Siegfried, Hans Hofmann

HOO


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So kam ich zu meinem originellen Rufnamen, der mir dann auch geblieben ist.“ Ein glückliches, sanftmütiges Lächeln strahlte aus seinen himmelblauen Augen. „Ich selbst jedenfalls finde, dass dieser Name gut zu mir passt. Er gefällt mir, klingt richtig schön, – und sogar, wie ich meine, fast schon himmlisch!“

      „Ja, Hoo, das finden wir auch“, piepsten die Blattläuse ihm einstimmig zu.

      „Hm, klingt irgendwie auch ein bisschen geheimnisvoll“, fügte Mucks noch an.

      Birne fragte Hoo mit neugierigem Blick: „Du bist auf deinen Schnorchel geplumpst? Hm. Hast du dir denn dabei nicht wehgetan? Und, ähm, Hoo, was bitte schön, ist ein Schnorchel?

      „Oh, äh, ach ja, natürlich, mein Schnorchel!“, fasste Hoo sich kurz an die hohe Stirn. „Woher solltet ihr das auch wissen?“

      Seine Antwort folgte prompt. „Also, in einer Wolke hinzufallen ist keine tragische Sache, als Wassertropfen fällt man da glücklicherweise immer weich. Und, äh, ein Schnorchel ist für uns Wasserwesen das, was ihr irdischen Geschöpfe zumeist als Nase bezeichnen würdet.“

      „Ach ja? Wo hast du denn deine Schnorchelnase?“, fragte Mucks etwas irritiert. Spitzläusisch suchte er sein Gesicht ab. „Ich kann lediglich ein winziges, blassblaues Pünktchen über deinem Mund erkennen.“

      „Ist-das-da-dein-Schnorchel?“ Birne guckte äußerst misstrauisch aus ihrer grünen Wäsche und deutete auf den klitzekleinen Blaupunkt. „Das kann nicht sein! Gell, Hoo, du führst uns am Schnorchel, ähm, an der Nase herum?“

      „Nein, tu ich nicht, liebe Blattläuse, das ist mein Schnorchel!“, behauptete Hoo lachend. „Überraschung! Seht her und passt genau auf!“ Umgehend lieferte er ihnen den sichtbaren Beweis.

      Birne und Mucks trauten ihren Augen nicht, als sie zusehen konnten, wie Hoo seinen Schnorchel anschwellen ließ. Das winzige Pünktchen hatte sich binnen weniger Sekunden zu einem rüsselartigen Ding ausgestülpt. Es sah aus wie der ausgefahrene Fühler einer Schnecke. Mit dem augenfälligen Unterschied, dass sich nicht, wie bei den Schnecken, ein Auge obenauf befand, sondern die Schnorchelöffnung! Hoo schlenkerte sein außergewöhnliches Geruchsorgan wie einen Mini-Elefantenrüssel hin und her. Aus der Schnorchelspitze nahm das staunende Blattlauspärchen ein hörbares Schnuppern wahr. Hoo nutzte die Gelegenheit, die Umgebung zu erschnüffeln.

      „Gell, da staunt ihr?“

      „Zooooommm! Voll krass! “, piepste Birne. Vor lauter Schnorchel schauen blieb ihr der Mund offenstehen.

      „Aha. Das is' echt ‘n Ding!“, ergänzte Mucks voll beeindruckt. Er guckte sich Hoos ausgewachsenes, wasserfarbenes Riechteil genauer an. „Sooo beweglich!“

      „Flexibel und megaschnell!“, rief Hoo verbessernd. Sogleich führte er seinen Blattlausfreunden mehrmals wiederholend vor, wie rasch die ungewöhnliche Ausstülp- und Einziehtechnik seines Schnorchels funktionierte. Millisekunden schnell!

      Birne und Mucks staunten und staunten, doch konnten sie sich ein pubertär schüchternes Kichern nicht verkneifen. „Das ist ja wahnwitzig rasant und lustig. So ein schnuckeliges Spielzeug“, ereiferte sich die Läusedame.

      „Tolles Teil!“, fügte Mucks überaus fasziniert noch an. „Was es nicht alles gibt?“

      „Das kann man wohl so sagen, meine Freunde.“ Da Hoo nun schon mal dabei war, auf die raffinierten Funktionen seines außergewöhnlichen Schnorchels einzugehen, setzte er gleich noch eins drauf. „Das Beste aber, liebe Blattläuse, ist, dass Wasserwesenschnorchel, wie übrigens alle Atemwege, also auch der Mund-Rachen-Raum, absolut schleimhaut- und keimfrei sind. Äh, Nasenschleimhäute sind halt nur was für Nasen. Demgegenüber haben unsere Schnorchelorgane den großen Vorzug, dass sie innerlich nie tropfen oder zu trocken werden. Dadurch sind wir vor ekligem Nasensekret, schleimigem Schnupfen, oder, äh, einer dauerhaften Erkältung, will sagen ‚Husten-Schnupfen-Heiserkeit‘ stets gefeit. Wir benötigen also, im Gegensatz zu den empfindlichen Menschennasen oder manch einem Geruchsorgan von verwöhnten Haustieren, keine Schleimhautabschwellenden Sprays, Tropfen, Salben, Nasenduschen oder irgendwelche andere Infekt-Blocker und müssen, äh, auch nicht niesen oder schnäuzen. Die Verwendung von Taschentüchern fällt also ebenso weg wie das leidige Aufsuchen eines Arztes, da wir als Schnorchelträger einen derart schlimmen, fiebrigen oder gar chronisch werdenden Infekt, ausgelöst durch Viren oder Bakterien, überhaupt nicht bekommen können. Äh, Nasenbesitzer sind da wahrlich nicht zu beneiden!“

      „Cool! Das ist sooo cool!“, piepste Birne. Ihre Augen blitzten kurz auf. Ein wenig neidvoll zupfte sie an ihrem kugelrunden, grünen Mininäschen herum.

      „Über wie auch unter Wasser stehen mir vier gleichwertige Gebrauchsmöglichkeiten zur Verfügung“, erklärte Hoo weiter. „Ich, äh, kann meinen Schnorchel verschließen, dann atme ich über die Haut. Ich kann damit Flüssigkeit einsaugen und in den Körper weiterleiten, ohne, äh, den Mund voll zu kriegen. Zum Spaß oder auch zur Verteidigung kann ich wie mit einer multifunktional einstellbaren Schlauchdüse damit umherspritzen. Und viertens kann ich mit meinem Schnorchel verdammt gut riechen. Jedem einzelnen Geruch der näheren Umgebung kann ich auf die Spur kommen und ihn klar zuordnen, sofern mir der Duft und oder das Objekt bekannt ist. Meine Lieblingsfunktion ist deshalb das intensive Schnuppern. Es gibt so herrliche Gerüche! Mmmhhhh, dufte, hier riecht es unter anderem nach herb würzigen Apfelbaumblättern, saftig süßem Fruchtfleisch, äh, nach wohlschmeckendem Apfelsaft, und ihr beide?“, – er lenkte seinen Schnorchel kurz in ihre Richtung –, „ihr riecht süßlich, – nach Honigtau! Auch nicht schlecht. Jedenfalls, liebe Blattläuse kann ich euch, äh, gut riechen.“

      Hingerissen hatte das Blattlauspärchen ihm zugehört und seinen Superschnorchel ausreichend bewundert. Dass er den ihnen anhaftenden Geruch, der durch die Absonderung überschüssigen Zuckers entsteht, sofort erkannte und sogar als angenehm empfand, verblüffte sie und tat ihnen wohl. Bevor er jedoch auf die Idee kam, seiner Schnupperlaune noch mehr nachzugeben, drängten sie darauf, dass er seine Geschichte nun fortsetzen möge. Mucks forderte ihn humorvoll dazu auf.

      „Mein lieber Scholli! Mit deinem multitollen Superschnorchel hast du aber gewaltig die Nase vorn. Doch erzählst du jetzt bitte weiter, lieber Hoo? Ich und Birne – wir – wir meinen ...?“

      „Ja, erzähl' bitte deine spannende Geschichte weiter, bitte, bitte!“, piepste Birne verlangend dazwischen. Liebevoll kuschelten sie sich wieder neben der Trinkmulde aneinander. Auf Hoos Bauch fühlten sie sich geborgen wie in einem großen Wasserbett.

      Hoo kam ihrer Bitte natürlich gerne nach. Umgehend zog er sein immens verlängertes Schnorchelteil wieder auf Pünktchenstellung zurück. Durstig bog er sich den Trinkhalm zum Mund, schlürfte kräftig Saft daraus und rülpste, wofür er sich bei den Blattläusen gleich wieder entschuldigte. Hier im Apfelbaum unterstand er jedoch keinerlei gesellschaftlichen Benimmregeln. Eigentlich brachte er mit seinen oralen Rülpsgeräuschen nur zum Ausdruck, dass ihm der gesunde Saft bestens mundete. Birne und Mucks zeigten für seine Natürlichkeit volles Verständnis. Dann nahm er den eigentlichen Faden seiner Lebensgeschichte wieder auf.

      „NUN, ÄH, UNSERE WEISSE MUTTERWOLKE wurde von einem lauen, sanften Westwind immer weitergetrieben. Tagelang schwebten wir über dem unermesslichen Ozean dahin. Salzreiches Meerwasser, so weit das Auge reichte! Oft schaute ich träumerisch auf das endlose, satte Blau des Meeres hinab. Unsere Sommerwolke und auch alle anderen Schäfchenwolken warfen riesenhafte Schatten auf die Wasseroberfläche. Manchmal schien es, als würden alle Wolkengebilde im tiefen Meerwasser umherschwimmen und spaßeshalber bewegtes Schattentheater spielen. Ab und zu konnte ich sogar eine Delfinfamilie und Tümmler beobachten. Liebend gerne schaute ich ihnen zu, wie sie flink und vergnügt durchs klare Wasser sausten, tauchten und sprangen. Am Horizont erblickte ich hin und wieder auch große, mit verschiedenfarbigen Containern schwer beladene Frachtschiffe. Auch ein riesiges, rostrotschwarzes Tankschiff zog eines Tages ganz in der Nähe vorbei. Mir war aufgefallen, dass der lecke Seelenverkäufer eine dünne, ölige Spur im salzig aufsprudelnden Heckwasser hinterließ. Einmal sogar – fällt mir gerade ein –, durchpflügte direkt unter uns eines dieser megagroßen Kreuzfahrtschiffe mit seinem spitzen Bug