Frank Fröhlich

Feuertaufe


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nichts zur Dekoration beitrug.

      Ein Kalender fehlte, beide wussten so, welches Jahr gerade ablief. Tage, Wochen oder Monate spielten keine Rolle, der Entlassungstermin lag fern.

      Die Einrichtung komplettierte eine Ecke mit Kloschüssel und Waschbecken, von einem Duschvorhang verhüllt, der einen Hauch Privatsphäre ermöglichte. Glücklich schätzten sich die Häftlinge, die sich ihre Zelle nur zu zweit teilen mussten. Oft war die Anstalt überbelegt und die Verwaltung stopfte drei bis vier Insassen in ein Loch. Die Luft verdickte sich dann mit den Gerüchen von Menschen auf engen Raum. Es stank nach Schweiß, Zigaretten, Fürzen, Zwiebeln, Knoblauch, Füßen, angebranntem Essen und der Toilette aus der Ecke. Ganz abhängig davon, mit wem man zusammenlebte, aus welchem Kulturkreis derjenige stammte und ob er überhaupt Kultur besaß. Oder die Nachbarn störten, deren Geräusche durch die Wände drangen. Denn waren die Außenmauern selbstverständlich dick, hatte man bei den Zwischenwänden beim Bauen am Material gespart. Der übliche Pfusch, der überall dort gastierte, wenn es galt, die öffentliche Hand übers Ohr zu hauen. So wummerten Musikanlagen und Fernsehgeräte schallten. Schreie, Gelächter, Schnarchen und die Gebete der Frommen, meist Muslime, krochen ins Ohr und erschwerten es Falk stets, einen ruhigen Gedanken zu fassen.

      Er hatte die Stunde im Hof genutzt und etliche Kilometer im Kreis gejoggt. Laufen hielt nicht nur seinen Körper fit, sondern auch den Geist, da kein Insasse mit ihm Schritt halten konnte, um ihn mit Schwachsinn voll zu texten. Der große, durchtrainierte Mann packte zwei Kanister, die früher mit Seifenlauge, jetzt mit Sand gefüllt waren und wie die Kolben eines Motors pumpten seine Arme die Gewichte hoch. Bei jeder Bewegung atmete er gleichmäßig aus und die Fasern seines Jogginganzugs mit dem Emblem der springenden Raubkatze knisterten. Darko holte ein Pfund Kaffee, Bombe genannt, unter seiner Jacke hervor und belud die Maschine. Er nutzte den Hofgang für wichtigere Dinge, als die Zeit mit Körperertüchtigungen zu vertrödeln. Kaufen und verkaufen, handeln und tauschen, lautete sein Motto und der dicke Glatzkopf agierte wie ein geborener Geschäftsmann. Allerdings brachte dieses Talent ihn hinter Gitter, da er in Freiheit Waren versilberte, die anderen gehörten. Im Knast wiederum bescherte diese Begabung beiden ein angenehmeres Leben, da Falk für Geschäfte zu gutmütig war und eher alles an Bedürftige verschenkt hätte. Andererseits, falls die Gerüchte stimmten, konnte der Mann ziemlich ungemütlich werden, wenn es jemand tatsächlich auf Streit anlegte. Nachdem die Kaffeemaschine brodelte und Aromen ihr Appartement erfüllten, schnappte der Bosnier die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Sollte sich der Kumpel alleine plagen, er flegelte sich lieber auf dem Bett und zappte durch die Kanäle.

      Falk wechselte die Übung und hob die Kanister in Zeitlupe mit gestreckten Armen an. Ein wohliges Brennen durchzog die Schultern als Blut in den Adern pulsierte. Schweiß lief von den dunkelblonden Haaren über das Gesicht und ätzte seine grünen Augen. Er keuchte und die Lunge gierte nach Sauerstoff. Jahraus, jahrein folgte täglich der gleiche Ablauf, die Haftzeit brachte ihn nicht davon ab, in Form zu bleiben. Die Ertüchtigung schützte ihn in der ersten Zeit, sonst hätten ihn die anderen Knackis fertiggemacht. Denn der ehemalige Polizist im Block - das war er.

      Anfangs reagierte die Meute feindselig und er musste manche Auseinandersetzung ausfechten, um die Verhältnisse zu klären. Mittlerweile akzeptierten ihn die Knastbrüder, aber die alten Gewohnheiten behielt er bei. Vielleicht half ihm die Fitness auch in Freiheit. Noch vor einer Woche schien diese in weiter Ferne, bis der Fremde letzten Montag auftauchte. Seit Jahren verirrte sich kein Mensch in die Anstalt, um Falk zu besuchen. Eine Familie, die den Namen verdiente, gab es nicht mehr und die sich Freunde nannten, wandten sich nach seiner Tat von ihm ab. In den ersten Monaten der Inhaftierung ließen sich noch sein Anwalt und ein paar neugierige Reporter sehen. Als der Prozess endete und der Rechtsverdreher ihm jeden Cent abgeluchst hatte, während die Schreiberlinge sämtliche Information auspressten, verkam er zu einem vergessenen Mann. Bis sich nach langer Zeit jemand an ihn erinnerte und den Fremden schickte, ein Angebot zu unterbreiten.

      Alexander Kraft hieß der Unterhändler. Falk kam er wie ein Blender vor, ein schön gestrickter, wie man hier sagte. Dabei mochte dieser mittels Charme in der Frauenwelt punkten, doch ihn wickelte man nicht ein, da konnte einer den Freundlichen mimen, wie er wollte. Er würde sich nicht von dem Typen flachlegen lassen. Dennoch, seitdem grübelte er ohne Unterlass und der Entlassungstag rückte in greifbare Nähe. Aber wie hoch war der Preis, den er dafür zahlen musste? Rat durfte er sich keinen holen, auch nicht bei seinen wenigen Freunden im Block, es war verboten, darüber zu sprechen. Das hatte ihm der Fremde als Vertreter einer geheimnisvollen Organisation eingeschärft. Morgen kam der Mann wieder, die Woche Bedenkzeit lief ab, und dann fiel die Entscheidung über Falks Zukunft.

      Darko riss ihn aus den Gedanken und deutete mit seinen Wurstfingern auf die Mattscheibe. Die Sendung zeigte zerfetzte Autos und auseinandergerissene Häuser, von denen Kabel und Leitungen wie Gedärme herabhingen. Brandherde flackerten auf und Qualm waberte in der Luft. Blutende Menschen flüchteten durch das Inferno und staubbedeckte Rettungskräfte trugen Verletzte weg; zwischen den Trümmern lagen Tote, deren Angehörige in die Kamera klagten. Aber keine Naturkatastrophe traf sie, weder Erdbeben, Tornado oder Tsunami rasten über das Land - der Schrecken von Menschenhand wütete als Bombenanschlag. Solche Bilder wiederholten sich seit Jahren wie ein gesetzmäßiger Kreislauf gleich dem Wechsel vom Tag zur Nacht. Es folgten Sequenzen in denen Bewaffnete in einem Militärcamp trainierten, zu leierndem Singsang unter Stacheldraht robbten und mit Maschinenwaffen schossen. Ihnen schlossen sich bärtige Turbanträger an, die Hass predigten und Drohungen ausstießen. Dann informierte der Filmbericht über das letzte Opfer: Dem Ingenieur aus Deutschland setzte ein Islamist vor laufender Kamera ein Messer an die Kehle und kündigte weitere Vergeltung an. An der Stelle brach die Reportage ab und der Moderator im Studio sprach seinen Kommentar.

      „Mann, gerade jetzt, wo es spannend wird“, meckerte Darko und erhob seine Massen von dem protestierenden Bett. Er zockelte zu der vollen Kaffeekanne und stellte sie keuchend wie ein Schwerarbeiter auf den Tisch. Der Bosnier goss zwei Tassen ein und wechselte in einen Musiksender, wo sich luftig bekleidete Schönheiten zur Musik bewegten und an einen kettenbehangenen Rapper schmiegten. Der Sänger saß auf der Motorhaube eines Amischlittens, fuchtelte mit den Händen vorm Gesicht und schnitt grimmige Grimassen. Darko schaltete den Ton weg und überließ sich den visuellen Eindrücken. Seine Augen glänzten beim Anblick der tanzenden Bikiniweiber und die Fantasie trug ihn weit aus dem Zellenblock, bis Falk den Kumpel in die Gegenwart zurückholte.

      „Wovon handelte eben die Sendung?“ Er hatte nur den Schluss gesehen und trat an den Tisch. Mit einem fleckigen Tuch wischte er den Schweiß vom Gesicht, nahm seine Tasse mit dem angeschlagenen Rand und nippte von dem Gebräu.

      „Seit wann juckt dich so was, ist dir doch sonst egal, was draußen läuft? Ging, glaube ich, um Afghanistan, genau hab ich es nicht mitbekommen. Nur das die Brüder mal wieder sauer auf den Westen sind und Action ankündigen. Ach, und um einen Typ, der da gearbeitet hat, dem haben sie die Rübe abgeschnitten. Aber das zeigen die leider nie.“ Der Bosnier pustete in die Tasse, dann schlürfte er genüsslich.

      „Wie kann man so was sehen wollen, das ist doch pervers.“ Falk horchte bei dem Wort Afghanistan auf. Das Bild, wie der düstere Stammeskrieger sein Messer an die Kehle des Opfers setzte, hatte sich ins Gehirn eingebrannt. „Das arme Schwein tut mir leid. Geht runter, um zu helfen oder um seinen Job zu machen und zum Dank schlachten sie ihn ab. Wahrscheinlich hinterlässt der Mann auch noch Familie.“

      „Aber was hat er da zu suchen? Die Brüder sind total krass drauf, das weiß doch jeder. Wie es in Bosnien geknallt hat, kamen Gotteskrieger aus allen möglichen Ländern, um zu kämpfen. Die haben nicht lange gefackelt und den Serben ganz schön eingeheizt. Gefangene machen die nicht.“

      Im Musiksender wechselte der Titel, Menschenmassen hüpften bei einem Konzert in Ekstase und feierten. Egal ob auf der Welt gerade eine Tragödie passierte, es verkam zur Randnotiz - die Erde drehte sich weiter und mit ihr das Leben. Falk sah seinen wohlgenährten Kumpel mit schiefem Lächeln an.

      „Wusste nicht, dass du mitgemischt hast, als es bei euch rundging. Sorry, es fällt mir schwer vorzustellen, wie du mit einem Gewehr durch die Wälder rennst. Eher geht ein Bischof in den Puff. Obwohl ...“

      „Blödmann. Ich fuhr ein paar Mal hin und