Andreas Preiß

Tod am Fließ - Zaplinski ermittelt


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erstaunlich vollen grauen Haare.

      Als der elektrische Barista mit der Zubereitung fertig war, genoss Zaplinski den frischen Duft und nahm seufzend den ersten Schluck. Dann ging er zurück ins Bad. In seinem Alter schaffte man es morgens nie, die Blase beim ersten Mal zu leeren.

      Zaplinski hockte sich wieder auf die Klobrille und genoss mit selig-dümmlichem Gesichtsausdruck den nachlassenden Druck. Da brummte sein Handgelenk.

      Die Rufnummer, die seine Smartwatch jetzt anzeigte, begann mit 4664 … Er kannte sie nur zu gut: Lagezentrum, sprich Arbeit, sprich freier Tag adé. Was soll's, anderweitige Pläne hatte es eh nicht auf seiner Agenda gegeben.

      Ein junger Zaplinski wäre jetzt sofort aufgesprungen, um den Anruf entgegenzunehmen. Aber der alte Silberrücken hatte die Ruhe weg. Er nahm grundsätzlich nie vor dem dritten Klingelzeichen ab. Oft genug erledigten sich Anrufe bis dahin von selbst.

      Seine Erfahrung hatte ihn auch gelehrt: Wenn man uns ruft, ist eh alles gelaufen. Feuerwehr und Notarzt: die müssen fix sein, Leben retten, okay, da ist Schnelligkeit gefragt. Aber wir, wir fegen doch nur hinterher die Scherben auf.

      Unchristliche Eile schadet nur, war sein Grundsatz und den predigte er auch seinen Mitarbeitern. Zaplinski ließ also das Handy weiter dudeln und laufen, was laufen musste. Noch so ein Prinzip: Erstmal Einsatzbereitschaft herstellen! Mit anderen Worten: Geh noch mal aufs Klo, du weißt nicht, wann die nächste Gelegenheit kommt. Und fünf Meter neben einer Leiche gegen den Baum pinkeln? Das konnte in Zeiten wo ständig irgendein Honk Handyfotos von allem und jedem schoss, nur eine Idee sein für jemanden, der auf seinen kurzen Moment der Weltberühmtheit scharf ist.

      Zaplinski stand auf, zerrte die Unterhose halbherzig über den schlaffen Hintern und griff sich das Smartphone vom Beistelltisch neben dem Bett. In der Telefonbuch-App wischte er sich durch zu „Kolbow, Bernhard“. Wenn das Lagezentrum ihn nicht erreichte, versuchte man es automatisch bei seinem Stellvertreter.

      Der war wie gewohnt nach dem ersten Klingeln gleich dran. „Hallo Zappa. Leiche in Öffentlichkeit, Fremdverschulden. Tegeler Fließ. Magga holt dich gleich ab.“

      Der Erste Kriminalhauptkommissar gähnte noch einmal mit Inbrunst. Dann machte er sich wieder auf den Weg ins Bad, unter die Dusche. Damit er fertig war, wenn Magga käme. Małgorzata Czerny, seine neue Mitarbeiterin.

      Beim ersten Kennenlernen war das Gespräch auf ihre polnische Herkunft gekommen. Ihre Familie stamme aus Danzig, hatte sie erzählt und Zaplinski gefragt, wo in Polen denn seine Wurzeln liegen würden. Als er daraufhin überrascht den Kopf schief gelegt hatte, hatte sie ihm erklärt, sein Name wäre ja wohl definitiv auch polnischen Ursprungs. Das war ihm neu gewesen. Tatsächlich hatte er bisher noch nie einen Gedanken an die Geschichte seines Familiennamens verschwendet. Aber er war neugierig geworden und fand später im Internet heraus, dass Magga recht gehabt hatte.

      Sein Nachname war eine Ableitung von einem Ort namens Czaplin nahe Warschau. Zaplinskis Familie allerdings lebte schon seit Generationen in Berlin und ließ sich nicht konkret nach Polen zurückverfolgen. Na gut, so ernsthaft hatte er auch nie in seinem Stammbaum nachgeforscht.

      Als er schon mal dabei war, hatte Zaplinski auch seinen Vornamen durch die Suchmaschine gejagt. Eine der Bedeutungen von „Dieter“ lautete da: „Der Reiche des Volkes“, aber das passte angesichts seines Kontostandes eher nicht. Die Version „Herrscher des Volkes“ allerdings hatte Zaplinski ausnehmend gut gefallen.

      Dieter Zaplinski, Herrscher des Kripovolkes von Wittenau. Das hörte sich doch passend an, fand er in einem Anflug von Größenwahn.

      Vor seinem geistigen Auge sah er sich in einer Tunika mit Lorbeerkranz und in Feldherrenpose auf einem Hügel vor seinen kampfbereiten Kohorten posieren.

      Bereit zum Kampf gegen das Böse.

      Premiere

      Małgorzata Czerny manövrierte den dunkelblauen Dienstwagen auf den Waldparkplatz im Tegeler Forst. Der luxuriöse SUV mit Alufelgen und Ledervollausstattung hatte ursprünglich einem Finanzbetrüger gehört. Er war im Rahmen des Strafverfahrens eingezogen worden und so als Exot im ansonsten kleinbürgerlich-biederen Fuhrpark der Berliner Polizei gelandet. Zaplinskis Truppe hatte das unverschämte Glück gehabt, ihn als Dienstwagen zu nutzen zu dürfen.

      Magga – niemand plagte sich mit ihrem schwer aussprechlichen Vornamen ab – war mit 23 die Jüngste bei den Wittenauer Ermittlern. Erst vor einigen Wochen dazugestoßen. Kurze glatte schwarze Haare, Pagenschnitt, und ein extra kurzgeschnittener Pony umrahmten ein rundliches Gesicht. Schwarz war im Regelfall auch die dominierende Farbe ihrer Bekleidung, ohne dass sie jedoch wie ein Punk oder Gruftie daherkam. Sie war zwar eher proper, aber weit davon entfernt, schwarz zur Kaschierung der Figur tragen zu müssen.

      Die junge Kollegin hatte Zaplinski von dessen Wohnung abgeholt und ihm auf der kurzen Fahrt die ersten Informationen weitergegeben.

      Viel war es nicht gewesen, was Kolbow ihr bei der Alarmierung mitgeteilt hatte.

      Zaplinskis Wissensstand war noch dürftiger gewesen. Unbekannter Toter, gefunden beim Spaziergang von einem Rentner und seiner Enkelin. Keinerlei Ausweisdokumente oder persönliche Gegenstände bei der Leiche. Stichwort Raubmord.

      Fundort der Leiche: in einem Waldstück am Fließ unweit von Tegeler See, Autobahn und S-Bahntrasse Richtung nördliches Umland. Das Fließtal war ein beliebtes Ziel für Spaziergänger, Radfahrer und Jogger im Berliner Norden.

      Zaplinski grunzte nach ihrem Vortrag irgendetwas, dessen Bedeutung sie nicht entschlüsseln konnte. Ein Danke war es aber nicht gewesen. So richtig einschätzen konnte sie ihren neuen Chef immer noch nicht. Das verunsicherte sie.

      Magga fand eine Lücke zwischen den diversen Einsatzfahrzeugen von Polizei und Feuerwehr und parkte elegant in einem Zug ein. Mit einem Gefühl, das sich am besten als gespannte ängstliche Vorfreude beschreiben ließ, stieg sie aus zu ihrer ersten Mordermittlung. Das Piepen der Funkfernbedienung hörte sich für sie an wie ein Startschuss.

      John Doe

      Zaplinski fluchte.

      „Kurwa …!!“

      Das polnische Schimpfwort hatte er von Magga übernommen. Klang irgendwie eleganter als „Scheiße“, fand er. Okay, solange man kein Pole war. Er war beim Aussteigen in eine Pfütze getreten und kaltes Wasser hatte den Weg in seine Schuhe gefunden. Angewidert und genervt schüttelte er so gut es ging den nassen Modder von seinen schwarzen Sneakers. Das fing ja toll an. Immerhin regnete es mittlerweile kaum noch.

      Zaplinski zog fröstelnd die Kapuze seines teuren Outdoor-Anoraks über den Kopf. Er besaß nicht viele Klamotten, legte aber Wert auf Qualität, wenn er sich denn schon mal etwas Neues zulegen musste. Die Sachen hielten dann lange und er ersparte sich allzu häufige Einkäufe. Meistens bestellte er sich online irgendetwas, hin und wieder mit dem Fuchs-Logo seines Lieblingsvereins.

      Sie gingen in Richtung Waldrand auf das blau-weiße Flatterband zu, das einen Trampelpfad markierte. Die beiden Kriminalbeamten nickten grüßend dem uniformierten Kollegen zu. Er hielt ihnen wie in jedem guten Kriminalfilm das Absperrband in die Höhe.

      Sie schlüpften mehr (Magga) oder weniger (Zaplinski) elegant darunter durch.

      Dann steuerten sie auf ein von Scheinwerfern hell ausgeleuchtetes Zelt zu. Drei Spurensicherer in mausgrauen Einweg-Overalls waren bereits bei der Arbeit.

      Kolbow, Mitte vierzig, Brillenträger, hochgewachsen und von schlanker, ja fast dürrer Gestalt, trat auf sie zu. Der Kriminalhauptkommissar trug wie gewohnt Schlips und Kragen, darüber seinen unsäglichen beigefarbenen Trenchcoat à la Columbo. Er hatte natürlich sein Tablet dabei, das an einem schmalen Gurt um seinen Hals hing und auf dem er mit einem Stift seine Notizen einzugeben pflegte. Zaplinski selbst bevorzugte schnödes Papier, musste aber zugeben, dass so ein Tablet schon sehr praktisch war. Man konnte zum Beispiel Vernehmungen gleich vor Ort aufzeichnen, online recherchieren und hatte quasi die ganze Ermittlungsakte unter dem Arm. Und das Ding konnte handschriftliche Notizen in eine druckreife Datei verwandeln. Nicht schlecht, aber gut, dass Kolle das machte. Er hatte keine Lust, sich mit den verschiedenen