Frank Fröhlich

Feuertaufe


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Richter einfach aus dem Handgelenk sein Autogramm drunter? Nach dem, was ich über diesen Herrn weiß, ist der nicht für Milde bekannt. Ganz im Gegenteil.“

      Sie spazierten am roten Rathaus vorbei, auf dessen Vorplatz der Pranger stand, ein Holzpfosten mit einem eisernen Halsring. Jugendliche eines Schulausflugs umringten den Schandpfahl, der Klassenclown legte sich den Bügel an und schnitt Grimassen. Die anderen lachten und johlten, wie es das Publikum gleichfalls in dunklen Zeiten getan hatte. Nur verlief die Angelegenheit für den Verurteilten damals weniger amüsant. Immerhin bewarf heutzutage niemand mehr den Verspotteten mit faulem Gemüse oder Pferdeäpfeln, wie es anno dazumal üblich war. Im Lauf der Jahrhunderte erstarkten die Menschenrechte und das änderte auch die Gerichtsbarkeit. Ging die mittelalterliche Justiz mit rigoroser Härte vor, strafte in der Gegenwart ein Wegschlussapparat mit Resozialisierungsaussage. Nur Alexander Kraft konnte anscheinend noch verfahren wie ein Gutsherr.

      „Sie kennen den Richter auch nicht so gut wie wir. Er gab uns sogar den Tipp mit dem Staatsanwalt und sorgte dafür, dass die Koksnase an der Anhörung teilnimmt. Ich erzähle Ihnen eine kleine Geschichte: Der gute Mann hatte eine Enkelin, an welcher er sehr hing. Ein nettes Mädchen, von den Fotos her, die ich auf seinem Schreibtisch sah. Wirklich niedlich, sie wäre bestimmt eine tolle Frau geworden.“

      Während Falk zuhörte, wich das Lächeln aus Krafts Gesicht, ein böser Blick starrte aus den Augen und die Stimme klang bedrohlich. „Wird sie aber niemals, weil es kranke Gehirne gibt, für die sie unwerter Dreck gewesen ist. Die Kleine ist bei den Bombenanschlägen auf Bali getötet worden. So, und wir sind da, hier wohnt der Alte.“

      Die Wut verrauchte, Kraft bekam wieder gute Laune und öffnete das Tor in einem Jägerzaun. Sie durchquerten einen Garten, in dem Obstbäume mit Früchten beladene Äste herabbogen. In einer Ecke befand sich zwischen Tannen ein Geräteschuppen nebst dem Verschlag für Kompost und an den Stämmen hingen Nistkästen. Vor den Nadelbäumen lud eine Bank zum Sitzen ein und in den Beeten standen Gemüseköpfe Spalier wie Soldaten. Gerüche nach reifem Obst füllten die Luft mit schwerer Süße. Äpfel und Pflaumen lagen am Boden und Insektenschwärme flogen summend auf, als sich eine Tür in dem mit Wein berankten Fachwerkhaus öffnete und eine ältere Dame mit Schürze heraustrat. Sie umarmte Kraft, drückte Falk die Hand und lächelte ihn voll Wärme an.

      Kraft machte Falk mit Vera Traunfels bekannt, der Frau des Alten. Sie bat die beiden herein und entschuldigte ihren Gatten: Richard Traunfels wanderte noch eine Runde mit dem Hund. Die Hausherrin schenkte Kaffee ein und stellte die Tassen auf ein Tablett mit Gebäck. Dann führte sie die Besucher eine Wendeltreppe hinauf ins Arbeitszimmer ihres Mannes, wo sie auf dessen Rückkehr warten sollten. Sie setzte das Servierbrett auf einen Beistelltisch aus Mahagoni ab, der neben zwei hellbraunen Stoffsesseln stand, und empfahl sich nach unten. Kraft hing sein Sakko über eine Sessellehne und nahm auf dem Polstermöbel Platz. Im Erdgeschoss klapperte Frau Traunfels beim Geschirrspülen und draußen fuhr ein Nachbar mit seinem Rasenmäher vorbei. Falk konnte den Geruch geschnittenen Grases förmlich schmecken. Er trank von dem Kaffee, der um Meilen besser mundete, als das eingetauschte Gebräu von Darko. Wieder kam ihm die Situation unwirklich vor - waren erst zwei Stunden seit seiner Entlassung vergangen? Vom Sessel her hörte er mahlende Geräusche: Alexander Kraft machte sich über das Kaffeegebäck her, während Falks Blick im Arbeitszimmer kreiste.

      Durch ein Panoramafenster flutete Sonnenlicht über die Lehne eines Drehstuhls auf den Schreibtisch und erhellte einen Computer, ein zusätzliches Notebook, Telefonapparate, Blöcke und diverse Büroutensilien. Besonders faszinierte Falk ein Chronometer, der die Uhrzeiten fremder Hauptstädte anzeigte. Alles lag platziert, wie mit einem Lineal gezogen. In einer Schrankwand links von ihm standen alphabetisch geordnet Gesetzestexte, Militärhandbücher, Dokumentationen Kriminalstatistiken, geschichtliche Werke und Biografien. Von der Sitzecke, in der Alexander Kraft seinen Kaffee trank, gingen zwei weitere Wände aus, die mit Urkunden, Auszeichnungen und Fotos bedeckt waren. Keines von den Dingen hing schief. Wenn in dem Raum irgendein Staubkorn geduldet würde, dann nur an seinem zugewiesenen Platz. Falk wanderte über den knackenden Parkettboden zu den Dekorationen hin und passte auf, dass er nicht an die niedrigen Trägerbalken der Decke stieß. Aufmerksam betrachtete er die Bilder und Urkunden. Richard Traunfels hatte eine beeindruckende Karriere bei Polizei, Kripo und BKA absolviert. Die Diplome zeugten von Lehrgängen beim FBI in den Staaten, andere wiederum dankten der Zusammenarbeit mit militärischen Stellen und Geheimdiensten. Klar, Bad Münstereifel lag nicht weit weg von Dienststellen in Bonn, dem BKA in Meckenheim und dem MAD in Köln. Mittendrin saß der Alte wie eine Spinne im Netz und zog die Fäden. So sah es jedenfalls aus.

      Andererseits bildete ein Foto ab, wie Richard Traunfels zwischen seiner Frau und zwei jüngeren Kerlen, allem Anschein nach die Söhne, auf dem Deck eines Segelboots stand. Der Mann hatte kurz geschnittenes graues Haar, war mittelgroß und sehnig. Seine Augen blickten so blau wie das Meer, auf dem das Boot schwamm. Die spitze Nase über dem bleistiftdünnen Oberlippenbart, das ausgeprägte Kinn und besonders die gerade Haltung, erinnerten an den englischen General Sir Montgomery aus dem Zweiten Weltkrieg. Wenn Falk einen Spionagefilm drehen würde und eine Besetzung für den Agentenführer suchte - Traunfels wäre sein Mann.

      Kraft stellte seine Kaffeetasse ab, wischte ein paar Krümel von seinem Hemd und trat neben ihn. Er wies auf ein Bild, das ihn mit anderen Personen zeigte, wie sie Traunfels in die Mitte nahmen.

      „Der Alte war mein Mentor, damals beim BKA. Habe eine Menge von ihm gelernt. Er hat mich auch ins Konsortium geholt, nachdem ich bei der Polizei ausgeschieden war und bei meinem Schwiegervater arbeitete. Da bin ich dem Alten richtig dankbar für.“

      „Das will ich hoffen, junger Freund, aber Sie verfügen über diverse Qualitäten, die eine Anwerbung rechtfertigten“, erklang es hinter ihnen. Richard Traunfels stand im Türrahmen, und trotzdem er freundlich lächelte, umgab ihn eine Aura geballten Respekts. Ein Jagdhund drängte sich vorbei, sprang an Alexander Kraft hoch und dieser kraulte ihn ausgiebig. Obwohl Traunfels nur eine Runde mit seinem Hund gelaufen war, trug er dezente, dennoch sichtlich teure Kleidung. Er steckte in einer braunen Hose mit scharfer Bügelfalte und in einem cremefarbenen Kaschmirpullover, aus dessen Halsöffnung ein Hemdkragen ragte. Sein Schuhputz hätte jeden Gardesoldaten vor Neid weinen lassen. Der Mann ging auf Falk zu und drückte ihm fest die Hand, danach begrüßte er Kraft. Mit einem leisen Pfiff befahl Traunfels den Hund unter den Tisch und ließ sich dahinter auf dem Bürostuhl nieder. Durch einen Wink bat er die beiden, in den Sesseln Platz zu nehmen und griff eine Lesebrille vom Schreibtisch. Er setzte das Gestell auf und las in einem Schnellhefter. Dann sah er hoch.

      „Ich will mich nicht lange mit Formalitäten aufhalten. Von der Tatsache, Herrn Sturm hier sitzen zu sehen, gehe ich aus, dass alles zu meiner Zufriedenheit geregelt ist. Dafür meinen Glückwunsch, Kraft.“

      „Moment“, sagte Falk. „Ich habe immer noch keine Ahnung, was genau gespielt wird. Ihr Mitarbeiter hält sich ziemlich bedeckt. Aber ich bin, sage ich mal, interessiert. Nur - eine so bedeutende Entscheidung will durchdacht sein.“

      Traunfels verschränkte die Hände, überlegte eine Weile und fing erneut an zu sprechen.

      „Nun gut. Ich vertraue Ihnen. Das Konsortium ist eine Vereinigung, die von verantwortungsvollen Menschen aus Politik - ja auch diese gibt es - und anderen führenden Kreisen ins Leben gerufen wurde. Nicht viele wissen von uns und kaum einer kennt das Gesamtspektrum. Aber wir haben hochgestellte Freunde, die uns unterstützen, wo sie können.“ Dabei blickte er in Richtung Alexander Kraft, der wiederum wissend nickte. Dann fuhr Traunfels fort: „Im Endeffekt sind wir auf uns gestellt. Wir bilden keine staatliche Institution, wir bedienen uns ihrer nur und arbeiten teilweise mit ihnen zusammen. Die Wirtschaft gibt Geld, Geheimdienste und Polizei Informationen, das Militär liefert Waffen und Ausrüstung, der Rest hält uns nach Möglichkeit den Rücken frei. Wenn die Sache schief läuft, geht es allerdings uns an den Kragen und keiner wird uns mehr kennen wollen. Presse und Bürgerrechtler, vereint mit Schmalspurpolitikern, zerreißen das Konsortium dann in der Luft. Das zeigt den Umriss im Groben.“

      Falk hob die Hand, und nachdem Traunfels ihm zunickte, brachte er seine Bedenken vor.

      „Aber warum riskieren Sie das? Sie könnten doch im Rahmen der staatlichen Gewalt, von der Sie ursprünglich herkommen,