Frank Fröhlich

Feuertaufe


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Marionettenregierung, die ihnen unendliche Schürfrechte sicherte. Während Timur an seine Heimat dachte, betrat eine lärmende Gruppe Italiener in Trikots von Inter Mailand das Bistro. Mit Bier und Espressi steuerten sie den rückwärtigen Teil der Bar an, von wo ein guter Blick auf eine große Leinwand herrschte. Mehmet verzog angewidert das Gesicht.

      „Gerade die europäischen Schweinefleischfresser sehen nur den eigenen Wohlstand. Sie wählen die Politiker, die Truppen in fremde Länder schicken und finanzieren mit Steuergeldern die Waffen, mit denen ihre Söldner Angehörige des islamischen Volkes töten. Deshalb darf es keine Gnade geben, niemand unter ihnen ist unschuldig.“ Seine Finger krallten sich um die Tasse. Timur gab ihm recht, er hatte es mit eigenen Augen gesehen und Rache geschworen.

      Der Wirt eilte herbei, fragte nach weiteren Wünschen, doch der Afghane scheuchte ihn weg. Auf dem Bildschirm wechselte das Land, das Thema blieb das Gleiche. Diesmal zeigte der Bericht, wie US-Soldaten aus einem Helikopter irakische Zivilisten zusammenschossen, die erkennbar unbewaffnet waren. Timurs Fäuste ballten und öffneten sich, sein Herz schlug einen wilden Takt dazu.

      „Ich hasse sie alle und will so viele wie möglich von ihnen töten“, zischte der Afghane und bekam nicht mit, dass auch an den Tischen anderer Gäste Empörung herrschte.

      „Ich wünschte, die Kämpfer träfen endlich ein und wir könnten zur Tat schreiten“, stieß Mehmet hervor. „Hast du schon Nachricht erhalten?“

      „Nein, doch ich bin zuversichtlich. Wir waren erst vorgestern bei Dogan und so schnell läuft das nicht. Die Gefährten müssen ihre Abreise unauffällig gestalten, damit jeder in seine Position zurückkehren kann. Diese Aktion ist zu wichtig und Sicherheit geht vor, aber unsere Freunde werden kommen, dafür sind sie schon lange bereit.“ Timur rupfte eine Serviette in kleine Fetzen und lächelte. „Wie die irakischen Brüder bomben wir eine Nation nach der anderen aus meiner Heimat heraus. Die Bundeswehr hat in der Vergangenheit genug Soldaten verloren, sodass die Unterstützung für den Einsatz in der Bevölkerung sinkt. Ein harter Schlag im Inland und die Deutschen laufen davon wie die Spanier nach der Aktion von Madrid.“

      Mehmets Gesicht hellte sich auf, zeigte Stolz, an einem so großen Vorhaben beteiligt zu sein. Torjubel erschallte aus der Ecke, wo die Tifosi das Fußballspiel verfolgten, während auf ihrem Kanal US-Soldaten das nächste Leben auslöschten. Im Nachtsichtgerät einer Drohne kroch der Schemen eines Verwundeten davon, krümmte sich wie eine Raupe, bis er im Staub der Bordwaffeneinschläge versank. Mehmets Augen blitzten und er wollte aufspringen, wenigstens dem Jubel aus der Fußballgemeinde ein Ende setzen, doch ein mahnender Blick zwang ihn auf den Stuhl.

      „Keine Sorge mein Freund, auch sie haben bereits Soldaten im Irak verloren und Aktionen in Italien folgen eines Tages. Aber zuerst müssen wir unsere Mission ausführen. Deshalb nutzen wir die Wartezeit und werfen morgen ein Auge auf den Treffpunkt“, schlug Timur vor. „Wenn die Gefährten anreisen, nehmen wir direkt das Gepäck mit. So verlieren wir weniger Zeit, denn auch ich brenne darauf, endlich zu handeln.“

      Neue Gäste betraten das Lokal und suchten sich Plätze, vom Tresen klirrte Gläserspülen und Bestellungen wurden ausgerufen. In der Luft schwebte der Duft von Pizzen, die beiden bekamen Hunger und wollten nach Hause. Allerdings wartete dort nicht nur ein Abendessen auf sie.

      „Ich möchte auch die Geduld deiner Schwester keinesfalls weiter herausfordern. Du weißt, in Afghanistan nennt man Frauen das zweite Geschlecht. Ich dachte nie wirklich so, es gibt welche, die Respekt verdienen, weil sie ihrem Mann eine Stütze sind, wie Nusha, mein Weib es war. Aber ich mache mir Sorgen wegen Alia. Sie ist nicht zuverlässig.“ Timur stoppte aufkeimenden Protest mit einer Handbewegung.

      „Glaube mir, wir müssen zusehen, dass wir verschwinden, bevor sie uns gefährlich wird.“

      Dann standen die beiden auf, rückten die Stühle an den Tisch zurück und Timur beglich die Rechnung.

      Polizeimeister Kevin Aschenbrenner gähnte herzhaft. Die Nachtschicht neigte sich ihrem Ende zu und hatte Spuren im Gesicht des jungen Beamten hinterlassen. Der Polizist blickte zum Erdgeschossfenster des Präsidiums in Köln-Kalk hinaus. Vor ein paar Jahren räumte die Behörde das eng gewordene, mit Asbest verseuchte Gebäude in der Innenstadt und zog in einen neu errichteten Komplex. Für Aschenbrenner, der mit der S-Bahn von der nahegelegenen Station fünfzehn Minuten bis zu seinem Wohnort brauchte, bedeutete dies einen Segen. Er freute sich auf das Dienstende und sein heimatliches Bett. Noch eine Stunde, wie ein Blick auf die Uhr über dem Empfangstresen verriet.

      Dem Präsidium schräg gegenüber, auf den unbebauten Flächen, errichteten Arbeiter eines Wanderzirkus ein buntes Zelt. Von Tiefladern zerrten sie Metallteile und Planen herunter und schleppten die Bauelemente auf das Areal. Jedes Mal, wenn in der Stadt ein Spektakel gastierte, nutzten Veranstalter die riesige Freifläche. Der Polizist schauderte, als er sich an die Werbeplakate der Ausstellung Körperwelten erinnerte. In der Freizeit plastinierte Leichen zu betrachten löste keine Begeisterung aus, immerhin hatte er in seiner kurzen Laufbahn schon zwei Tatorte von Morden gesehen. Alleine, wenn er an den Geruch dachte, wurde ihm übel. Er verzog das Gesicht und trank den letzten Schluck kalten Kaffee aus der Tasse mit dem Wappen des Polizeisportvereins.

      Draußen klingelten Beflaggungsleinen im Wind an die Fahnenmasten. Er sah hinaus und erblickte wieder die junge Frau, die an der Fassade hoch sah. Sie fiel ihm schon vor einer Stunde auf, als sie unschlüssig vor dem Gebäude herlief und eine Zigarette nach der anderen rauchte. Attraktive Erscheinung befand Single Aschenbrenner, die er gerne auf einen Drink nach Feierabend einladen würde. Aber da es sich um eine Türkin handelte, verwarf er den Gedanken; das gab nur Ärger mit deren Familie.

      Das schätzte er auch als Grund ein, warum sie vor dem Präsidium wartete. Wenn Frauen auf dem Gehsteig davor auf und ab schritten, überlegten sie aufgrund seiner Erfahrung, ob sie es betreten sollten. In der Regel waren es Missbrauchsopfer. Bei den Ausländerinnen verhielt es sich anders, entweder traute sich kein Vergewaltiger an sie heran oder die Dunkelziffer war aus Scham enorm hoch. Wandten sich Migrantinnen an die Polizei, ging es um Probleme mit den Angehörigen. Manche suchten Schutz vor Verwandten wegen ihrer zu westlichen Lebensweise - auch diese dunkelhaarige Schönheit trug enge Jeanshosen, ein lilafarbenes Sweatshirt und hohe Stiefel. Oder die Frauen flüchteten vor gewalttätigen Ehemännern. Obwohl das Schichtende nahte, hoffte er, sie würde die Wache noch betreten. Denn er wollte gerne von Nahem begutachten, ob sie wirklich so hübsch aussah, wie aus der Ferne. Ein zweiter Blick auf die Uhr, die Zeit lief davon. Doch als er seine Tasse absetzte und aus dem Fenster schaute, war die Frau verschwunden.

      Die Straßenbahn ratterte über die Schienenstränge, aber die Geräusche drangen nur gedämpft an Alias Ohren. Ihre Augen blickten in die vorüberziehende Landschaft und sahen nichts. Sie fuhr zurück nach Hause und war tief in Gedanken versunken. Vorher musste sie noch die Kinder bei Sabine, einer Freundin abholen, die seit morgens auf die beiden aufpasste. Sie sah auf die Armbanduhr und runzelte die Stirn. Den Vormittag vertrödelt, schimpfte sie sich einen Angsthasen. Fast eine Stunde war sie vor dem Polizeipräsidium hin und her gelaufen und letztendlich verließ sie der Mut, das Gebäude zu betreten. Eine Kippe nach der anderen hatte sie geraucht und schmeckte jetzt einen schalen Geschmack auf der Zunge.

      Ihr gegenüber saß ein Mann, der sie unauffällig musterte - wie er glaubte. Sie nahm dies hin, studierte dafür die Zeitung, die der Typ in den Händen hielt und in der er las, wenn nicht gerade sein Blick auf ihre Beine schielte. Die Schlagzeilen berichteten von schweren Selbstmordattentaten im Irak und dass die Justiz das Strafrecht für Besucher von Terrorcamps verschärfte. Sie dachte an ihren Bruder, benannt nach Mehmet dem Eroberer. Nur dass ihm im Gegensatz zu seinem Namenspatron wenig gelang. Denn außer den Firmen, bei denen er sich bewarb, mieden ihn die Mädchen und gaben ihm Körbe, bis er verbitterte und sich radikalisierte. Er kam ihr vor wie ein Samenkorn, das auf steinharten Boden traf und vom Wind weiter geweht wurde. Bis es im Schlamm des Islamismus landete, aufblühte und gedieh.

      Die Argumente in ihrem Kopf überschlugen sich. Vielleicht musste sie ihren Bruder doch ans Messer liefern, um ihn vor größerem Schaden zu bewahren? Die Bahn fuhr schaukelnd in den Untergrund hinab, das Licht sprang an und die Türkin erblickte ihr Gesicht in der Scheibe. Konnte sie noch in den Spiegel schauen, wenn sie Mehmet verriet?