Frank Fröhlich

Feuertaufe


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in alle Richtungen ab und der Gesichtsausdruck starrte vor Trotz. Dennoch erkannte Kraft sympathische Feinheiten hinter der harten Fassade. Aus dem Naturburschengesicht blickten ihn Augen vom tiefsten Grün an. So intensiv war ihm diese Farbe nicht einmal bei Tauchgängen in der Karibik begegnet. Unter der kräftigen Nase zogen die Lippen einen dünnen Strich. Vom letzten Besuch wusste er aber, dass sie beim Sprechen an Fülle gewannen, sich zwei Grübchen abzeichneten und der Mann gepflegte Zähne sein Eigen nannte. Falk Sturm ließ sich in der Haft nicht gehen, was Kraft schätzte. Er trug zu seinem Sakko ein beigefarbenes Armanishirt, schwarze Stoffhosen und italienische Halbschuhe. Selbstverständlich so poliert, dass er sein Gesicht darin spiegeln konnte. Seine Haare waren stets kurz und gut frisiert, er rasierte Wangen und das kantige Kinn peinlich genau und zupfte mit einer Pinzette die Stoppeln aus den Ohren. An seinem Körper war weniger unerwünschte Behaarung vorhanden als Gras in der Sahara. Kraft empfand auch keine Scham, als Mann zur Maniküre zu gehen. Trotzdem wagten es die Kollegen nicht, über ihn zu lachen, denn er galt als Bluthund und scheute nicht vor Dreckarbeit zurück. Er legte die Porträts auf Seite und nahm sich die Ganzkörperaufnahmen vor. Die Haftanstalten schufen von allen schwerkriminellen Insassen Datenbanken, die nebst Fingerabdrücken und Speichelproben auch Fotos enthielten. Interessant fand er bei Sturm die Ablichtungen der besonderen Merkmale: Narben und Tätowierungen. Die Wundmale stammten von dem Unfall, den die Akten erwähnten. Er entnahm eine Klarsichthülle und hielt die Bilder der Tattoos ins Licht einer flackernden Neonröhre. Beeindruckend, eventuell sollte er sich ebenfalls stechen lassen. Solch eine Hautkunst würde seine Frau und ihre versnobte Familie auf die Palme bringen. Das war es fast wert und Kraft grinste bei dem Gedanken.

      Dies verging ihm beim folgenden Satz: Sturm ist verwitwet und besitzt keine lebenden Angehörigen, selbst das einzige Kind starb bereits. Alexander Kraft liebte Kinder, aber seiner Frau ging Karriere über alles - eine Dauerfront in ihrem Ehekrieg. Er las die Ausbildungsstationen, welche der ehemalige Polizist durchlaufen hatte, und verfolgte die Einsätze in einem Sondereinsatzkommando. Alles passte gut ins Konzept. Er zückte einen vergoldeten Füller aus der Brusttasche, schraubte die Kappe ab und schrieb ein paar Anmerkungen mit seiner Schnörkelschrift in das akkurat geführte Notizbuch. Als er zu der Straftat des Kandidaten gelangte, kam er zu dem Schluss: Der Mann eignete sich perfekt für ihre Truppe.

      Die Tür ging auf und ein Justizbeamter, der seinen Job mit demonstrativer Langweile ausübte, führte Falk Sturm herein. Kraft verschränkte die Arme hinter dem Kopf, lehnte sich zurück und musterte den Häftling in seiner blauen Anstaltskleidung. Dann bat er den Gefangenen, ihm gegenüber am Tisch Platz zu nehmen. Der Beamte mahnte, dass nur eine halbe Stunde erlaubt sei und schlurfte aus dem Raum. Nach erneutem Blick auf seine Uhr und einer Begrüßung fing Alexander Kraft die Besprechung an.

      „Zuerst bedanke ich mich im Namen des Konsortiums, dass Sie mir die Gelegenheit zu einem zweiten Gespräch geben. Ich habe bei meinem letztem Besuch die Sache in groben Zügen umrissen und denke, Sie haben sich Ihre Gedanken gemacht. Vielleicht kann ich heute konkrete Aussagen treffen. Das hängt allerdings davon ab, ob wir uns einigen.“

      Falk taxierte seinen Gegenüber; Kraft hieß der Kerl, doch für ihn blieb er der Fremde. Der Mann hatte braune Haare und dunkle Augen, sah eine Spur südländisch aus. Und nach seiner Ansicht zu gut. Im Gegensatz zu ihm war er kleiner und schlanker, strahlte dennoch eine Gelassenheit aus, als könnte man ihn kaum beeindrucken und dass er sich vor einem Brocken wie Falk noch lange nicht in die Hose machte.

      „Wenn Sie sich mit unserem Angebot anfreunden, spreche ich offen mit Ihnen, erinnere aber an die Geheimhaltungspflicht. Wir kennen Mittel und Wege, diese auch durchzusetzen.“

      Falk musterte weiterhin seinen Gesprächspartner. Für den normalen Knastbesucher kleidete sich Kraft zu elegant und seine vom Solarium gebräunte Haut gab unter den einsitzenden Bleichgesichtern ein ungewohntes Bild ab. Schmuck und Uhr fielen ihm auf, dies war das Erste, was die Insassen Neulingen abpressten. Darko würde dafür eine Menge Kaffee einhandeln und glatt ein Schwimmbad mit dem Gebräu füllen können. In der Luft schwebte der Hauch eines teuren Aftershaves mit herber Duftnote, es erinnerte an eine Mischung aus Leder und Süßholz.

      „Darf ich wissen, zu welchem Ergebnis Sie gekommen sind?“, fragte Kraft und seine gepflegten Fingernägel intonierten einen Trommelwirbel auf dem Tisch. Der Sekundenzeiger der Armbanduhr zog einen Kreis und Falk studierte konzentriert eine in die Tischplatte geritzte Weisheit. „Ob sie uns lieben oder hassen, eines Tages müssen sie uns entlassen“, stand dort. Dann beugte er sich nach vorne, presste die Unterarme auf die Platte, dass die Sehnen hervortraten, und sprach in einem ganz ruhigen Tonfall.

      „Also, fürs Erste und zum Mitschreiben. Drohen Sie mir nicht; nie wieder. Ihre Organisation mag Einfluss haben, schafft es sogar, dass Sie hier einfach rein marschieren, um mit mir zu plaudern und obendrein noch Drohungen ausstoßen. Aber ich bin kein Typ, den man einschüchtern kann. Wenn das meine Akte ist, wie ich vermute, müssten Sie es eigentlich wissen: Ich habe nichts zu verlieren.“

      „Gut, ein Punkt für Sie. Das sind Ihre Unterlagen und das man Ihnen keine Angst einjagt, ist ein Grund, warum wir Sie als Kandidat ausgewählt haben. Sie sollten nur verstehen, wir sichern uns ab. Das Konsortium schützt seine Mitglieder und damit im Falle Ihres Beitritts auch Sie.“ Alexander Kraft betrachtete seinen Gesprächspartner mit steigendem Interesse. Endlich kam der Bursche aus sich heraus. Beim letzten Gespräch war der Mann verstockt gewesen und hatte verhalten auf das Angebot reagiert.

      „Zweitens will ich genau wissen, wie Sie mich raus holen und was ich dafür zu tun habe?“ Falk Sturm lehnte sich zurück und entspannte seine Haltung. Er hatte das Wichtigste geklärt.

      „Sie zu befreien ist für uns ein Klacks, glauben Sie mir. Wir ziehen an ein paar Fäden im Hintergrund und schon werden Sie uns ausgeliefert.“

      „Ich sitze bereits einige Jahre und selbst bei guter Führung läuft noch viel Wasser den Rhein runter, bis die Entlassung möglich ist. Da wollen Sie mir erzählen, ich kann aus dem Bau spazieren wie eine Kuh von der Weide?“ Falk lachte verächtlich.

      „Dass Sie sich eine vorzeitige Freilassung, auch wenn Sie den Musterknaben spielen, sonst wo hinstecken können, wissen Sie genauso gut wie ich. Sie haben sich mächtige Feinde gemacht, die Mittel und Wege kennen, um Sie hier verschimmeln zu lassen. Wir könnten Ihnen helfen – aber Sie alleine entscheiden, ob wir es sollen.“ Kraft stand auf und ging im Raum umher, sodass die Ledersohlen über das Linoleum knackten. Er musste diesen Mann kriegen, egal wie. Kraft war überzeugt vom Konsortium, kannte dessen Bedeutung und den Bedarf an gutem Material. Der Alte hatte befohlen Falk Sturm zu rekrutieren und er würde den Befehl ausführen. Um jeden Preis.

      „Mal dahin gestellt, ob Sie mich rausholen, wo gewisse Kreise interessiert sind, mich noch lange köcheln zu lassen – wer sagt, dass ich bereit bin, Ihrer Organisation beizutreten?“ Falk registrierte, wie Kraft an seinem Ehering drehte und zupfte. Seinen eigenen trug er an einer Silberkette um den Hals. „Jenna und Falk - in Ewigkeit“, lautete die Inschrift.

      „Schaue ich mir Ihr Profil an, glaube ich jemand vor mir zu haben, der zu uns passt wie das Teilchen eines Puzzles. Sie sind ein Mann der Tat und wir eine Gruppe, die handelt. Wenn ich, allerdings nicht bis ins Detail, unsere Ziele und Mittel darlege, bin ich sicher, schließen Sie sich uns aus Überzeugung an.“ Kraft warf den Köder aus, die Zeit drängte, dass Sturm anbiss und am Haken hing. Danach würde er ihn endgültig an Bord des Konsortiums holen. Doch der Gefangene leistete weiterhin zähen Widerstand.

      „Meine Überzeugungen habe ich schon lange verloren, die gab ich vor Jahren an der Kleiderkammer ab, wo sie mir diesen Overall verpassten.“ Falk sah Kraft mit vor der Brust verschränkten Armen an und deutete mit dem Kinn auf die Anstaltskleidung. Er verfolgte den Unterhändler mit den Blicken, während dieser ihn, wie ein Raubtier seine Beute, mit Kreisen umzog.

      „Bullshit. Ideale verliert man nie, man kann sie eine Weile unterdrücken, aber im tiefsten Inneren brennen sie weiter. Wir sind doch aus dem gleichen Holz geschnitzt.“

      „Wirklich? Wollen Sie behaupten, das erlebt zu haben, was mir widerfahren ist? Ich wünsche es Ihnen nicht. Niemandem, nicht mal meinen Feinden, zu denen ich Sie in keiner Weise zähle.“ Bis jetzt. Erst wenn ihm der Lackaffe ein zweites Mal drohte