Frank Fröhlich

Feuertaufe


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sich in seinem Stuhl zurück. Dann legte er die Brille auf den Tisch und hielt die Hände vor den Bauch.

      „Ganz einfach: 11. September, London, Madrid, Bali, Djerba, noch mal London“, zählt er an den Fingern ab. „Sagt Ihnen das was? Dazu im letzten Moment verhinderte Attentate in Frankreich, Deutschland und wiederum Madrid. Wir sind im Krieg gegen einen gnadenlosen Gegner und konventionelle Mittel reichen nicht mehr aus, um ihn zu bekämpfen. Wir müssen umdenken und neue Wege beschreiten. Es ist ein Wettlauf, aber eben kein sportlich fairer. Fanden die Anschläge früher auf fernen Kontinenten statt, bomben Terroristen mittlerweile Zivilisten in Vorortzügen und Bussen zu Tode und rücken näher. Stand der Feind früher noch vor der Tür, so ist er jetzt bereits im Haus. Arbeitet dazu verstärkt an der Beschaffung von Material für Massenvernichtungswaffen.“

      Falk waren diese Bombenanschläge bekannt, schließlich beherrschte jedes dieser Attentate eine Zeit lang die Nachrichten. Doch reichte es ihm noch nicht als vollständige Antwort auf seine Frage, aber die folgte sogleich.

      „Wir brauchen jemand, der die Gegner ohne lästige Fesseln aus parlamentarischer Kontrolle, Medien und Bürgerrechten aufspürt, ausspioniert und gegebenenfalls bekämpft.“

      Dabei breitete Traunfels die Arme aus und deutete an, wen er damit meinte. Das bezog Falk mit ein, wie diesem klar wurde und der Alte wandte sich den konkreten Vorstellungen ihres Engagements zu.

      „In der Konsequenz heißt das, wenn die Nachrichtendienste erfahren, dass sich was tut, bekommen wir eine Info. Im Idealfall. Wir überwachen dann die Verdächtigen und zapfen deren Telefone an, ohne lange um Genehmigung zu betteln. Schleusen V-Leute ein, die nicht später vor einem Ausschuss gewissenloser Politiker landen, die alles tun, um wiedergewählt zu werden, nur nicht das, was ihre Pflicht wäre. Sollte es nötig sein, wenden wir auch Methoden an, die aus dem Rahmen fallen. Ich will keine Details ausbreiten, Sie können es sich denken.“

      Das konnte Falk allzu gut und er bekam ein mieses Gefühl. Eigentlich hatte er, wenn er überhaupt mal an die Zeit nach der Haft dachte, andere Perspektiven gewählt. Mehrere Variationen spielten dabei eine Rolle, aber die Mitgliedschaft in einem politisch und militärisch operierenden Geheimbund kam bisher in seiner Lebensplanung nicht vor. Dafür traten noch fragwürdigere Gesichtspunkte ans Licht, als Traunfels weiter sprach.

      „Nehmen wir als Beispiel den entführten Millionärssohn aus Frankfurt, bei dem ein Ermittler dem Kidnapper mit Folter drohte, um das Kind zu retten. Wissen Sie, welchen Fall ich meine? Gut - egal was sich danach für ein Geschrei erhob, das sogar zur Verurteilung des Polizisten führte – so eine Handlungsweise ist auf unserem Weg völlig legitim. Die Allgemeinheit bekommt nur selten was davon mit.“

      Falk wollte von seinem Sitzplatz aufstehen und gehen, doch Alexander Kraft drückte ihn sanft, aber bestimmt, in den Sessel zurück. Falk protestierte.

      „Das kann nicht Ihr Ernst sein. Hören Sie, ich habe eine Menge Mist gemacht, klare Sache. Nur, was Sie da andeuten, das ist Wahnsinn. Ich bin kein Folterknecht.“ Seine Stimme nahm an Lautstärke zu, während Traunfels die Beherrschung behielt.

      „So meine ich das auf keinen Fall und das würde auch niemand von Ihnen verlangen. Ich wollte nur darlegen, dass in den heutigen Tagen selbst der Gute einmal den Pfad der Tugend verlassen muss. Wie das in der konkreten Situation aussieht, zeigt sich dann, aber der Erfolg rechtfertigt die Mittel. In letzter Zeit verhinderte man viele Anschläge und verhaftete zahlreiche Islamisten. Gleich, ob es die Kofferbomber von Köln betraf, die Sauerlandgruppe oder das versuchte Attentat auf den Straßburger Weihnachtsmarkt. Die Menschen glauben, dass man die Informationen zu den Verhaftungen mit rein legalen Mitteln erlangte, aber dem ist nicht so. Dabei ist das, was an die Öffentlichkeit drang, nur die Spitze des Eisberges.“

      Falk beruhigte sich. Als er von den Anschlagsversuchen hörte, die er auch über die Medien verfolgt hatte, bekam sein Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck. Natürlich sah er ebenfalls die Gefahren, welche durch neue Formen des Terrorismus drohten, der sich gegen die breite Bevölkerung richtete und dessen Täter vor dem eigenen Tod nicht zurückschreckten. Vielleicht war dieser erfahrene Ermittler doch ein Stück weit im Recht. Sie bearbeiteten ihn tüchtig, das musste er zugestehen und fixierten ihn mit den Augen, sogar der Hund widmete ihm seine Aufmerksamkeit. Eine vertrackte Situation und Traunfels hieb in die Kerbe, welche sich auftat.

      „Mit jedem Tag steigt die Bedrohung, obwohl die bekannten Islamisten unter Überwachung stehen. Selbst wenn sie nach dem Besuch ausländischer Terrorcamps gegen alle Vernunft wieder in unser Land einreisen dürfen, machen die keinen Schritt, ohne dass die Behörden davon erfahren. Sie verfügen auch nicht über eine straff organisierte Truppe. Viele Zellen handeln autonom und verständigen sich mittels Internet und ihnen dient das Netzwerk al-Qaida lediglich als Sprachrohr und Geldquelle. Aber der Gegner ist nicht dumm und es wird verstärkt dazu kommen, das kleine schlagkräftige Einheiten oder Schläfer auf eigene Faust losschlagen.“

      Der ältere Mann stand auf und lief in dem Raum umher. Die Vorstellungen, die er verbreitete, ließen ihm keine Ruhe. Schon lange nicht mehr.

      „Irgendwann hat eines der Kommandos Erfolg, sicherlich. Aber wir sorgen dafür, dass dieser Tag so fern wie möglich bleibt. Das ist unsere Pflicht.“

      Er nahm erneut an seinem Tisch Platz, lächelte - als seien ihm die Emotionen peinlich. Dann richtete er den Blick wieder auf Falk.

      „Wohlgemerkt, wir stellen keine Cowboytruppe oder Todesschwadron dar. Wir sind auch nicht zu vergleichen mit privatwirtschaftlichen Söldnertruppen aus Amerika, wie Blackwater. Aber zum Schutz unseres Landes und der Menschen erscheinen uns alle Mittel recht.“

      Richard Traunfels öffnete eine Tür in seinem Schreibtisch, holte die stets gekühlte Flasche Vulkaneifeler Mineralwasser hervor und schenkte ein Glas ein. Der Vortrag hatte den Mund ausgetrocknet, doch er musste diesen Sturm unbedingt haben. Bisher bekam er jeden, den er rekrutieren wollte und er schaute den Mann auffordernd an, nur jener zögerte noch. Nach einer Weile des Schweigens sprach Falk.

      „Gut, ich verstehe, was Sinn und Zweck ist. Das will ich jetzt auch nicht bewerten. Aber wie komme ich da ins Spiel? Ein abgehalfterter Bulle, der im Knast gelandet ist. Was Sie benötigen, sind Spezialisten, kaum einen verkorksten Typen wie mich.“

      „Glauben Sie mir“, sagte Richard Traunfels und lächelte freundlich. „Es ist kein Zufall, dass Sie hier sitzen. Ihr Fall ist eingehend studiert worden und wir brauchen genau solche Leute wie Sie. Die in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen und unkonventionelle Wege beschreiten. Denen Loyalität etwas bedeutet. Dazu kommt die Persönlichkeit; unsere Mitarbeiter sind bereit Opfer zu bringen und an ihre Grenzen zu gehen; wenn sein muss darüber hinaus. Klar ausgedrückt haben einige sowieso nicht viel zu verlieren.“ Dabei grinste der Alte verschmitzt. So lief der Hase, dachte Falk, er war im Notfall leicht abzuschreiben.

      „In letztere Kategorie passe dann wohl ich. Nur - ich habe mich geändert. Früher traf ich eine Entscheidung, von der ich vermute, dass sie der Grund meiner Anwerbung ist. Dafür musste ich büßen. Ich sage ganz offen, ich weiß nicht, wer ich mittlerweile bin und was ich vom Leben noch erwarte. Aber ich will nicht mehr töten. Das bin ich meinem Gewissen schuldig.“ Er war auf die Antwort gespannt.

      „Eventuell bekommt Ihr Gewissen eine andere Denkrichtung, wenn Sie eine Zeit bei uns reinschnuppern. Treffen wir eine Vereinbarung und geben Sie uns und sich selbst diese Chance. Lassen wir es auf einen Versuch ankommen“, bat Traunfels.

      „Was passiert, sollte ich ablehnen? Dann fährt mich Ihr Mitarbeiter wohl auf schnellstem Weg zurück in den Bau?“

      Alexander Kraft, der die ganze Diskussion aufmerksam verfolgt hatte, schüttelte den Kopf und die Stimme von Traunfels bekam einen feierlichen Klang, als er erklärte:

      „Das Dokument mit der Halbstrafe ist gültig. Sie sind ein freier Mann. Wenn Sie jetzt aufstehen und zur Tür raus gehen, dann hält Sie niemand auf. Mein Ehrenwort.“

      Beide sahen Falk wieder mit Spannung an. Er wartete ein paar Sekunden und wägte den Gefühlsturm gegen eine Gedankenflut ab - Kopf versus Herz. Eine Seite gewann vorläufig die Oberhand.

      „Einverstanden,