Frank Fröhlich

Feuertaufe


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Bewaffnete ein schwarzes Transparent auseinander falteten und an die Felswand spannten. Darauf prangten in weißer Schrift Parolen über einem Schwert. Funken knisterten, ein Mann verlegte Kabel zu einer Autobatterie, die eine Videokamera und zwei Scheinwerfer speiste. Das Licht blendete Karl, er drehte den Kopf und beobachtete seine Peiniger. Die Kämpfer trugen Turbane oder den runden Pakol, die traditionelle Kopfbedeckung der Tadschiken. Dazu lange Mäntel und dicke Steppwesten, vermischt mit Tarnkleidung, die aus Uniformteilen verschiedener Nationen zusammengewürfelt war. Sie hielten Sturmgewehre in den Händen, präsentierten Panzerfäuste und palaverten in ihrer Sprache, von der Karl nichts verstand. Seinen Übersetzer hatten die Entführer mit Fußtritten verjagt, als sie den Firmenwagen vor einigen Tagen in den afghanischen Bergen stoppten und beide aus dem Auto zerrten. Den Dolmetscher benötigten sie nicht, ein Stoß mit dem Gewehrkolben bedurfte keiner Übersetzung.

      „Halte still, du Schwein“, zischte ein Mann, der hinter ihm stand und Speicheltropfen sprühten. Der Bewacher hatte zangengleich den Ingenieur am Nacken gepackt und presste ihm die Klinge an den Hals. Es rumorte in Karls Darm, als ob ein Heer Wanderameisen durchmarschierte; Blasen bedeckten seine Füße und die Muskeln schmerzten von der tagelangen Odyssee. Draußen heulte der Wind um die Felsen, die dünne Gebirgsluft quälte seine Lungen und Karl zitterte.

      Eine Zeit lang dachte er, dass die Bande politische Forderungen erpressen wollte und sich dann mit Lösegeld zufriedengab. So lief es schließlich immer, wenn Europäer im Ausland verschleppt wurden. Einzelheiten drangen nie an die Öffentlichkeit, aber jeder wusste, das Geld floss. Bis gestern ein neuer Stammeskrieger zur Gruppe stieß, der anders war als die übrigen Kämpfer. Während sich die Entführer teilnahmslos verhielten und den Gefangenen als Objekt betrachteten, glühte Hass aus seinen Augen.

      Das Gerede verstummte, nur Fliegensummen und das Klappern von Ausrüstungsgegenständen brach die Stille. Der Krieger hielt Karls Gesicht in die Kamera und der Ingenieur betete, dass die Banditen nur eine Videobotschaft filmten, um sie als Druckmittel einzusetzen. Aber als der Fremde auf Deutsch eine Erklärung verkündete, wusste er den Tod nahen. Die letzten Gedanken galten seiner Frau, den Jungs und Lisa, dem Nesthäkchen. Glühender Schmerz zog durch seinen Hals und explodierte im Gehirn, als Stahl die Versorgung mit Blut und Sauerstoff durchtrennte. Karl Becker fiel in die Dunkelheit.

      Der Leichnam sank in den Staub, gleich einer Marionette, der jemand die Lebensfäden abschnitt. Scherzend bauten die Bewaffneten Kameraausrüstung und Lampen ab, während der Mörder sein Messer an der Kleidung des Toten sauber wischte. Als die Gruppe aufbrach und über einen Felspfad verschwand, stürzten Fliegenschwärme auf die Blutlache. Der Mann mit den hasserfüllten Augen blickte zur Höhle zurück und nickte zufrieden – Karl Becker sollte das erste Opfer einer langen Reihe werden.

      Kapitel 2

      Zwei Wochen später

      Die Gefangenen trampelten über die Eisentreppen und ihre Schritte sandten ein hohles Echo aus, das sich entlang der Balustrade fortsetzte. Stufen und Geländer vibrierten, dass es schien, als drohte der grüne Lack abzusplittern. Der Rhythmus wirkte provozierend und den Wärtern stellten sich die Nackenhaare auf. Uniformierte Männer und Frauen bewachten den Einmarsch und die Häftlinge rochen ihre Furcht. Neben Angst klebte Putzmitteldunst in der Luft; Hausarbeiterkolonnen schrubbten jeden Tag das Gebäude, wienerten Türen blank und scheuerten den Boden, über den der Marschtritt dröhnte. Die Justizvollzugsanstalt Köln, im Volksmund Klingelpütz genannt, hallte vom Geschrei der Knastinsassen wider, die aus der Freistunde zum Einschluss zurückkehrten. Sie waren auf dem Hof rumgelaufen, hatten Sport getrieben, Geschäfte getätigt oder einfach nur die letzten Strahlen der herbstlichen Abendsonne genossen. Die Hauptstadt des karnevalistischen Frohsinns, des Klüngels und der Skandale beherbergte auch eine ernst zu nehmende Schattenseite, deren Mitglieder die Haftanstalt bevölkerten. Das Gefängnis breitete sich im Kölner Norden aus, im Stadtteil Ossendorf, bildete aber von der Größe her eine eigene Gemeinde. Ein Block aus roten Backsteinen reihte sich an den anderen. Dazwischen standen eine Kirche, Verwaltungsgebäude, Werkstätten und eine Bibliothek, alles umschlossen von der fünf Meter hohen Mauer, die unzählige Stacheldrahtrollen sicherten. In Abständen erhoben sich Wachtürme mit schräg nach unten geneigten Fenstern aus Sicherheitsglas, von wo die Beamten jeden Winkel einsahen. Aufmerksam beäugten sie die Häftlinge, bis der Hof geräumt war. Statt des blauen Overalls trugen alle Knackis Sportklamotten, meist Markenware, schließlich wollte man etwas gelten. Zwei Ausstattungen Freizeitkleidung erlaubte die Anstaltsleitung den Insassen, und da es Sonntag war, ließen sie den verpönten Blaumann im Schrank. Die Männer verteilten sich auf die Gänge und warteten vor den Zellentüren auf den Einschluss. Tätowierte Muskelpakete beugten sich über das Geländer und schauten durch das Fanggitter, das Springer abhielt, die Haftanstalt vorzeitig in einer Holzkiste zu verlassen. Rufe und Abschiedsworte flogen Kollegen zu, als ob der Kumpel für lange Zeit verreiste und man sich für eine Ewigkeit nicht wiedersah. Obwohl sie in Wirklichkeit für Jahre ortsgebunden waren und noch viele gemeinsame Hofrunden zu drehen hatten. Andere Häftlinge lehnten an den gelblichen Wänden, stützten sich mit einem Bein ab und fügten den zahlreichen Schuhabdrücken neue Stempel hinzu. Justizbeamte eilten umher, öffneten Türen, ließen die Gefangenen eintreten und sperrten sie ein. Der Bau summte wie ein Bienenstock. Allerdings – Bienen sind fleißige Tiere, dagegen klang der Block doch eher wie ein Wespennest - gereizt und aggressiv. Sprachen aus vielen Ländern ertönten, die Einrichtung war multikultureller angelegt als der Babylonische Turm. Auch die Palette der Delikte war breit gefächert. Die Berufssparten reichten vom Betrüger über Einbrecher und Drogenhändler hin zum Autoknacker, von Eierdieben bis zu Mördern war fast alles vertreten. Nur Sittiche – Sittlichkeitsverbrecher - befanden sich nicht in ihren Reihen, und falls doch, hielten diese aus Angst den Mund. Dafür wusste jeder, dass sich sogar ein ehemaliger Polizist unter ihrem Dach aufhielt.

      Falk Sturm wartete vor der eisernen Zellentür darauf, dass ein Schließer kam, um ihn einzulassen. Wie ein Athlet trippelte er auf der Stelle, führte Boxbewegungen aus und verschwitzte seine Kleidung. Der schwarze Jogginganzug und halbhohe, ebenfalls schwarze Sportschuhe ließen an einen Profisportler denken. Doch für ihn kam höchstens ein Medaillenrang bei der Knastolympiade in Betracht, falls es so was gäbe. Dann gelangte der Justizbeamte endlich zu ihm, steckte den Knochen ins Schloss und entriegelte es rasselnd. Falk betrat die Bude und Darko, der übergewichtige Bosnier und Zellenkumpel schlenderte hinterher. Hinter ihrem Rücken krachte die Tür zu und der Riegel schnappte ein.

      Wohnklo nannten die Gefangenen ihre Zellen. An der linken Wand stand ein Etagenbett, von dessen Eisengestell der Lack abplatzte und gelegentlich Roststaub rieselte, wenn der Dicke auf die Matratze plumpste. Das Bett beanspruchte den meisten Platz auf den wenigen Quadratmetern und bog sich bereits durch. Weiterhin besaßen sie zwei zerschrammte Stühle, einen Tisch mit Kaffeeflecken sowie die Spinde, in denen sich stapelte, was ein Häftling im Laufe der Jahre ansammelte. Alles in der Knastschreinerei zusammengezimmert und mit Klarlack gespritzt. Auf dem grauen Linoleumboden verliefen Kabel von Mehrfachsteckdosen zu zahlreichen elektrischen Geräten, welche die weitverzweigte Familie des Bosniers in den Knast geliefert hatte. Die Besitztümer von Falk fanden dagegen in einem abgewetzten Seesack Platz, wobei sich das fadenscheinige und mit Flicken versehene Gepäckstück hervorragend der Umgebung anpasste.

      Denn auf der ehemals weiß getünchten Zellendecke blühten großflächige Wasserkränze aus. Ein abgelehnter Asylbewerber in der Etage über ihnen protestierte vor sechs Monaten vergeblich gegen die Abschiebung, in dem er die Toilette mit Klopapier verstopfte und seine Zelle überflutete. Wenn der neue Bewohner oben seine Hanteln zu Boden polterte, schwebten Salze der Ausblühungen in ihr Essen. Darko redete es dann lachend als Parmesankäse schön, während er mit dem Besen an die Decke hämmerte, deren Oberfläche mittlerweile mehr Dellen als ein Golfball aufwies. Die Wände waren vergraut und Haarrisse durchzogen den Putz wie ein Spinnennetz. In ihre Bude kam eben keine dicke Fernsehtante mit ihrem Team und brachte einen frischen Anstrich herein. Dafür bedeckten Poster von halb nackten Weibern auf Luxuslimousinen den Großteil der Flächen. Blondinen in Reizwäsche drapierten ihre Körper auf Motorhauben, auch viele Schönheiten ganz ohne Fahrzeug und Kleidung rekelten sich auf Hochglanzdruck. Schlampen und teure Autos waren Dinge, die Knackis wie Darko geil fanden. Geil und unerreichbar weit weg. Krater von Nagellöchern deuteten