Frank Fröhlich

Feuertaufe


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ekelte den Afghanen und weckte schlimme Erinnerungen, doch er ließ sich nichts anmerken. Lediglich Mehmet hörte vom Nachbarstuhl, wie sein Gefährte unter dem Handtuch die Fingerknochen dehnte, dass es knackte.

      Auf verschiedenen türkischen Banken, die in der Stadt Filialen unterhielten, hob Mehmet mit der Kreditkarte von Mustafa Dogan einen großen Betrag ab. Das Verteilen auf mehrere Institute vermied es, einen dicken Geldstapel am Schalter in Empfang zu nehmen oder gar bei ihrer Ankunft durch den Zoll zu schmuggeln. Was sich bei der Durchsuchung als kluger Entschluss erwiesen hatte. Eine wachsende Anzahl Muslime tätigte Geldgeschäfte mittlerweile bei Bankhäusern, die Gewinne weder aus Zinsen erwirtschafteten, noch Geld in Alkohol, Schweinefleisch oder Glücksspielunternehmen investierten. Inmitten der täglichen Kundenzahl gingen die beiden Kämpfer unter und keiner der Angestellten würde sich an das Allerweltsgesicht des Türken erinnern, während die auffällig kräftige Gestalt des Afghanen um die Ecke wartete.

      An einem Fotoautomaten fertigten sie Passbilder an, eine weitere Anweisung Dogans, denn die Abzüge sollten für die Herstellung von gefälschten Dokumenten gelten. Der Kasten spuckte die Ablichtungen aus und Timur fand, sie sahen aus wie Fahndungsfotos.

      Bei ihren Streifzügen lernte der Afghane, sich wieder in einer deutschen Großstadt zu bewegen. Seit seinem letzten Aufenthalt hatte sich einiges verändert: Die Menschen schienen noch oberflächlicher zu sein und das Leben hektischer, auch zeigten sich die Sitten verkommener. Empfand er seinerzeit einen Teil der weiblichen Bevölkerung als schamlos, liefen jetzt viele herum, als gingen Huren auf den Strich. Obwohl der Sommer vorüber war, trugen zahlreiche Weiber Miniröcke und Tops, präsentierten Beine und Brüste. Speckrollen lugten unter zu kurzen T-Shirts hervor und Bauchnabelpiercings kamen zum Vorschein. Leider passten sich junge islamische Frauen diesem Trend an und provozierten Pfiffe. Timur betrübte das und Mehmet stachelte es zu langen Tiraden an. Vieles, was Timur sah, gefiel ihm nicht.

      Eine andere Wahrnehmung verriet ihm, dass einige Deutsche Angst vor seiner Person verspürten. Er fühlte sich beunruhigt, als er die Blicke spürte - fürchtete, sie durchschauten sein Vorhaben. Mehmet klärte ihn auf, dass sich jüngere Immigranten in Gangs organisierten, deren Schlagkraft berüchtigt sei. Deshalb würden mittlerweile weite Schichten der Einheimischen Unbehagen empfinden, wenn sie Fremden begegneten. Kriminalität schien Timur zwar der falsche Weg von Muslimen zu sein, andererseits erfassten ihn keine Beklemmungen mehr, wie in jenen Tagen als Asylant. Damals sorgten sich die Bewohner in den schäbigen Unterkünften, dass sie Opfer von Brandanschlägen wurden und eine Vielzahl solcher Attacken begründete diese Furcht.

      Er entwickelte seinerzeit ein gegensätzliches Verhältnis zur Bevölkerung. Manche sahen ihn ablehnend an und stuften ihn als minderwertig ein oder sie schimpften, dass die Asylbewerber Steuergelder kosteten. Timur bekam bei Wahlen mit, wie die Politiker um Stimmen buhlten und sich darin überboten, den Flüchtlingsstrom zu stoppen.

      Oft war er wütend gewesen, wenn seine Eltern mit Behördenvertretern, denen Eiswasser statt Blut in den Adern floss, um Kleinigkeiten feilschten. Aber er lernte auch gute Menschen kennen, Sozialarbeiter und Bürger, die sich ehrenamtlich in Flüchtlingsinitiativen engagierten. Dann kam der Tag, an dem er das deutsche Volk zu hassen begann. Dachte er zuvor noch mit zwiespältiger Dankbarkeit an dieses Land zurück, galt es nun eine Blutschuld zu begleichen. Und Angst jagte ihm mittlerweile niemand mehr ein.

      Ein paar jugendliche Musliminnen schlenderten in knapper Kleidung vorbei und unterhielten sich über belanglose Dinge der Popkultur. Einmal mehr dankte Timur einer höheren Macht, dass er keine Tochter hatte; Mädchen bescherten Vätern nur Sorgen. Doch als Bilder seiner Söhne vor dem geistigen Auge lebendig wurden, packte eine dunkle Klammer sein Herz und er konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe.

      Nachdem sie weitere Besorgungen ausgeführt hatten, suchten die beiden ein Bistro auf, um eine Pause einzulegen. Das Lokal nannte sich "Die Nachrichtenzentrale" und für die Gäste hingen Tageszeitungen aus aller Welt an Wandhaken und in einem Regal lagen Magazine aus. Über der Theke und in den Raumecken waren Fernsehgeräte montiert, auf denen aktuelle Nachrichtensender und Sportkanäle liefen. Zeitungsseiten tapezierten die Wände und der Wirt pflegte mit Schirmmütze, aufgeschlagenen Hemdsärmeln und gestreifter Weste das Image eines Journalisten der zwanziger Jahre. Zudem legte er die Hektik einer Redaktion an den Tag. Ein Automat summte und aus einer Düse schoss Kaffee mit geschäumter Milch in zwei Tassen. Der Kneipier schnappte die Gefäße und stellte sie klappernd auf den Tisch der Gefährten, dann eilte er weiter. Während Timur und Mehmet in dem heißen Gebräu rührten, lief in einem Programm eine Reportage über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Soldaten fuhren mit gepanzerten Fahrzeugen durch staubige Straßen und sicherten mit ihren Waffen nach allen Seiten, zielten auf Zivilisten.

      „Verlogene Bastarde“, schimpfte Mehmet. „Siehst du, wie ich dir gesagt habe, sie verkaufen die Besetzung deiner Heimat als Aufbauhilfe und was anderes wollen die Leute nicht hören. Ich verstehe nicht, wie du ihnen helfen konntest.“

      Timur nickte nachdenklich und trank von dem Kaffee, er kannte die Wahrheit, wie es in seinem Land aussah. Als Lehrer unterrichtete er die Kinder auch in der Geschichte ihres Volkes und schon immer geriet Zentralasien zum Schlachtfeld für durchziehende Eroberer und ausbreitende Imperien. Aber diese machten keinen Hehl aus ihren Motiven und vertuschten Raubkrieg nicht als Feldzug für Demokratie und Menschenrechte.

      „Anfangs sah es wirklich so aus. Nach den Anschlägen in Amerika marschierten US-Truppen ein und Armeen aus aller Welt schlugen ihre Zelte in unseren Gebieten auf. Manche kamen zum Töten und Zerstören, aber andere, wie die Deutschen, bauten Schulen, bohrten Brunnen und verteilten Medizin und Nahrung. Bis neue Kämpfe aufflammten und sie erste Gefallene beklagten. Eine stabile Ordnung sollte helfen, hieß es, die afghanische Polizei rekrutierte Personal dafür und europäische Beamte bildete es aus. Ich meldete mich und begleitete Patrouillen der Bundeswehr.“

      „Aber warum?“

      „Um meine Angehörigen zu beschützen und sie zu ernähren. Im Bürgerkrieg habe ich auf Befehl der Stammesführer oft eine Waffe getragen und auch abgefeuert. Wobei es mir egal war, auf wessen Seite mein Clan kämpfte, ob mit der Taliban, für die Nordallianz oder auf eigene Rechnung. Immer stand das Wohlergehen meiner Familie im Vordergrund. So schloss ich mich den Deutschen an und sie waren froh, da ich ihre Sprache beherrsche.“

      „Aber es geht dem Westen darum, die muslimischen Länder zu besetzen. Erst unterjochten sie Palästina mithilfe der Juden, dann eroberten sie Afghanistan, den Irak und bombardierten Libyen. Sie wollen den Islam vernichten und das Erbe der Kreuzritter antreten“, folgerte Mehmet und sein Gesicht glänzte. Timur widersprach.

      „Der Hundesohn Bush wandelte auf einem Kreuzzug, das ist wahr. Aber die Männer, die wirklich das Sagen haben, interessiert nur eines: Öl und andere Bodenschätze. Beim Irakkrieg gab es wenigstens noch Minderheiten, die protestierten und ausdrückten, dass es ausschließlich darum geht, uns auszubeuten. Wir selbst erfuhren recht schnell die blutige Wahrheit und auch die Deutschen bauten und bohrten nicht lange und wurden stattdessen zum Feind. Ich schloss mich dem Widerstand an und setzte mein Wissen gegen sie ein.“

      Die beiden griffen in eine Schüssel Pistazienkerne und füllten mit den Schalen einen Aschenbecher, denn im Lokal herrschte das gesetzliche Rauchverbot. Timur gierte nach einer Zigarette, er schob das Verlangen beiseite und nahm den Diskussionsfaden wieder auf.

      „Kaum jemand stört es, dass die US-Armee das Territorium sichert, damit ihre Multis Pipelines durch mein Land legen, um das Öl der ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens abzuzapfen und das muslimische Volk auszuplündern. Wir können uns nur selbst befreien. Deshalb versetzte ich mit meinen neuen Brüdern den westlichen Truppen und ihren Helfern harte Schläge. Wir entführten, legten Sprengfallen und töteten aus dem Hinterhalt. Dadurch entfachte ich die Aufmerksamkeit übergeordneter Führer und sie erwählten mich für einen Spezialauftrag. Für die Gier des Westens bezahlen wir mit Blut und es ist Zeit, den Krieg in ihre Städte tragen, damit deren Einwohner lernen, was Verlust ist. Bis sie ihre Soldaten aus allen islamischen Ländern zurückziehen.“ Timur hatte es in Zeitungen gelesen, als die Amerikaner reiche Vorkommen an Bodenschätzen wie Gold und Lithium in Afghanistan entdeckten. Nicht nur schien es niemanden zu wundern, dass Geologen stets die amerikanischen Feldzüge begleiteten.