Frank Fröhlich

Feuertaufe


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Stellen streiten das ab und bei den Untersuchungen kam nichts heraus. Normalerweise sickert in diesem Land immer etwas durch und die Presse stürzt sich darauf. Wir fragen uns, wer ist dieser Deutsche gewesen?“

      Seine Worte standen noch im Raum, als der Anwalt den Gefährten die Türe aufhielt und sie hinausschob. Mustafa Dogan geleitete seine Gäste bis ins Treppenhaus, als sei es ihm wichtig sie jetzt schnell und endgültig loszuwerden. Ein Satz hallte ihnen beim Abstieg hinterher:

      „Wenn die Berichte stimmen, wünsche ich euch Glück, dass ihr diesen Leuten nicht in die Hände fallt.“

      Kapitel 4

      Kurz nach den morgendlichen Verhandlungen saßen Falk Sturm und Alexander Kraft in dessen Dienstwagen und fuhren aus Köln heraus. Der Motor der dunklen BMW-Limousine brummte gleichmäßig, untermalt von einem lokalen Radiosender, dessen Melodie Kraft mitsummte, während er mit einer Hand lenkte. Falk saß in dem lederbezogenen Beifahrersitz und konnte das Geschehene noch nicht fassen. Es kam ihm vor wie ein Traum, aus dem er augenblicklich erwachen musste, denn als er einwilligte, ging alles sehr schnell. Der Unterhändler legte dem Justizbeamten das Dokument vor und gemeinsam marschierten sie von der Verwaltung zum Zellenblock, wobei er den Weg wie in Trance erlebte. Der Beamte schloss die Tür des Haftraumes auf und wartete mit Alexander Kraft auf dem Gang. Falk packte in Windeseile den Seesack, stopfte seine Habe willkürlich hinein und drückte den Verschlussbügel zu. Er konnte sich nicht einmal von Darko und ein paar anderen Freunden verabschieden, denn Kraft legte ein hohes Tempo vor. Mit dem Unterhändler stattete er einen letzten Besuch beim Anstaltsleiter ab, der ein amtliches Schriftstück unterzeichnete und einen festen Händedruck mitgab. Als nächster Schritt folgte der obligatorische Abstecher zur Kleiderkammer, wo Falk im Tausch für die Anstaltsklamotten seine bescheidenen, zur Habe genommenen Privatsachen abholte. Nachdem er den Empfang quittiert hatte, stieg er nach Jahren wieder in die geliebte Jeanshose und warf sich seine abgewetzte Lederjacke über. Dann öffnete das Tor in die Freiheit seine Pforten: Die elektrisch betriebene Glastür der Besucherschleuse schwang summend auf und ganz unspektakulär machte Falk den ersten Schritt in ein neues Leben. Der langjährige Gefangene genoss diesen Augenblick, obgleich er sich nun in den Händen des mysteriösen Konsortiums befand.

      Alexander Kraft hupte und scheuchte einen vor der Ampel schlafenden Lieferwagenfahrer auf. Sie passierten die Vororte der Großstadt und ein Gewerbegebiet, dann lenkte Kraft das Gefährt auf die Autobahn und gab Gas. Falk sah sich die am Autofenster vorbeifliegende Landschaft verändern, kleinere Städte tauchten auf und Dörfer zeigten sich. Die Entfernung zwischen dem ehemaligen Insassen und der Haftanstalt vergrößerte mit jeder Minute. Er betrachtete die überholten Fahrzeuge, darunter einen Sportwagen. Am Lenkrad steuerte eine hübsche Frau in den Dreißigern, die für einen Moment ihre Sonnenbrille anhob und rüber schaute. Von einer im Pensionsalter befindlichen Sozialarbeiterin abgesehen, die erste weibliche Person nach langer Zeit, die keine Uniform trug. Hinter Euskirchen, einer kleinen Voreifelstadt, bremsten Wanderbaustellen die Fahrt. Falk genoss die Aussicht auf abseits der Trasse liegende Felder und sichtete Bauern die Ernte einfahren. Ihre Landmaschinen rumorten auf den Äckern und wirbelten Staub auf. Der Wetterbericht im Autoradio versprach eine milde Septemberwoche und die Landwirte freute es. Überall schwebte der Duft von Zuckerrüben, die geerntet, verladen und in der Euskirchener Raffinerie zu Sirup verkocht wurden. Gerüche, die Falk fast vergessen hatte und die für ihn nach Freiheit dufteten. Sie verließen die Autobahn und durchfuhren auf Landstraßen Dörfer mit Fachwerkhäusern und Bauernhöfen. Auch hier herrschte emsiges Treiben und Traktoren verstopften die Straße. Falk erblickte abseits der Fahrbahn Greifvögel, die über abgeernteten Feldern im warmen Aufwind Kreise zogen und nach Beute spähten. Kraft startete ein waghalsiges Überholmanöver und der Treckerkonvoi verschwand im Rückspiegel. Das Sonnenlicht brach durch die Baumwipfel am Straßenrand und flimmerte auf der Windschutzscheibe. Mittels elektrischem Fensterheber ließ Kraft die Scheibe auf Falks Seite hinunter und seinem Beifahrer die Aromen in die Nase wehen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Fahrtwind dessen Haare zerzauste und er dies genoss. Dann endete die Sprinteinlage, sie erreichten Bad Münstereifel und der BMW schoss eine Serpentinenstrecke runter, als liefe er auf Schienen. Sie umrundeten die Ortschaft entlang der Wehrmauer und gelangten an eines der Stadttore. Kraft bog auf einen Parkplatz ein, dass Schottersteine unter den Reifen davon spritzen und die Fahrt endete. Als sie ausstiegen, blinzelte Falk in die Sonne. Ein schöner Herbsttag entfaltete seine Farbenpracht und keine stacheldrahtbewehrten Einschließungen einer Strafanstalt engten die Sicht ein. Die Steinwälle, die sich nun vor ihm auftürmten, waren Anlagen der mittelalterlichen Stadtbefestigung. In früheren Kriegszeiten hielten sie mehr oder minder erfolgreich die zahlreichen Feinde, die plündernd durchs Land zogen, von dem Städtchen ab. Da passte es, dass dieser geheimnisvolle Alte, den Kraft als direkten Vorgesetzten beschrieb, hier seinen Wohnsitz hatte, inmitten wuchtiger Mauern und trutziger Wehrtürme. Doch um die neuen Bedrohungen abzuwehren, bedurfte es mittlerweile anderer Methoden. Zum Beispiel Männer wie Falk Sturm anzuwerben und ins Feld zu schicken. Obwohl, wenn er den Gedanken weiter verfolgte, rührte das Landsknechtsunwesen gerade aus den finsteren Epochen. Falk schüttelte die Spinnerei aus dem Kopf.

      „Irgendwie unwirklich, nicht wahr Herr Sturm? Genießen Sie es.“ Die ganze Fahrt über hatten sie kein Wort gesprochen und Kraft stellte nur Vermutungen an, wie es in seinem Begleiter toben musste.

      „Vier Jahre saß ich im Bau und im Handumdrehen stehe ich hier draußen. Wie kann das sein? Ich hätte normalerweise noch mal das Gleiche vor mir gehabt.“

      „Wir haben Sie auf Halbstrafe rausgeholt, so wie es in dem Dokument steht.“ Kraft verschloss das Auto per Funksignal, schaltete die Alarmanlage ein und sie gingen los.

      „Gut, das habe ich gelesen. Aber günstigstenfalls bekommt man, wenn zwei Drittel verbüßt sind, den Rest auf Bewährung erlassen. Halbstrafe ist seltener als ein Sechser im Lotto. Außerdem bedarf es dazu einer Anhörung mit Staatsanwalt und Richter.“

      Beide zogen die Jacken aus, hängten sie über die Schultern und schritten durchs Stadttor. An der Außentheke eines Cafés kaufte Kraft Eiswaffeln und schleckend schlenderten sie tiefer in das gepflegte Städtchen. Die Erft floss in ihrem gemauerten Bett zwischen den Fachwerkhäusern hindurch und steinerne Brücken überspannten den kleinen Fluss, dessen Geplätscher zu den Männern drang. Unter ihren Schuhen knirschten Steinchen und Kraft kickte eines weg, es sprang einer Gruppe Touristen vor die Füße, die in Scharen umher wuselten. Eine Clique junger Frauen in kurzen Röcken kam angetrippelt, sie strahlten Kraft an, und als dieser zurückflirtete, stolzierten sie kichernd und hüftschwingend davon. Falk sah den Grazien hinterher als seien es Fabelwesen, eine der Schönheiten drehte sich noch einmal um und winkte. Dann holte ihn der Unterhändler aus der Elfenwelt zurück in die Realität und beantwortete seine Frage nach den Umständen der Strafhalbierung.

      „Selbstverständlich weiß ich, dass eine Anhörung erforderlich ist, solch eine hat auch stattgefunden. Alles hat seine Ordnung und ich habe an Ihrer Stelle daran teilgenommen. Sozusagen als Anwalt und Fürsprecher.“ Kraft zwinkerte ihm zu.

      „Und tatsächlich einen Richter samt Staatsanwalt gefunden, die meine Freilassung befürworten? Sie sind ein toller Beistand, warum waren Sie nicht damals bei meiner Verhandlung mit im Boot?“

      „Lief ganz einfach“, wehrte der Unterhändler ab. Er hielt das Hörnchen schräg, Geschmolzenes tropfte auf seine Hand und er leckte die Soße weg. „Der Staatsanwalt schnupft Koks. Ja wirklich, da können Sie gucken. Der Job stresst ihn und so hält er sich fit. Geht uns im Prinzip nix an, außer es dient unseren Zwecken, wie in Ihrem Fall. Ich legte ihm Fotos unter die Nase, die zeigen, wie er in einem Nachtklub Lines vom Umfang einer Strafraumbegrenzung schnorchelt. Das überzeugte den Mann schnell zur Zusammenarbeit und beim Richter ging das noch fixer. Mit dem hat der Alte, den Sie gleich kennenlernen, im Voraus gesprochen und ihm unterbreitet, wofür unsere Organisation steht.“ Kraft zog ein Erfrischungstuch aus der Jacke und wischte die klebrigen Finger ab. Dann zerknüllte er das Tuch und warf es in einen Papierkorb, während sie sich plötzlich in einer Traube japanischer Reisender befanden. Falk wich einem der knipsenden Touristen durch geschmeidige Bewegungen aus, vermied es, auf Fotos für ein fernöstliches Album zu landen und der kleine Asiat dankte mit dem üblichen stillen Lächeln.