Frank Fröhlich

Feuertaufe


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das Fenster wieder mit der Gardine. Wartete. Draußen blieb alles ruhig; in dieser Straße tobte kein Verkehr und nirgends sah er eine Menschenseele auftauchen, aber er wusste, dass sie anmarschierten. Die Stube war ausgekühlt und er schauderte, fehlte im Raum doch jegliche Heizung. Der Beobachter befand sich im Vorteil, denn er erwartete die Gegner, während diese nur spekulieren konnten, wo der Mann im Hinterhalt lag. Sein Blick strich im Zimmer herum, es stand fast leer, nicht der geringste Wandschmuck oder Möbel waren vorhanden. Lediglich der Holzstuhl, auf dem er saß und das Gewehr mit dem Aufsatz, welches an der Wand lehnte, leisteten ihm Gesellschaft. Zur Beruhigung seiner flatternden Nerven würde er jetzt gerne eine Zigarette rauchen, aber der Qualm konnte ihn verraten, wenn er zum Fenster rauszog. Außerdem war es zu spät - er hatte die Feinde entdeckt. Zwei von ihnen schlichen gerade um eine Hausecke und sicherten. Dann liefen die beiden Männer an der Gebäudefront auf der anderen Straßenseite entlang. Die Fensterhöhlen über ihren Köpfen grinsten kalt und leer. Ohne Hast hob der Heckenschütze seine Waffe an, schob den Gewehrlauf unter den Vorhangstoff und zielte durch den Fensterspalt. Er überlegte, wen er zuerst aufs Korn nehmen sollte, den kleinen Dunklen oder das blonde Kraftpaket? Bevor die Entscheidung fiel, duckten sich die beiden Gegner an einem Schrottauto und verschwanden aus seinem Blickfeld. Der Schütze zog den Lauf wieder vom Fensterbrett zurück und übte sich weiter in Geduld.

      Falk und Alex sicherten die Straße runter und hörten über Headsets, wie Truppführer Befehle erteilten. In dem Augenblick, wo sie sich hinter dem Autowrack versteckten, gingen andere Kräfte auf parallelen Routen vor, um den Gesuchten von allen Seiten zu umzingeln. Beide hielten ihre Waffen in den Händen und suchten Fenster und Hauseingänge nach verdächtigen Zeichen ab. Falk tippte Alex auf die Schulter.

      „Ich glaube, ich habe eine Bewegung im Haus gegenüber entdeckt. Oben links, hinter dem aufbauschenden Vorhang duckte sich jemand.“

      „Sicher?“

      „Nee, nur ein Gefühl.“ Falk kniete in einer Pfütze, die Nässe zog durch den Hosenstoff; er spürte es und verlagerte das Bein. Das fehlte ihm noch. Ein Kälteschauer jagte den Rücken hoch. In der Nacht hatte er Fieber bekommen und beim Aufstehen kratzte es im Hals. Das rührte wahrscheinlich vom gestrigen Sprühregen und dem Durchzug in dem Kaufhauseingang her. Aber als Neuling wollte er nicht kneifen, schmiss sich morgens zwei Aspirin ein und machte den Einsatz mit. Dennoch fühlte er sich wie gerädert und fehl am Platz.

      „Moment, über Funk kommt gerade was. Die Kollegen sind am Hintereingang, wir sollen noch abwarten, dann durch die Vordertüre kommen.“ Beide bereiteten sich zum Sprung vor.

      Falk beobachtete die Fenster gegenüber und spannte die Beinmuskeln an, um auf Kommando hochzuschnellen. Ein Gefühl, das ihn etwas belauerte, kroch weiterhin seine Nervenbahnen empor und die Haare auf den Armen stellten sich auf. Vier weitere Kollegen bogen um die Ecke, schlichen auf der anderen Straßenseite entlang, pressten ihre Körper an die Hauswand, bis sie schließlich rechts und links vor einer Eingangstüre stoppten. Es war das Gebäude, in dem Falk die Bewegung vermutet hatte. Dann waren alle Kräfte in Stellung gebracht und das Signal zum Angriff ertönte.

      Einer brach die Türe auf, laut schreiend stürmte das Quartett ins Innere und Befehle bellten durch die Stille. Falk und Alex deckten das Vorgehen. Auch an der Hinterfront brandete Lärm auf und eine Rauchgranate explodierte im ersten Stock, dichter Nebel breitete sich aus und quoll aus den Fenstern. Dann setzten die beiden ebenfalls über die Straße und spurteten ins Haus.

      Als Nachhut sicherten sie das Untergeschoss, damit die Truppe in keinen Hinterhalt geriet; standen Rücken an Rücken und zielten mit den Waffen auf verschlossene Türen. In der Etage über ihnen polterte es und aus den Headsets prasselten Meldungen. Falk lauschte und sah sich um. Staub bedeckte die Treppenstufen und an den Wänden hingen Spinnweben. Hier war seit Jahren kein Besen mehr durchgegangen. Während er an die Decke starrte, erfasste ihn Schwindel, heiße und kalte Wallungen schüttelten abwechselnd seinen Körper. Schweißschübe drangen durch die Poren und ließen die Unterwäsche an der Haut kleben.

      „Zielperson aufgespürt und gestellt“, meldete Alex, der ebenfalls eifrig den Funkverkehr verfolgte. In dem Moment öffnete sich die Türe einer Parterrewohnung und eine Frau mit Kopftuch trat heraus. Falk sprach diese mit heiserer Stimme an, ein Schleimklumpen verstopfte seine Kehle. Zuerst reagierte die Unbekannte nicht, dann drehte sie sich ruckartig um. Ihre Kleidung beulte sich über dem Bauch und sie zog etwas Dunkles aus ihrem Kittel. Stellte sie eine Selbstmordattentäterin dar, mit einem Zündauslöser in den Fingern? Falk drückte ab und markierte sie mit dem Laser. Blonde Strähnen lugten aus dem Tuch hervor, unter der Schürze zeigte sich ein Kissen und die Frau winkte mit einem Handy in der Hand. Ein Ausbilder betrat den Hausflur.

      „Glückwunsch Kollege, Sie haben gerade eine schwangere Zivilistin erschossen. Hiermit ist die Übung für Sie zu Ende.“

      Nach einer Standpauke verließ Falk das Übungsdorf und trottete Richtung Unterkünfte. Für heute hatte er die Schnauze voll und fand es besser, sich ein paar Stunden aufs Ohr legen.

      Auf seiner Bude angekommen schlüpfte er aus den Klamotten und fiel ins Bett, wechselte zwischen Schlafen und wach liegen. Gedanken verfolgten ihn und er wälzte sich hin und her.

      Gegen Mittag klopfte es an der Türe und Alex schaute rein. In der Hand hielt er ein Netz mit Zitrusfrüchten.

      „Was hast du mitgebracht, die Goldene Zitrone für den Loser des Tages?“, krächzte Falk.

      „Blödsinn. Jetzt spiel nicht verrückt, Fehler passieren.“

      „Dürfen aber nicht.“ Falk schilderte, dass er sich immer noch die Frage stellte, ob sein Engagement im Konsortium richtig sei. Alex wiegelte ab, er solle seine Vorbehalte überwinden, doch Falk wies daraufhin, weswegen er in Haft gewesen war. Dem widersprach sein Kollege.

      „Genau deshalb hast du eine Chance verdient, basta. Ich schneide dir gleich die Zitronen auf und presse sie aus. Trink einen Schluck davon, den Rest kippe in eine heiße Badewanne. Bis heute Abend wirst du ein neuer Mensch sein, dann sprechen wir uns noch mal.“ Ganz Mutter ohne Brust halbierte Alex die Früchte mit einem Taschenmesser und quetschte die Hälften bis auf den letzten Tropfen in einen Zahnputzbecher aus. Dabei erzählte er, dass sie nach Falks Weggang die Geiselbefreiung aus einem gekaperten Fahrzeug geübt hätten. Auch da war nicht alles glattgegangen, tröstete er seinen Kollegen. Anstrengende Tage lagen hinter ihnen und laut Alex sollten noch etliche folgen.

      „Das war nur der Anfang. Sie führen in den nächsten Wochen viele Tests durch und spüren sämtliche Defizite auf. Danach stellen sie ein individuelles Programm für dich zusammen und es geht an den Feinschliff.“

      Falk lächelte. Obwohl ihm trotz seines trainierten Körpers mancher Muskel schmerzte und der Schädel vor lauter Information brummte, freute er sich, einen guten Kameraden gefunden zu haben. Er fasste den Entschluss, wenn die Gelegenheit einer ruhigen Minute eintrat, den weiteren Weg reiflich zu überlegen. Er wollte niemanden enttäuschen. Alex stellte den Becher auf den Tisch und schmiss die Schalen in den Mülleimer.

      „In den Jahren habe ich für das Konsortium einige Einsätze gefahren, aber dabei noch keinen einzigen Schuss abgegeben, falls dir damit geholfen ist. Doch eins ist sicher, man muss sich seiner Bestimmung stellen. Ich bin davon überzeugt - es kommt der Tag, wo wir dich brauchen.“

      Kapitel 6

      Die Tage bis zur Ankunft ihrer Gefährten verbrachten Timur und Mehmet häufig in der Stadt. Vieles war zu erledigen, außerdem wollte der Afghane sich nicht mehr als nötig in Alias Wohnung aufhalten. Sie deckten sich mit Kleidungsstücken ein, denn die Sachen, die sie auf dem Flug getragen hatten, stellten nur eine Grundausstattung dar. Das meiste an Textilien in ihren Koffern sah zu fremdländisch aus und war darin enthalten, weil es ungewöhnlich gewesen wäre, ohne Gepäck zu reisen. Nun verfügten sie über ein ausreichendes Sortiment an Jeanshosen, Sweatshirts, Jacken und Sportschuhen und verschmolzen mit der Masse ausländischer Mitbürger.

      Ein Besuch beim türkischen Friseur hielt ihre Kopf- und Barthaare kurz, wie bei vielen der gemäßigten Muslime, die sich in Westeuropa ansiedelten.