Frank Fröhlich

Feuertaufe


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hatte Richard Traunfels eine selbst gekelterte Flasche Weißwein geköpft und dies war nach Alexander Krafts getuschelter Auskunft seltener, als vom Alten einen Orden angehängt zu bekommen. Es handelte sich um einen erlesenen Tropfen und die edlen Gläser, mit denen sie anstießen, erzeugten einen hellen Klang.

      Nachdem anschließenden Genuss eines von Vera Traunfels gekochten Mittagessens, brausten die beiden über das Autobahnnetz Richtung Ostdeutschland. Diese Fahrt verlief weniger schweigend als die vorherige nach Bad Münstereifel und Kraft erläuterte seinem neuen Kollegen ihr Reiseziel, ein Ausbildungscamp des Konsortiums.

      Zuvor legten sie in der Bonner Innenstadt noch einen Zwischenstopp ein und stockten Falks mickrigen Vorrat an Garderobe und Dingen des persönlichen Bedarfs auf. In der Fußgängerzone rund um den Münster führte ihn Kraft in Boutiquen namhafter Herrenausstatter, doch Falk behauptete auch dort seinen legeren Geschmack. So kam er zu einem Stapel Klamotten, die nicht teuer aussahen, es aber umso deutlicher waren. Dabei bereitete es Alexander Kraft sichtlich großes Vergnügen, die Kreditkarte zu zücken und das Konto des Konsortiums zu belasten. Mobiltelefon, Armbanduhr, Sonnenbrille, Rasier- und Waschzeug und eine Brieftasche, in die Kraft noch ein Bündel Scheine stopfte, erstanden sie in einem Kaufhaus. Beethoven beobachtete mit steinerner Miene von seinem Sockel aus, wie die mit Tüten beladenen Männer als Letztes eine Reisetasche erwarben, während sich Tauben auf seinen mit Kot bedeckten Schultern niederließen. Lachend schleppten sie ihre Beute am Denkmal des Komponisten vorbei und verschwanden in der Seitenstraße, wo der BMW parkte. Dort packten sie alles in die neue Tasche und schmissen Falks zerschlissenen Seesack kurzerhand in den Schuttcontainer einer Baustelle. Anschließend verließen sie die Bundesstadt und erreichten gegen Abend eine kleine Gemeinde im Herzen Thüringens. Die Männer umkurvten die Ortschaft auf der Umgehungsstraße und abseits der Häuser, an einem Ausflugslokal mit zertrümmerten Scheiben, steuerten sie über Betonplatten ein früheres Kasernengelände der NVA an. Das Auto rumpelte bei jeder Zwischenfuge und schaukelte in den Schlaglöchern.

      „Hier ist noch kein Solidaritätszuschlag verbaut worden“, murrte Kraft und wich mehreren Kratern aus. Kein Autofahrer würde freiwillig diese Buckelpiste befahren und seine Stoßdämpfer der Gefahr eines Bruchs aussetzen. Ein gewünschter Effekt, wie Falk später erfuhr, denn er schuf Abgeschiedenheit. Vereinzelte, vom Dauerwind gebeugte Gehölze säumten den Weg, unterbrochen von Grasflächen, auf denen einsame Findlinge lagen. Ein paar Hasen flüchteten im Scheinwerferlicht, unterwegs dem Fuchs gute Nacht zu sagen. Als die beiden Männer über eine Kuppe setzten, breitete sich vor ihnen ein dichter Kiefernwald aus, zwischen dessen Stämmen die Lichter des ehemaligen Militärstützpunktes hervorlugten. Die Ansammlung von Gebäuden beinhaltete Unterkünfte, wo die Mannschaften wohnten und ein Wachhaus, an dessen Schranke Posten alle einfahrenden Fahrzeuge kontrollierten. In Unterrichtsgebäuden schulte man die Lehrgangsteilnehmer, wie sie Gegner überwachten und in der Turnhalle bei Nahkampftechniken diese auszuschalten. Ärzte flickten in der Sanitätsstation zusammen, was dabei verletzt wurde. Unter den Dächern der Fahrzeughallen warteten getunte Autos, um über die Asphaltbahn zwecks Fahrertrainings geheizt zu werden. Ferner zählte Alexander Kraft einen Sportplatz, den obligatorischen Schießstand und eine Waldlichtung mit einem Übungsdorf auf. Umgeben war das Ganze von hohen Zäunen mit Stacheldraht und Kameras.

      Alles wie gehabt dachte Falk, nur stand hier Germania Sicherheitsdienste auf dem Schild am Toreingang. Grelle Scheinwerfer sprangen an und blendeten ins Fahrzeug, während ein schwarz uniformierter Mann aus dem Schatten trat, an die Scheibe klopfte und im ostdeutschen Dialekt ihre Papiere verlangte. Ritual einer eingemeindeten Republik scherzte Kraft. Nach eingehender Überprüfung kurbelte der Wachposten den Schlagbaum hoch und wollte ihnen den Weg erklären, doch Alexander Kraft kannte sich aus und lehnte dankend ab.

      „Ist bereits mein dritter Aufenthalt in Bad Muskelkater“, meinte er zu Falk und lotste den BMW auf einen Parkplatz zwischen den Unterkünften. Sie luden ihre Reisetaschen aus dem Kofferraum und meldeten sich in einem Büro, das im Eingang eines der weiß gestrichenen Mannschaftsblöcke lag. Ein Mitarbeiter des Sicherheitspersonals wies ihnen zwei nebeneinanderliegende Stuben im ersten Stockwerk zu und händigte die Schlüssel aus. Keuchend schleppten sie das Gepäck die ausgetretene Treppe hoch und hasteten über einen langen Gang, der nach Bohnerwachs roch und glänzte wie die Klinke einer Bordelltür. Ihre Schritte hallten in dem Korridor, während sie an den geschlossenen Stubentüren vorbeiliefen. Aus einem Duschraum trat ein tätowierter Muskelberg mit um die Hüften gewickeltem Badetuch und sah ihnen schweigend hinterher, untermalt vom Gelächter, das am Flurende aus einem Fernsehraum erklang. In dem Moment gelangten sie an ihre Stuben, schlossen die Türen auf und traten ein. Falk räumte seine Sachen direkt in die Fächer eines Spindes und schmiss die Tasche oben auf den Schrank. Außerdem bot die karge Behausung noch einen Tisch mit Stuhl, ein quietschendes Bett, wie er mit Händedruck prüfte und an der Wand hing ein Waschbecken samt Spiegel, darunter stand ein Mülleimer. Eine Mönchszelle wies mehr Behaglichkeit auf. Fast wie zu Hause in der JVA schmunzelte Falk und schaute aus dem Fenster auf den Kasernenhof. Er war gespannt, was ihn erwartete, zumindest war er freiwillig hier.

      Alexander Kraft klopfte an die Türe, holte ihn ab und gemeinsam schlenderten sie in der kühlen Nachtluft über den Hof. Als die beiden Neuankömmlinge die Kantine betraten, kamen ihnen ein paar Männer in Trainingsanzügen entgegen und grüßten. Der abgedunkelte, schmucklos eingerichtete Saal diente als Speiseraum, bei größeren Versammlungen als Aula. Dichte Vorhänge verdeckten die Sicht aus breiten Schiebefenstern auf eine trostlose Umgebung und am Tresen der Essensausgabe kündeten runtergelassene Rollladen vom Feierabend. In der Küche dahinter hallte das Lärmen von Aufräumarbeiten und Kesselscheuern. Der Geruch des letzten Abendessens verschwand wie zerstäubter Nebel, verdrängt vom Zitronenduft der Spülmittel und dem stechenden Salmiak einer Putzlauge. Nur eine mit Holzpaneelen verkleidete Nische verbreitete einen Tick Gemütlichkeit; dort klang Musik leise aus Boxen und gedämpftes Licht beleuchtete ein paar Tische. Urkunden von Schießwettbewerben hingen an den Wänden, dazwischen das Foto eines Mannes, über dessen rechte obere Ecke ein Trauerflor gespannt war. Darunter hatte man eine Metallplakette genietet, auf der stand: Im Einsatz gefallen. Ein lautlos gestellter Fernsehapparat übertrug ein Fußballspiel, in seinem Flimmerlicht las Falk die Botschaft auf einer Blechtafel: Egal, was du siehst, hörst, sprichst – bleibt alles in diesem Raum! An der gezimmerten Theke befand sich ein Flaschenausschank und Alexander Kraft bestellte zwei Pils.

      „Endlich was Vernünftigeres als Schampus“, stellte er fest und nestelte Geld aus einer Goldklammer. Während der Barkeeper, mit der Statur und dem Gesicht eines Preisboxers, die Flaschen aus einem der Kühlschränke holte, studierte Falk die Getränkekarte.

      „Lohnt keinen Blick, die Auswahl ist bescheiden und harte Sachen Fehlanzeige. Besaufen ist verboten“, belehrte ihn der Kollege. „Würdest du dir auch nicht wünschen, bei dem Programm, was in den kommenden Tagen bevorsteht.“

      Dafür bekam man verschiedene Biersorten und eine Anzahl alkoholfreier Getränke für kleines Geld. Ganz unten auf der Preisliste hatte ein Scherzbold mit einem Filzschreiber hinzugefügt: Schläge umsonst. Geschwind standen die Flaschen auf dem Tresen, Kondenswasser perlte am Hals herab und aus den Öffnungen quollen Schaummützchen. Klirrend stießen sie an und Falk genoss den ersten Schluck Alkohol seit Jahren. Sein Gaumen labte sich am bitteren Geschmack und herber Duft stieg in die Nase. Allerdings kribbelte es schon bald im Kopf, aber er empfand es als angenehm und schaute sich um. Weitere Personen bevölkerten den Raum; einige waren in Gespräche vertieft, an einem Tisch zockte eine Kartenrunde und an dem daneben lachte ein Mann laut auf. Davon abgesondert hockten drei bärtige V-Männer in islamischer Kleidung beim Tee und übten mit strengem Blick die Verachtung westlicher Unkultur. Insgesamt befanden sich nach Krafts Auskunft etwa zweihundert Menschen auf dem Gelände.

      „Die Hälfte der Belegschaft besteht aus Wachleuten, Ausbildern und Einsatzkräften wie uns, die zur Schulung weilen oder ihre Kenntnisse auffrischen. Den Rest bildet das Personal, was zur Versorgung und technischen Instandhaltung notwendig ist.“ Nachdem ein bekanntes Gesicht an einem Tisch Alexander Kraft zuwinkte, setzten sie sich zu den anderen Kursteilnehmern. Vor den Augen der Männer schärfte Kraft seinem neuen Partner ein, keinen engeren Kontakt als nötig zu suchen.

      „Aus Gründen der Geheimhaltung ist es besser, wenn jeder nur das weiß, was seine Aufgabe betrifft. Zumal manche