Frank Fröhlich

Feuertaufe


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Glauben Sie mir, es gibt keine unvorstellbaren Szenarien.“ Eifrig schrieben die Teilnehmer Notizen in ihre Hefte. Jeder hoffte, nie eine Sprengfalle oder Bombe vom Nahen zu sehen; falls doch, wollte man hinterher nicht aussehen wie der Dozent. Dieser schritt die Stuhlreihen entlang und genoss die Aufmerksamkeit. Es war eine andere als für gewöhnlich, wenn er mit seinem zerstörten Antlitz durch Fußgängerzonen flanierte.

      „Bei Interesse surfen Sie über die entsprechenden Seiten im World Wide Web. Besonders empfehle ich Links zu Islamisten oder Ariersekten aus den USA. Um es zu verdeutlichen, es gibt Empfehlungen wie zum Beispiel eine Glühbirne aufzubohren und diese mit Schwarzpulver zu befüllen. Die Birne schraubt man in die Fassung, wenn jemand den Lichtschalter drückt, wird es schlagartig hell und es reißt demjenigen den Kopf ab. Quasi geht unserem Kandidaten ein Licht auf, dass er Feinde hat.“

      Der Ausbilder lächelte schief, sofern es seinem Gesicht überhaupt möglich war, in stärkere Schräglage zu geraten. Er schwelgte in Erinnerungen, als Bomben noch Herausforderungen an den Entschärfer darstellten, von denen er eine leider nicht bestand. So kam er zu einem Gnadenbrot beim Konsortium und machte dessen Einsatzkräfte fit.

      „Bei allen negativen Auswirkungen, die der einfache Zugang zu Sprengmitteln und deren kinderleichte Verwendung bietet - ergeben sich auch Vorteile für uns. Viele Sprengsätze entpuppen sich als Blindgänger mit fehlerhaften Zündquellen, weil Stümper am Werk sind. Für Sie persönlich erschließt es die Möglichkeit, je simpler die Konstruktion, desto weniger Aufwand ist erforderlich, diese zu entschärfen. Und nun zeige ich Ihnen anhand von Beispielen, wie das geht.“

      Wie Schwämme saugten sie alles Wissenswerte auf und hofften, dass im Ernstfall das Erlernte genauso funktionierte, wie in der Theorie.

      Am späten Nachmittag transportierte ein Mannschaftsbus die ganze Übungsgruppe in eine nahegelegene Stadt. Es begann ein Katz und Mausspiel, im Fachjargon Observieren genannt. Wobei es in dem Fall die Verfolgten leicht hatten, da sie von den Beschattern wussten. Deshalb ging es den Schülern nicht darum, unauffällig zu agieren, sondern verdeutlicht zu bekommen, mit welchen Methoden sich Beschattete einer Überwachung entzogen. Erfahrene Agenten zeigten ihr ganzes Können und riefen alle Finten ihres Repertoires ab, mit denen man Verfolger abhängt. Eine Fußgängerzone, öffentliche Verkehrsmittel und ein Park stellten den Schauplatz der Übung dar und die Kursteilnehmer gerieten schnell ins Schwitzen.

      Falk und Alex wechselten mit Kollegen ständig die Positionen, wobei die Verständigung über Headsets lief und merkten sich die Tricks der Gejagten für spätere Einsätze. Immerhin hatte Alex vorausgesagt, Observation und Ausspähen seien die Hauptaufgaben des Echo-Teams.

      Dann löste ein anderes Duo die beiden für eine Weile ab und sie verkrümelten sich in einen Geschäftseingang. Sie verschnauften und beobachteten den Vorplatz eines Kaufhauses, auf dem Menschenmassen umherströmten. Ein Bratwurststand wirkte wie ein Magnet und angezogene Kunden standen Schlange. Während original Thüringer auf dem Rost brutzelten, ihren Duft herübersandten und die Mägen knurren ließen, fragte Falk nach moderneren Methoden.

      „Ich dachte heutzutage überwacht man mit Kameras, ortet Handys und spioniert Computer aus. Liest man doch ständig. Ich meine, es gibt Satelliten, mit denen aus dem All selbst das Gras beim Wachsen beobachtet werden kann. Warum sich weiterhin die Hacken ablaufen?“

      „Manpower ist immer gefragt, das ändert sich nie. Okay, man speichert Unmengen von Daten, nur wer soll diese Flut auswerten und beurteilen? Es geht nicht ohne erfahrene Ermittler und ihr Gespür, nenne es meinetwegen Bauchgefühl. Ein Computer registriert, aber eine Lage kann er nicht einschätzen.“ Alex holte seine Tüte Pfefferminz aus der Jacke und bot Falk davon an. Dieser griff zu und fragte weiter.

      „Ist es dann überhaupt sinnvoll, dass einige Politiker beständig versuchen, immer neue Gesetze und Methoden auf den Weg zu bringen, um den gläsernen Bürger zu erschaffen?“ Gemeinsam betrachteten sie exakt diese Bürger, die in dem Moment vorüberliefen. Die Menschen beeilten sich, denn am Himmel zogen dunkle Wolken auf. Alex nickte in Richtung einer Frau, Typ graue Maus.

      „Genau darum geht es beim Konsortium. Was nützt mir ein Berg an Informationen über Lieschen Jedermann? Ich muss einschätzen, wer wirklich eine Gefahr darstellt und gezielt an denjenigen rangehen. Technische Neuerungen sind nur Hilfsmittel, ersetzen aber keine Erfahrung oder ein gut geführtes Verhör. Glaube mir, ich weiß, wovon ich rede. Scheiße, jetzt fängt es auch noch an zu regnen und wir müssen wieder ran.“ Alex funkte die Übernahme und sie marschierten los.

      Regen nieselte vom Himmel, die zerstäubten Tropfen liefen ihnen über das Gesicht und durchweichten die Kleidung. Sie fluchten, schlugen die Jackenkragen hoch, schoben die Hände in die Taschen und eilten ihrem Überwachungsobjekt nach. Wind peitschte den Sprühregen jetzt über die Straße, stach wie Eisnadeln auf der Haut und die Lichter der Geschäfte spiegelten sich im nassen Asphalt. Passanten flüchteten in Läden und Passagen; ihr Objekt tat es ihnen gleich und hastete in das Kaufhaus. Die beiden spurteten hinterher.

      „Glück gehabt, unser Mann versucht im Warmen unterzutauchen. Nur - wo ist er hin?“, fragte Alex, als sie sich durch die Masse der Leiber drängten.

      „Hoffentlich gibt es keinen Hinterausgang oder ein Parkhaus“, spekulierte Falk, „sonst sind wir schnell ausmanövriert.“

      Beide standen im Eingang und peilten die Lage, ob irgendwo die vertraute Gestalt auftauchte. Von draußen trieb Zugluft durch die geöffnete Schleuse und fuhr in ihre nassen Jacken. Sie gingen ein Stück weiter; leise Musik animierte zum Konsum und ein Verkäufer pries über ein Mikrofon Rabatte an. Klamotten, Kosmetika, Schmuck - alles musste raus. Bei den Ermittlern fanden die Angebote kein Gehör, statt Schnäppchen jagten sie andere Beute.

      „Dort oben ist er, auf der Rolltreppe“, rief Falk und stieß Alex an. Sie hetzten los und drängten an Kunden vorbei, die sich gereizt über die Störung beim Einkauf zeigten. Eine Oma drohte im Nachhinein den Flegeln mit ihrem Stock. Im Spurt schnellten die Ermittler die Stufen hoch, nahmen immer zwei auf einmal, doch kurz bevor die Beschatter in der nächsten Etage ankamen, fuhr ihnen der Verfolgte auf der nebenanlaufenden Rolltreppe entgegen. Lächelnd winkte der Mann. In einem realen Einsatz könnten sie ihm jetzt nicht weiter folgen, ohne verdächtig zu wirken.

      „So ein Anfängerfehler, die werden sich bei der Auswertung ganz schön über uns lustig machen oder was meinst du?“

      Doch Falk hatte etwas entdeckt, was ihm die Sprache verschlug. Ein blondes Mädchen mit geflochtenen Zöpfen schaute ihn aus großen Augen an, während seine Mutter einen Verkaufstisch mit Strumpfhosen durchwühlte. Wie in Trance starrte er das Kind an, bis die Frau es bemerkte, ihn mit Blicken tötete und ihre Tochter an der Hand mit sich fort riss. Er sah den beiden hinterher.

      „Der Einsatz ist zu Ende, wir sammeln uns am Bus.“ Alex fummelte am Headset herum, lauschte konzentriert, denn der Geschäftsbetrieb störte den Empfang.

      Als Falk nicht reagierte, wurde sein Kollege aufmerksam. „Hör mal, in der heutigen Zeit rate ich dir ab, kleine Mädchen anzuflirten, auch wenn ich deine Gründe kenne.“

      Er fasste Falks Schulter, schüttelte den Kumpel wach und führte ihn weg.

      Auf der Rückfahrt saß Falk gedankenversunken im Polster und schaute aus dem Busfenster, während Alex neben ihm kauerte und mit an die Brust gesenktem Kopf schlummerte. Die meisten Kollegen dösten ebenfalls nach den anstrengenden Übungen in ihren Sitzen und Regenwasser verdunstete aus der Kleidung, sodass der Bus wie eine Waschküche roch. Vorne beim Fahrer lief Musik im Radio, übertönt vom Rutschen der Scheibenwischer, die das Wasser auf der Windschutzscheibe zerteilten. Die Lichter entgegenkommender Fahrzeuge brachen sich auf dem nassen Glas zu Prismen. Aber weder von ihnen, noch von der Radiomusik oder der im Regen vorbeiziehenden Landschaft bekam Falk etwas mit.

      Das blonde Mädchen ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Die geflochtenen Zöpfe und diese Augen – sie sah ihr verdammt ähnlich: Nina wäre heute zehn Jahre alt.

      Vorsichtig spähte der Mann durch die Gardinen zum Fenster heraus. Der Regen des Vortages glitzerte nass auf dem Asphalt und verdunstete in der Herbstsonne, die gelblich auf dem Teer schimmerte,