Frank Fröhlich

Feuertaufe


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aber aus Ihrer Vergangenheit heraus sehe ich einen Mann vor mir, der unseren Weg teilt.“

      „Den Weg des Kampfes ohne Regeln, falls ich alles richtig verstanden habe, was Sie beim ersten Besuch verzapft haben.“

      „Ein Kampf, der uns aufgezwungen wird. Das verstehen Sie doch?“

      „Wenn es um eine gerechte Sache geht, bin ich unter Umständen bereit dafür einzutreten. Gut, Ihre Ziele kann ich nachzuvollziehen. Aber mir leuchtet nicht ein, wie soll gerade ich in diesem Konflikt helfen? Ich war nie Soldat, nur Polizist, und in Ihren Andeutungen von letzter Woche ging es um die Jagd auf Terroristen und den Einsatz, den die Bundeswehr in Afghanistan führt.“ Ein Waffengang, den Militärexperten und Historiker zum Scheitern verurteilten, wie Falk in der Gefängnisbibliothek nachlesen konnte.

      „Afghanistan? Das ist nur ein Aspekt. Der Verlauf der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus entscheidet sich keineswegs dort alleine. Unser Land, unsere Städte sind das zukünftige Schlachtfeld. Es hat bereits begonnen, mit gewalttätigen Demonstrationen und Anschlagsversuchen, und dieser Krieg wird an vielen Fronten geführt, ob uns das passt oder nicht. Und dafür müssen wir bereit sein.“

      Daraufhin legte Falk dar, dies sei Aufgabe von Polizei und Geheimdiensten, zu deren Erfüllung die Regierung ihnen die gesetzlichen Mittel in die Hand gäbe. Kraft winkte ab.

      „Offene Gesellschaften mit allen Freiheiten und Rechten sind schön und gut für die Menschen, die darin leben. Aber sie sind kaum geeignet, einem solchen Feind zu begegnen. Unsere Dienste kämpfen mit Blei in den Schuhen und auf den Rücken gebundenen Händen. Diese Schlacht gewinnen wir um keinen Preis mit herkömmlichen Mitteln. Wir ziehen gegen Gegner ins Feld, die es nicht beeindruckt, wenn wir mit dem Gesetzbuch winken.“ So langsam lechzte Kraft nach einem Drink, möglichst alkoholisch. Sein erster Rekrutierungsauftrag gestaltete sich schwieriger als alle bisherigen Operationen, die er für das Konsortium ausgeführt hatte. Und da waren haarsträubenden Aktionen dabei gewesen, die er liebend gerne in der Schublade unter Vergessenes ablegen würde.

      „Fein gesprochen. Ihre Rede mag auf einer Akademie vor pickligen Offiziersanwärtern Eindruck schinden. Aber nach meiner Erfahrung ist das alles sehr unglaubwürdig. Was Sie andeuten, ist Handeln im luftleeren Raum. Sie holen mich einfach raus und ich helfe Ihrer merkwürdigen Truppe in einem Kampf, den sie abseits der Legalität führt. Sie sollten weniger amerikanische Filme schauen.“

      Die Tür flog auf und der Wärter drängte. Noch zehn Minuten. Die Erfüllung des Auftrages entglitt Kraft und er zog sein As aus dem Ärmel und setzte alles auf eine Karte.

      „Was legal ist und was unsere Möglichkeiten angeht, werden Sie jetzt eine ganz neue Erfahrung machen, wenn Sie Ihren Blick auf dieses Schreiben werfen.“ Alexander Kraft ging zu seinem Stuhl, öffnete die darunter befindliche Aktentasche und holte einen Briefbogen heraus. Er entfaltete das Schriftstück, legte es auf den Tisch und bügelte das Papier mit der Hand glatt.

      „Dieses Dokument berechtigt mich, Sie ihn meine Obhut zu überstellen. Sofort.“

      Falk Sturm wurde blass, ein lupenreiner Entlassungsschein breitete sich vor ihm auf der Tischplatte aus. Wie war das möglich?

      „Offiziell gibt es uns nicht und wir führen den Kampf an den staatlichen Instanzen vorbei. Aber wir finden überall Helfer, auch in der Justiz. Viele sehen diesen Weg als richtig an, ohne ihn beschreiten zu können und tragen im Hintergrund zum Erfolg bei. Der Rahmen unserer Mittel ist weit gesteckt.“ Falk schaute zum ersten Mal beeindruckt und startete einen kläglichen Versuch, es zu überspielen.

      „Jetzt erzählen Sie mir bloß noch, Ihre Truppe besitzt die Lizenz zum Töten.“

      Kraft antwortete nicht direkt. Er packte die Akte zusammen, wedelte mit dem Entlassungsschein herum und legte beides in die Tasche. Anschließend stützte er die Arme auf den Tisch und blickte Falk Sturm tief in die Augen. „Wenn es sein muss, haben wir auch die.“

      Timur erwachte nach unruhigem Schlaf auf einer harten Couch und rieb sich Sand aus den Augenwinkeln. Schlimme Erinnerungen hatten seine Träume heimgesucht und er war froh, ihnen entkommen zu sein. Die Heizung war runter gedreht und Kühle füllte den Raum, sodass ihm fror und Kondenswasser das Fenster herablief. Trotzdem streifte er die kratzige Wolldecke beiseite und sah sich um. Einfache Möbel standen in dem Wohnzimmer an mit Raufaser tapezierten Wänden, auf denen farbige Wischtechniken ausgeführt waren. An zwei zusammengeschobenen Sesseln lehnte Mehmets Tasche und auf den Polstern lag eine verlassene Decke. Timur witterte, roch Spuren von Vanille. Duftkerzen, erloschen auf dem Tisch platziert, verströmten den Geruch, darunter glänzte ein nackter Laminatboden. Schrankwände enthielten ein Fernsehgerät, Gläser, Bücher und viele Bilderrahmen - darin Familienfotos, meist eine Mutter mit ihren Kindern; ein Mädchen und ein Baby. Timur stand auf und betrachtete die Bilder, nahm eines in die Hand. Die Frau wirkte hübsch. Auf anderen Fotos bemerkte er ein betagtes Paar, ein abgearbeiteter Mann nebst korpulenter Gattin, wohl die Großeltern. Ein Foto zeigte Mehmet mit dem Kleinkind auf dem Arm und einem Lächeln im Gesicht, es schien älteren Datums zu sein. Einen Ehemann suchte Timur auf den Abbildungen vergeblich. Daneben reihten sich Bücher in deutscher Sprache auf, mit Titeln, die weibliche Leser bevorzugten. Er zog ein paar Bände heraus und las auf den Rückseiten, sie handelten von Zeitreisen und Liebe. Die beiden Gefährten waren bei Alia, der Schwester von Mehmet untergeschlüpft. Die junge Frau hatte sie nachts mit dem Auto am Flughafen abgeholt und in ihre Wohnung nach Ehrenfeld gebracht.

      Auf der Fahrt hatte Alia ihm erzählt, dass der Kölner Stadtteil einen traditionell hohen Ausländeranteil besaß. Das jahrzehntelange Nebeneinander führte zu einer fast vollzogenen Integration und die Menschen im Viertel kamen gut in bunter Nachbarschaft aus. Dönerbuden, Frauen mit Kopftüchern und die Moschee waren ein gewohntes Bild, Deutsche gingen hier mit Selbstverständlichkeit zum türkischen Friseur und kauften beim kurdischen Gemüsehändler ein. Man hatte sich arrangiert. Aber nicht überall herrschte Frieden, wie Timur lautstark aus einem anderen Teil der Wohnung mitbekam.

      Der Afghane zog sich Hose und Socken an und schritt durch den Flur zur Küche, aus der streitende Stimmen drangen. Aus dem Kinderzimmer hörte er das Kleinkind glucksen und die Geräusche eines Kinderhörspiels. Ein Mädchen im Schlafanzug lehnte am Türrahmen und schaute ihn neugierig an. Es trug zwei hochstehende Zöpfe und auf dem Leibchen lachte ein Schwamm mit Gesicht. In den Armen umklammerte das Kind einen Teddybär und schützte den Freund aus Stoff. Timur strich ihr über den Kopf, die Kleine duckte sich weg und flüchtete. Der Afghane hob bedauernd die Schulter. Früher vertrauten ihm die Kinder, denn nach der Rückkehr in seine Heimat hatte er als Lehrer unterrichtet. Dann brachen neue Kämpfe aus und die Volksstämme zerfleischten sich im Bürgerkrieg. Warlords beherrschten das Land und ihre Milizen plünderten, töteten und vergewaltigten. Die Koranschüler um Mullah Omar fegten die Soldateska weg und beendeten das Chaos. Taliban nannten sich die Männer mit den schwarzen Turbanen und nach ihrem Sieg legten sie die Menschen in die Ketten ihrer archaischen Regeln. Die Gotteskrieger verboten ins Kino zu gehen, musizieren und tanzen, untersagten Sportveranstaltungen und verprügelten spielende Kinder. Die Rechte der Frauen schafften die Eiferer gleich ganz ab. Außerdem schlossen sie die Schulen.

      Timur schüttelte die Vergangenheit ab und drehte sich zur Küche, er drückte die verglaste Holztür auf und betrat den Raum. Die Luft roch verbraucht, Teeduft schwebte darin und Nebel zog von einem Aschenbecher an die Decke, die Spuren häufigen Nikotinkonsums aufwies. Hängeschränke einer Einbauküche verdeckten den Großteil der terrakottafarbenen Wände und aus dem Radio auf der Fensterbank dudelte englischsprachige Popmusik. Mehmet saß Alia gegenüber am Küchentisch. Mit Brotkrumen und gelben Marmeladenklecksen bedeckte Teller standen auf Plastikdecken und Flecken deuteten darauf hin, dass Mehmets Tasse übergeschwappt war. Ein Krümel klebte an der vor Erregung zitternden Oberlippe und bewegte sich mit ihr auf und ab. Timur wünschte beiden guten Morgen, ohne Antwort zu erhalten, und schenkte sich Tee ein. Dann schaltete er das Radio aus und lehnte am Fensterbrett; die Diskussion verstummte.

      „Was ist los, worüber streitet ihr?“, fragte er Mehmet.

      „Das Übliche, sie will mich nicht verstehen. Das kommt von ihrer verfluchten westlichen Einstellung.“ Er knibbelte an seinen Fingernägeln, von denen kleine Hornfetzen