Frank Fröhlich

Feuertaufe


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meinen Eltern nicht.“ Timur ließ ihn los und ging zu der Couch, wo seine Sachen lagen. Kribbelnd kehrte das Gefühl in Mehmets tauben Arm zurück. Er sah, wie der Gefährte die Jacke anzog, den Tascheninhalt überprüfte und ganz langsam auf ihn zu kam, bis sich die Gesichter fast berührten.

      „Das ist gut, andernfalls sorge ich für ihr Schweigen.“

      In den Augen des Afghanen erkannte Mehmet einen dunklen Abgrund und empfand zum ersten Mal Furcht.

      Nach dem Verlassen der Wohnung suchten die beiden eine Moschee auf. Das Gebetshaus lag in der Nähe, die Gefährten mussten lediglich zwei Querstraßen weiter abbiegen und eine Ladenzeile runtergehen. Im Rücken des kleinen Kuppelbaus führten Bahngleise über einen Damm und in der Umgebung siedelten Kleinbetriebe: Handwerker und Lieferdienste, darunter auch solche von Christen und ganz und gar Ungläubigen. Niemanden störten die Besucher des Gebetshauses, da es sich um gemäßigte Muslime handelte, die lediglich ihre Religion ausübten. Einmal im Jahr lud die Gemeinde sogar Nichtmuslime zum Tag der offenen Moschee in die Räumlichkeiten, um Vorurteile abzubauen. Die Aktion fand regen Zuspruch in der Nachbarschaft, die sich bei Tee und süßem Gebäck die Grundzüge einer friedlichen Interpretation des Korans erklären ließ. Timur wählte diesen Ort mit Bedacht, vermied es so, die Gebetsräume bekannter Islamisten aufzusuchen. Er befürchtete, dass Sicherheitsdienste diese überwachten. Viele Gotteskrieger hielten den deutschen Staat für schwach und formulierten ihre Parolen in aller Öffentlichkeit. Die Aktivisten verbreiteten Hass über das Internet, sammelten Geld für den Dschihad und rekrutierten Freiwillige und waren es gewohnt, beinahe unbehelligt zu bleiben. Trotzdem wollte Timur sich nicht im Dunstkreis von radikalen Muslimen zeigen. Mochte die Staatsgewalt lange stillhalten, so hortete sie akribisch Daten, observierte Verdächtige und Gebäude, hörte Telefone ab und spähte Konten aus. Strategen seiner Organisation hatten ihn vorgewarnt. Aus dem Grund beschlossen die Anführer der Dschihad Union, eine Gruppe von Personen einzusetzen, die bisher ohne jeden Kontakt zu Islamisten in Deutschland lebten. Ihre Feinde nannten diese Leute Schläfer. Timur sollte die Kämpfer aktivieren und mit Mehmets Hilfe ins Gefecht führen.

      Nach dem Gebet schlüpften die Gefährten in ihre Schuhe und verabschiedeten sich von dem Imam. Der Vorbeter der Glaubensgemeinschaft, ein netter Herr mit rundlichem Gesicht und weißem Bart, lud die beiden ein, bald wiederzukommen. Sie dankten ihm und brachen auf, ihren Kontaktmann aufzusuchen.

      Sie wanderten durch die Straßen, schlugen Bögen um leere Flaschen und umrundeten im Slalom Hundekot, der in der aufkommenden Wärme stank. Ein Hund, der an den Sockel einer Hauswand pinkelte und danach an der Duftmarkierung eines Artgenossen roch, schnupperte an Timurs Hosenbein. Angewidert verjagte er den Köter mit einem Tritt und das Tier rannte jaulend davon. Der Hundebesitzer protestierte, bis ein Blick des Afghanen ihn verstummen ließ und die Gefährten zogen weiter. Um einen Springbrunnen feierte ein Rudel Punks, blecherne Musik dröhnte aus den überlasteten Boxen eines Rekorders; das Schlagzeug raste und der Sänger schrie heiser. Bierflaschen kühlten in den Becken und die betrunkenen Jugendlichen tanzten in den Wasserfontänen - wenn es Tanz war, sich anzuspringen wie Böcke in der Paarungszeit. Es erinnerte die beiden an die Derwischorden, einem mystischen Zweig des Islam, der beim Großteil der Muslime auf Ablehnung stieß. Wie Punks, die sich die Ohren mit Krachmusik verstopften, um Allahs Wort auszusperren.

      Die Häuser, an denen Timur und sein Freund vorbeieilten, waren mit Graffiti besprüht; kunstvoll gestaltete Bilder darunter, meist hingeschmierte Namenskürzel und einmal ein Hakenkreuz, nebst Ausländer raus. Wie die Hunde hatten Jugendgangs ihre Reviere markiert; Cologne Street Boyz oder die Gangsta Generation warnten vor dem Betreten fremder Jagdgründe. Was Kriegern auf einer Mission herzlich egal war, sie überschritten ganz andere Grenzen und ließen sich von niemand aufhalten. Eine Unterführung war mit einander überlappenden Werbeplakaten zugeklebt, die auf Konzerte, Ü-30 Partys und eine Erotikmesse hinwiesen. Hindurch wälzte sich eine Lawine aus Blech, sie stockte und entnervte Fahrer hupten. Die Abgase verpesteten die Atemluft und setzten sich graubraun an den Fassaden ab. Timur fiel es schwer durchzuatmen, selbst ihm als Raucher schwindelte von dem Dunst. Im afghanischen Hochland herrschte dünne, klare Luft - und Respekt vor Mudschaheddin: Fahrradfahrer umkurvten die Autos todesverachtend wie Kamikazeflieger, einer wich auf den Bürgersteig aus und klingelte die Fußgänger beiseite. Mehmet brachte sich mit einem Sprung in Sicherheit, um nicht angefahren zu werden. Kopfschüttelnd blickte Timur dem Zweiradrowdy hinterher, der ihnen im Wegfahren noch den Mittelfinger präsentierte.

      Dann bogen sie um eine Häuserecke und standen vor einer Baustelle; in Beton gegossen wölbte sich eine Kuppel und zwei Minarette strebten empor. In der Ferne erkannten sie die in den Himmel ragenden Türme des Kölner Doms, der den ganzen Stolz der Einwohner darstellte und nach ihrer Auffassung als Nabel der Welt galt. Mehmet erzählte ihm von dem Streit, der in der Bevölkerung stattgefunden hatte.

      „Die bescheuerten Kölner befürchteten, die Minarette der neuen Großmoschee würden ihren Dom überragen. Von mir aus ginge das absolut in Ordnung, aber es war natürlich Blödsinn, verbunden mit ausländerfeindlichen Parolen.“ Er selbst hatte hier an Demonstrationen teilgenommen, als im Wahlkampf eine rechte Gruppierung Mohammedkarikaturen hochhielt, um den Propheten zu beleidigen. Die Lage eskalierte, es flogen Steine und im benachbarten Bonn stach ein Bruder sogar mehrere Polizisten nieder. Mehmet brüstete sich damit, einen Beamten angespuckt zu haben und erwähnte, dass die Polizei Pläne von Islamisten aufgedeckt hatte, in denen die gotische Kathedrale neben anderen Symbolen des Christentums als Angriffsziel auf der Liste stand. Doch Timur hörte nicht mehr zu, beobachtete stattdessen die Arbeiter und dachte zurück, wie er nach seiner Lehrerzeit als Bauhelfer Steine geschleppt, gehackt und geschaufelt hatte. Maschinen, die Muskelkraft schonten waren rar in seiner Heimat und sein Körper formte sich. Vor allem verdiente er wieder Geld und das brauchte er auch dringend, denn beim Besuch im Hause eines Freundes stellte ihm dieser seine Schwester vor. Durch den schmalen Spalt des Schleiers verglühten ihre Augen sein Herz und unter dem Gewand ahnte er geschmeidige Bewegungen. Timur verliebte sich, eine Einigung mit dem Vater war schnell erzielt und sie heirateten. Seine Frau Nusha schenkte ihm drei Söhne und fortan musste er eine Familie ernähren. Sie wurde zu seinem Anker in unruhigen Zeiten. Dann drangen Mehmets Worte wieder an sein Ohr.

      „Ein Anschlag auf die Christenkirche wäre der richtige Denkzettel für ihr Geschrei gewesen, hätte mich gerne an dem Schauspiel erfreut.“

      Timur hingegen betrachtete es als sinnlos, Steine anzugreifen. Ihn verlangte es nach Blut. Da der Dom standhaft an seinem Platz weilte, nutzten sie die Türme als Wegweiser. Sie kamen ihnen schnell näher und damit auch dem Ziel, eine Adresse hinter dem Hauptbahnhof. Auf dem Weg dorthin bemerkte Timur zwei Männer, die mitten auf der Straße Küsse austauschten. Aber nicht freundschaftlich wie Muslime, sondern die Kerle schoben einander die Zungen in den Hals. Mehmet klärte ihn auf, das Köln die heimliche Hauptstadt der deutschen Schwulenszene sei.

      „Mittlerweile dürfen diese Kreaturen sogar heiraten und Kinder adoptieren, stell dir das vor.“

      Doch das wollte der Afghane nicht; er verzog das Gesicht und beschleunigte seine Schritte. Sie wateten durch die Hinterlassenschaften einer Burgerfiliale, planierten Pappschachteln und zertraten Getränkebecher. Obdachlose und Junkies schlurften ihnen entgegen und einer der verwahrlosten Gesellen haute sie um einen Euro an, bekam ihn von Mehmet. Das tat er nicht aus Mildtätigkeit, zu welcher der Koran die Gläubigen anhielt. Nein, er wusste, dass der Drogenabhängige das Geld für Heroin ausgeben würde, das von dem Mohn stammte, mit dem die Mudschaheddin ihren Kampf finanzierten. Auch als Gotteskrieger bewahrte er Sinn für Humor. Sie überquerten die Domplatte, auf der sich Touristen drängten und froren in der Zugluft, die um das massige Monument strich. Skateboardklappern und dumpfe Glockenschläge aus dem Dominneren hallten ihnen hinterher, als sie von Jugendlichen bevölkerte Treppen hinabstiegen und den Bahnhof durch eine dunkle Unterführung umgingen. Züge donnerten über ihre Köpfe hinweg, Bremsen quietschten und sie hörten die Durchsagen der Lautsprecher. An den Tunnelwänden blühten Urinkränze aus, frische Lachen rannen auf den Gehweg und es stank. Hinter dem Hauptbahnhof stießen sie auf einen überfüllten Platz, den Ausläufer einer Großbaustelle einengten. Vom Rhein stampften Schiffsdiesel, die ihre Abgase mit Flusswassergeruch vermengten und zu ihnen herüber wehen ließen. Die Gefährten wechselten auf die andere Straßenseite, wo ein Musicalzelt seine