Andreas Preiß

Tod am Fließ - Zaplinski ermittelt


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Als wäre innere Sicherheit zu managen wie ein Wirtschaftsunternehmen.

      Dieter Zaplinski ging langsam auf die Sechzig zu und war Polizist aus Überzeugung. Seit zehn Jahren leitete er die Mordkommission Nord bei der Wittenauer Kripo. Die stressige Arbeit schien ihm, der frei von jedem belastenden familiären Anhang und sonstigen privaten Verpflichtungen war, wie auf den fülligen Leib geschneidert. Ruf-Bereitschaften, Alarmierungen, haufenweise Überstunden, das juckte ihn nicht. Und beim Feierabendbier trudelte er oft als Letzter nach Hause. Na ja, dahin halt, wo das zuletzt in grauer Vorzeit frisch bezogene Schlafsofa ihm die Gelegenheit zum Ausschlafen bot. Genau dort lag er nun und kramte in seinem schummrigen Schädel nach Informationen.

      „Freier Tag“, kombinierte Zaplinski, da der Wecker ihn nicht mit „We will rock you“ von Queen geweckt hatte.

      „Hell … könnte morgens sein …“, schlussfolgerte Zaplinski weiter, nachdem er zögerlich wieder ein Auge geöffnet hatte.

      Er nötigte das zweite Augenlid ebenfalls dazu, sich nach oben zu heben. Das Display des Radioweckers stanzte rote Ziffern in seine Netzhäute. Sein Gehirn fügte sie träge zu einer brauchbaren Information zusammen: 12:45 Uhr.

      Zaplinski warf einen Blick auf die Smartwatch, die seine Kollegen ihm zum 40-jährigen Dienstjubiläum geschenkt hatten. Sie zeigte die gleiche Uhrzeit.

      „SUN“, teilte ihm das Display mit, Sonntag. Er hatte die Uhr schätzen gelernt, fand es nützlich, Anrufe damit anzunehmen, Wetterbericht und Sportnachrichten am Handgelenk zu lesen. Leider zählte das Gimmick auch Schritte. Nach jeder bewegungsarm am Schreibtisch oder Tresen verbrachten Stunde nervte die Uhr ihn mit einem energischen Brummen. Ein hektisch im Display mit den Armen ruderndes Männlein forderte ihn dann zu körperlicher Aktivität auf.

      „Sie sitzen zu lange!“, stand dann da.

      Zaplinski, der seinen mangelnden Bewegungsdrang im Gegensatz zu seiner Uhr und den lieben Kollegen überhaupt nicht änderungsbedürftig fand, pflegte dem Strichmännchen mit der anderen Hand ein paar Mal zurück zu winken. Das gab dann wieder eine Stunde Ruhe.

      Wie man den Quälgeist abstellen konnte, das hatte er noch nicht herausgefunden.

      Zaplinskis massiger Körper verspürte immer noch den dringenden Wunsch weiter liegenzubleiben und er klappte beide Augenlider schützend wieder zu. Aber volle Blase und schmerzender Rücken ließen sich partout nicht mehr ignorieren. Es half alles nichts, er würde aufstehen müssen.

      Er zwinkerte ein paar Mal den Schlaf weg und öffnete schließlich vorsichtig die Augen. Dann tastete er nach dem Apnoe-Gerät, das nachts Luft mit Überdruck in seinen Schlund presste und damit das Schnarchen verhinderte. Verdiente Strafe für übermäßigen Lebensmittel-und/oder Alkoholkonsum. Er fand den Aus-Knopf und das Brummen des Kompressors erstarb.

      Das ganze Konstrukt mit der Nasenmaske und dem flexiblen Luftschlauch ließ ihn wie eine in die Jahre gekommene Billigversion von Darth Vader aussehen. Er gähnte ausgiebig und zog das elastische Kopfgeschirr von seinem Schädel. Zaplinski genoss kurz die Ruhe und setzte sich umständlich an der Kante seines Schlafsofas auf.

      Nicht nur einmal hatte er das Absetzen der Maske unter dem Stress heftigen morgendlichen Harndrangs vergessen. Was dann dazu führte, dass er die komplette Gerätschaft, samt Netzteil wie einen widerspenstigen kleinen Köter polternd hinter sich her Richtung Klo schleifte.

      Nur gezwungenermaßen hatte er sich vor ein paar Jahren im Schlaflabor der Charité durchchecken lassen. Klar, gelegentlich gab es da mal ein Nickerchen am Schreibtisch, na und? Die Kollegen hatten anfangs noch feixend Fotos geschossen, wenn er mit offenem Mund eingeschlafen war, die Füße auf dem Tisch. Einmal hatten sie es sogar gewagt, so einen Pappanhänger an seinem großen Zeh zu binden, wie er ansonsten nur an Leichen angebracht wurde. Sehr witzig.

      Aber sein damaliger Chef hatte irgendwann genug von seinen Auszeiten gehabt. „Zaplinski, so geht das nicht weiter. Entweder du unternimmst was dagegen oder du bearbeitest demnächst in Rudow Ladendiebstähle.“

      Ladendiebstähle „verwalten“ und das in Rudow? In einer Ecke von Berlin, die von seiner Wohnung und von Monis Kneipe gefühlt so weit entfernt war wie Wladiwostok?

      Der Zyniker in ihm hatte sich gefragt: Wurden Ladendiebstähle in Berlin überhaupt noch strafrechtlich verfolgt? War die Höchststrafe dafür nicht inzwischen drei Tage Schokopuddingverbot zum Nachtisch?

      Zaplinski hatte sich widerwillig für das kleinere Übel entschieden.

      Minutenlange Atemaussetzer hatten die nächtlichen Aufzeichnungen dann ergeben. „Lebensverkürzend ist das. Nicht so harmlos, wie Sie glauben, Herr Zaplinski. Da werden Stresshormone ohne Ende ausgeschüttet. Das schädigt ihr Herz auf Dauer gewaltig und verkürzt ihre Lebenserwartung“, hatte der Arzt ihm in ernstem Ton verkündet.

      Das fand Zaplinski dann doch nicht so prickelnd und er war bereit gewesen, sich das Gerät fast im Wortsinne aufs Auge drücken zu lassen.

      Beim ersten Gebrauch zu Hause hatte er die Klett-Strapse der Maske noch etwas zu stramm festgezurrt. Anfängerfehler. Die Abdrücke waren morgens im Büro sofort aufgefallen.

      Statt „Guten Morgen“ hatte er zu hören bekommen: „Na, war wohl ne harte Nacht, Dieter. Du stehst neuerdings auf Fesselspielchen? Interessant …“

      Der Begriff Feinfühligkeit kam im Wortschatz seiner Kollegen nicht vor. Frei nach dem Motto: Lieber einen Freund verlieren, als auf einen guten Witz verzichten. Zaplinski musste grinsen, denn der Spruch passte durchaus auch auf ihn. Wer austeilt, muss auch einstecken können.

      Mittlerweile hatte Zaplinski sich nicht nur mit dem Gerät arrangiert, sondern es tatsächlich zu schätzen gelernt. Keine Spur mehr von Tagesmüdigkeit. Mit dem Gerät schlief er jetzt regelmäßig um die acht Stunden und fühlte sich morgens ausgesprochen fit. Insofern konnte er jetzt relativ exakt sagen, dass er letzte Nacht etwa gegen kurz vor fünf Uhr früh ins Bett gefallen sein musste.

      Zaplinski gratulierte sich triumphierend zu seiner heutigen Umsicht, die Maske vor dem Aufstehen abzunehmen. Er stemmte sich von der Sofakante hoch, ließ sich zu einem Ausfallschritt hinreißen und stieß mit einem lauten Yessss die geballte Faust vor. Wie ein Eishockeyspieler im Madison Square Garden, der gerade den Puck ins Netz geschmettert hat.

      Allerdings meldete sich Zaplinskis rechtes Knie sofort schmerzhaft zu Wort. Der „Wayne-Gretzky-Move“ war aufgrund des Knorpelschadens vierten Grades keine so gute Idee gewesen.

      Zaplinski, einst ein leidenschaftlicher Fußballer, hatte bereits mit Mitte zwanzig wegen des kaputten Knies die Schuhe an den Nagel hängen müssen. Da er bisher standhaft das Ersatzgelenk verweigert hatte, begleitete ihn ein ständiger Knieschmerz. Aber ab und an zwei Voltaren-Kapseln und zweimal im Jahr eine Behandlung mit Blutegeln hielten die Beschwerden einigermaßen in Schach. Wenn das so bliebe, dann würde kein noch so toller Chirurg Zaplinskis Gelenk von innen zu sehen bekommen.

      Er reckte und dehnte den schmerzenden Rücken. Dann schlurfte er ins Bad und ließ sich auf dem Toilettensitz nieder. Dieser antrainierte Verhaltensreflex war ein Relikt aus seiner letzten verflossenen Beziehung. Allerdings hatte die langwierige und am Ende erfolgreiche Umerziehung vom Steh-zum Sitzpinkler die Trennung auch nicht verhindern können. Seitdem war da niemand mehr gewesen, der sich über ein ungeputztes Klo oder Kalk in der Duschkabine beschwerte.

      Leider. Er seufzte. Manchmal beneidete er diese schöne heile Welt der anderen schon sehr, diese kompletten Familien, die so vertraut miteinander umgehenden Paare.

      Arbeit

      Er fuhr sich kratzend mit den Fingern über den alters-behaarten Bauch. Dann trottete Zaplinski zur Kochnische und schaltete die Kaffeemaschine ein.

      Der mit Abstand luxuriöseste Einrichtungsgegenstand in der Behausung erwachte lärmend zum Leben. Zaplinski nahm eine schon geöffnete Packung Milch aus dem Kühlschrank und schnüffelte skeptisch daran. Mit dem Ergebnis zufrieden, füllte er den Milchbehälter, stellte ein hohes Glas unter die Maschine und drückte im Display auf Latte Macchiato. Das Gerät begann krachend die Bohnen zu schreddern und blies mit einem Zischen die