Andreas Preiß

Tod am Fließ - Zaplinski ermittelt


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hätte.

      Sie traten unter das Zeltdach. Eine kleine Frau mit sehr hell-blondierter Igelfrisur kniete neben dem Leichnam. Franziska „Franzi“ Richter, die dreißigjährige Gerichtsmedizinerin war schon bei der Arbeit. Sie unterbrach ihr Tun und blickte auf, als Zaplinski und Magga dazukamen.

      Ein kahlköpfiger Mann um die sechzig lag mit starr geöffneten Augen rücklings da. Bekleidet mit einem schwarzen Mantel, schwarzem Anzug, weißem Hemd, schwarzer Krawatte. Das Gesicht und der ganze Körper waren schmutzig vom Uferschlamm. Bereit zur Beerdigung, nur die Klamotten müssten vorher nochmal in die Reinigung. Zaplinski kam dieser zynische Gedanke automatisch. „Was können Sie uns schon sagen?“, wandte er sich an die Gerichtsmedizinerin.

      „Nicht viel. Ich muss ihn nachher erstmal ordentlich duschen und dann sehen wir weiter“, verkündete die Richter und schob dann schnippisch nach: „Ich wünsche Ihnen übrigens auch einen schönen Sonntag.“

      „Sorry, ja, dito, Ihnen auch einen guten Tag, Frau Richter“, grummelte Zaplinski. Er deutete auf die linke Hand des Toten. „Ist es das, was ich denke?“

      Magga schaute mit Interesse, aber auch mit erhobenen Augenbrauen hin. Sie konnte sich erkennbar keinen Reim auf die merkwürdigen blutigen Verletzungen an den Fingern machen.

      „Wenn Sie denken, dass sich da ein Tier einen kleinen Snack gegönnt hat, dann lautet meine Antwort: Ja“, antwortete die Gerichtsmedizinerin.

      Zaplinski wiegte den Kopf. Er musste kurz an „Schweigen der Lämmer“, Teil zwei denken, wo Lecter eines seiner Opfer abgerichteten Wildschweinen zum Fraß vorwerfen wollte.

      Kolbow schaltete sich ein. „Der Zeuge hat tatsächlich berichtet, sie hätten ein Wildschwein aufgeschreckt, als sie ihn gefunden haben. So wie es aussieht, ist er hierher geschleift worden. Er hat drei bis vier Tage mehr oder weniger im Wasser gelegen.“

      Als die Gerichtsmedizinerin den Kopf hob und mit leichter Missbilligung eine Augenbraue hochzog, schob er eilig nach: „Meint Frau Richter. Unter Vorbehalt natürlich. Und was die Spurenlage angeht: Der Dauerregen der letzten Tage hat so ziemlich alles zerstört.“

      „Das ist ja nicht so schön. Wir müssen als Allererstes mal rausfinden, mit wem wir es zu tun haben“, stellte Zaplinski fest. „Hatte er überhaupt nichts dabei, was uns bei der Identifizierung hilft?“

      Kolbow schüttelte den Kopf. „Nichts, alle Taschen sind leer. Die Labels in der Bekleidung sind zwar noch da, aber leider nicht von einem Maßschneider, sondern von C&A und Co., das bringt uns also auch nicht weiter.“

      „Da können wir uns ja glücklich schätzen, dass man unserem John Doe hier nicht auch noch alle Finger abgeschnitten hat. Beziehungsweise abgebissen. Na ja, fünf brauchbare haben wir ja zum Glück noch“, sagte Zaplinski und wies auf die unversehrte rechte Hand.

      Er stellte sich gerade vor, was das hätte nach sich ziehen können, wenn das Borstentier sich alle zehn Finger einverleibt hätte. Großes Halali und Treibjagd auf die gesamte Wildschweinpopulation im Großraum Tegel mit anschließender Massen-Obduktion, um die fehlenden Greiforgane wiederzufinden? Oder alle Tier einfangen, dem Zeugen gegenüberstellen und den Übeltäter einer Magenspiegelung unterziehen? Oh Gott, Zaplinski, dachte er. Drehst du jetzt völlig durch oder was?

      Er zog fest an seinem Ohrläppchen. „Okay. Für Magga und mich gibt es hier nichts weiter zu tun, denke ich. Ich will nur nochmal kurz mit dem Zeugen sprechen, Kolle.“

      Der nickte und wirkte enttäuscht. „Ja, gut, dann muss ich das hier wohl alleine zu Ende machen.“

      „Ich geh dann nachher zur Obduktion. Mit Magga. Wird Zeit, dass Sie mal mit am Tisch stehen, oder?“ Zaplinski legte den Kopf schief und sah die junge Kommissarin an.

      Magga schluckte kurz, nickte dann und antwortete mit fester Stimme. „Klar, Herr Zaplinski.“

      „Dann Abmarsch. Tschüss allerseits.“ Zaplinski wedelte zum Abschied mit der Hand in die Runde und ging Richtung Parkplatz.

      Er registrierte, dass es endgültig aufgehört hatte zu regnen, schob die Kapuze vom Kopf und linste nach oben. Der Himmel riss langsam auf und die Herbstsonne schickte ein paar vorsichtige Strahlen durch die Wolken.

      Wasserbüffel

      Der alte Herr saß zusammengesunken neben der offenen hinteren Tür des Rettungswagens auf einem Rollator. Über seinen Schultern lag eine graue Decke, die Hände hatte er um einen dampfenden Plastikbecher gelegt. Er trug eine goldgerahmte Brille und hatte graue, nach hinten gekämmte Haare mit deutlichen Geheimratsecken. Seine Füße steckten in wasserdichten Thermostiefeln, an denen der Schmutz bereits angetrocknet war.

      „Mein Name ist Zaplinski, Mordkommission Nord, Herr, ääh …“ Zaplinski hatte vergessen, Kolbow nach dem Namen des alten Herrn zu fragen und er wandte sich Hilfe suchend an Magga.

      „Kleemann, Herbert Kleemann“, sprang Magga ihm sofort bei.

      „Ja, also Herr Kleemann. Können Sie uns ein paar Fragen beantworten?“

      „Ich hab doch schon …“, entgegnete Kleemann und stellte seinen Becher ab.

      „Ja, ich weiß. Sie haben schon meinen Kollegen alles erzählt“, unterbrach Zaplinski ihn ungeduldig. „Aber für uns ist es wichtig, dass wir es nochmal direkt von Ihnen hören.“

      Kleemann nickte zwar, er wirkte aber nicht so, als würde ihm das einleuchten.

      „Also, ich war mit Marlene spazieren.“

      Als er Zaplinskis fragenden Blick bemerkte, drehte er sich zum Inneren des Rettungswagens um. Auf dem Fahrersitz thronte ein blondes Mädchen im Vorschulalter. Der Rettungssanitäter zeigte ihr gerade, wo das Blaulicht eingeschaltet wird.

      „Meine Enkelin.“

      „Aha“, sagte Zaplinski.

      „Um halb eins sind wir los. Wir wollten uns die Wasserbüffel ansehen.“

      Wieder erntete er von Zaplinski einen verwunderten Blick. „Welche Wasserbüffel?“

      „Im Sommer ist hier immer eine Herde Wasserbüffel. Das Gartenbauamt transportiert sie extra her, damit sie das Gras kurz und das Wasser am Fließen halten“, klärte Kleemann ihn auf. Sein Blick sagte: „Das weiß man doch.“

      Zaplinski nickte. Ihm war das neu. Aber auch egal. „Und weiter?“

      „Marlene kommt immer sonntags zu mir. Wir gehen dann zusammen raus. Jedes Mal eine andere Runde. Das ist das Schöne hier. Viel Wald. Ich wohne unten an der Malche im Seniorenheim, wissen Sie, im 9. Stock. Da hat man einen herrlichen Blick auf den Tegeler See. Auf die Uferpromenade. Im Sommer ist da viel zu sehen. Dampfer, also ich liebe ja die Havelqueen mit diesem Schaufelrad und dann die Segelboote …“

      Zaplinski trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und war drauf und dran, dazwischenzugehen.

      Magga sah aus, als wolle sie ihrem Chef eine Hand auf den Arm legen, um ihn davon abzuhalten. Aber sie tat es nicht. Herbert Kleemann hatte indes wohl selbst gespürt, dass er ein wenig vom Thema abgeschweift war.

      „Ja, also heute sind wir zum Fließ runter.“

      „Klar, Herr Kleemann. Was ist dann passiert?“, drängte Zaplinski. Konnte der Kerl nicht endlich auf den Punkt kommen?

      „Na ja, wir waren auf dem Weg und da haben wir Geräusche gehört. Vom Fließ unten. Ich dachte, das sind die Büffel. Wir waren schon ein paar Mal hier, aber die hatten sich immer irgendwo versteckt. Marlene war immer so enttäuscht. Und da dachte ich, na ja, wir sind da durchs Gebüsch. Trotz Verbotsschild.“

      Er sah Zaplinski schuldbewusst an. Der erteilte ihm mit einem väterlichen Nicken für den Regelverstoß sofort Absolution. Was angesichts des Altersunterschiedes schon ziemlich absurd war.

      „Und da haben wir einen Riesenschreck bekommen. Da war ein Wildschwein, das hat uns angegrunzt. Marlene hat geschrien und da ist es zum Glück gleich geflüchtet. Ich hätte nicht