet hatte. „Vor lauter Aufregung habe ich, äh, ganz vergessen, dass ihr auf mir sitzt. Das war dumm von mir. Äh, ich bitte euch sehr, ihr lieben Blattläuse, kommt doch wieder her“, flehte Hoo – und weinte. Dicke Tränentröpfchen quollen aus seinen himmelblauen, leicht geschwollenen Augen. Nur allmählich nahm seine Gesichtsfarbe wieder ihren ursprünglichen, bläulichen Teint an.

      Zuerst zögerten Birne und Mucks. Doch als Hoo nicht aufhörte, bitterliche Tränen zu vergießen, trauten sie sich wieder aus ihrem Schlupfwinkel hinter dem Blütenstiel hervor. Langsam krabbelten sie zu ihm hin. Behutsam streichelten sie über seine tränenfeuchte, blanke Haut.

      „Ach du lieber Himmel!“, stieß Birne mitfühlend aus. Sie schlug die Hände über ihrem Köpfchen zusammen und suchte nach tröstenden Worten. „Das muss ja voll schlimm für dich gewesen sein!“

      „Ja, schlimmer als voll schlimm!“, sagte Mucks. Sie