Frank Fröhlich

Feuertaufe


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oft tagelangen Reisen in die entfernten Heimatländer.

      Auch Timur und Mehmet erreichten endlich ihr Ziel, ein mit blauen Fliesen verkleidetes Gebäude, auf dessen schief hängenden Jalousien sich der Dreck vorbeifahrender Züge ansammelte. Am Eingang hingen Klingelknöpfe an Drähten heraus, das Schloss war zerstört und die ramponierte Haustüre stand offen. Sie stiegen über abgescheuerte Treppenstufen in den ersten Stock; ihre Schritte knarzten und das Geländer wackelte, als Mehmet seine Hand daran entlang führte. Die Wände wiesen mehr Krater auf als der Mond und an der Decke hatten Schmierfinken ihre Namen mit Feuerzeugruß eingraviert.

      Timur schellte bei einer Rechtsanwaltskanzlei, Mustafa Dogan – Anwalt für Ausländerrecht stand auf dem Türschild. Eine vom Stress gezeichnete Sekretärin öffnete und bat sie wortlos herein. Die Schreibkraft mit den kurzen grauen Haaren führte sie durch das Büro zum Zimmer ihres Chefs. Sie schritten über einen dreckigen, an mehreren Stellen zerschlissen Filzteppich. Zahllose Umzüge hatten dafür gesorgt, dass der Bodenbelag in Wellen zu Stolperfallen zusammengeschoben war und Mehmet strauchelte prompt. Überall an den Wänden standen Metallregale, in denen sich Akten voller Schicksale türmten. Auf dem Schreibtisch der Sekretärin stapelten sich Papiere und zwei Telefone schrillten ohne Unterlass. Die Luft war trocken, jede Feuchtigkeit hatten ihr vernachlässigte Zimmerpflanzen entzogen, die verzweifelt überschüssige Blätter abwarfen. Die Frau klopfte an eine Tür und die Stimme von Mustafa Dogan bat die Männer herein. Der Anwalt wies die Angestellte an, auf keinen Fall zu stören und sie verschwand zu dem Sisyphusberg auf ihrem Tisch. Während sich der Advokat aus seinem Bürosessel hievte, nahm Timur das Zimmer in Augenschein. Der Raum bot Platz für den Schreibtisch des Juristen und eine Sitzgruppe aus Kunstleder, die einen Glastisch umschloss. Fachzeitschriften und Politmagazine lagen auf der Glasplatte und Papier raschelte, als Wind eine Seite umblätterte. Ein Flügel der Fensterfront stand offen; kühle Luft und Straßenlärm wehten herein und Jalousien knatterten in der Zugluft. Auch im Zimmer des Anwalts nahmen Aktenschränke die Wände ein. Lediglich an der Kopfwand hinter dem Schreibtisch hing eingerahmt ein grünes Stück Stoff, auf dem in weißer Kalligrafie die Basmala gestickt war: Gepriesen sei Allah, im Namen des Barmherzigen und des Gnädigen. Daneben glänzte ein Poster mit dem Panorama Istanbuls. Von Kleinasien blickte der Betrachter über den Bosporus nach Europa hinüber; auf die Silhouetten von Topkapi-Palast, Hagia Sophia und der Blauen Moschee mit ihren vier Minaretten. Darunter prangte hinter Glas das Patent des Juristen, der nicht nur Migranten zu ihrem Recht verhalf, sondern auch eine wichtige Position im Dschihad einnahm. Nach der herrschenden Gesetzeslage würden es die Behörden kaum wagen, den Anwalt abzuhören oder gar dessen Kanzlei zu durchsuchen. Wenn doch, war er imstande, ihnen bis zur letzten Instanz schlimmste Albträume zu bereiten. So wie er sie schon manchem Richter und Vertretern der Ausländerbehörde verschafft hatte, die seine profunden Detailkenntnisse und die Redegewandtheit fürchteten.

      Er und Timur identifiziert sich mittels eines Codes, dann lotste Dogan die Besucher zu der Sitzgruppe. Der Advokat war ein kleiner agiler Mann mit Halbglatze und Nickelbrille, gekleidet mit dunkler Anzughose und einem weißen Hemd, welches über dem Bauch spannte. Somit ähnelte er einem Kollegen der Juristerei, der sich als Aushängeschild einer linken deutschen Politpartei hervortat. Genau wie dieser kam er ohne Umschweife zur Sache:

      „Willkommen im Feindesland, dem Haus des Krieges. Freut mich, dass ihr gut angekommen seid und euren Auftrag nun anpacken könnt. Durch Kuriere aktiviere ich drei weitere Kämpfer, die im Lauf der nächsten Tage anreisen. Am vereinbarten Treffpunkt, einem Café in der Südstadt, werdet ihr euch mit ihnen zusammenschließen und gemeinsam zu einem vierten Mitstreiter ins Zielgebiet aufbrechen.“

      Timur nickte und der Rechtsanwalt überreichte ihm eine Kreditkarte zu einem Konto, welches die Organisation eigens für die Aktion eingerichtet hatte. Dazu erhielt der Afghane ein Mobiltelefon, mit dem er erreichbar bleiben sollte.

      Anschließend orderte Mustafa Dogan über die Sprechanlage Tee für seine Gäste, welchen die Sekretärin prompt ins Zimmer brachte. Sie stellte das Gewünschte auf den Glastisch und verschwand wieder. In der kurzen Pause, die entstand, bereitete sich der Anwalt auf den nächsten Teil des Gesprächs vor. Er blickte ernst von Timur zu Mehmet, solange diese ihren Tee süßten und in den Tassen rührten. Man sah ihm an, dass er nach den richtigen Worten suchte, was ungewöhnlich für ihn war, und sie mit Bedacht wählte.

      „Ich möchte keine Zwietracht säen, Timur, glaube mir, doch ich zweifele an deinem Gefährten. Mehmet ist zwar als Rechtgläubiger aufgefallen, aber kannst du ihm bei einer so wichtigen Sache wirklich trauen?“

      „Ich zog in den gerechten Krieg“, sprang der Türke auf.

      „Meines Wissens irrtest du einige Tage in Afghanistan umher, bevor dich eine Dorfmiliz aufgriff. Und Timur hat dich gerettet, während sie im Geiste das Kopfgeld der Amerikaner unter sich aufteilten.“

      „Setz dich wieder hin“, befahl Timur und wandte sich an den Anwalt. „Das ist richtig, ich gewährte ihm Asyl. Es ist zu lange her, dass ich hier lebte, daher sind Mehmets Landeskenntnisse von unschätzbarem Wert. Das Schicksal führte ihn zu mir und er besitzt mein Vertrauen.“

      Mustafa Dogan atmete durch, die erste Hürde war genommen.

      „Nun, so sei es. Unsere Führer erwählten dich, diese Mission zu kommandieren und deine Referenzen sind gut. Obwohl du eine Zeit auf der falschen Seite standst.“

      „Das spielt keine Rolle, du brauchst es nicht erwähnen, denn diesen Teil meines Lebens habe ich begraben.“

      „Meinetwegen. Du hast schon für Allah gekämpft und getötet, also verdienst du Respekt. Ich schreibe dir jetzt die Adresse des vierten Kämpfers auf; er führt dich zu einem frommen Mann, der bereits Beträchtliches für den Dschihad geleistet hat. Dieser Imam nennt dir das Ziel und gibt deiner Gruppe die Mittel in die Hand, mit denen ihr die Ungläubigen zur Hölle schickt.“

      „Ich achte deine Bemühungen und Sorgen. Glaube mir, wir werden unsere Sache würdig vertreten“, bedankte sich Timur mit einer Verbeugung. Doch der Anwalt hatte noch etwas auf dem Herzen.

      „Einen Rat, von mir persönlich – mache nicht den Fehler und unterschätze die Deutschen. Viele Mitkämpfer halten sie für schwach, aber ihr Überwachungsapparat funktioniert gut. Komm mal mit ans Fenster und werfe einen Blick auf den Bahnhof. Vor einigen Jahren haben dort zwei Kämpfer aus dem Libanon versucht, Bomben in Zügen unterzubringen.“

      Beide standen auf und spähten durch die Jalousien zum Glasdach des Kölner Hauptbahnhofs hinüber.

      „Sie dachten an alles, sogar die Sprengsätze mit Mehl zu versetzen, damit möglichst viele Verwundete ersticken. Aber dann versagten die Zünder. Merkwürdig, oder?“

      Der Anwalt trat mit Timur ins Zimmer zurück. Schweiß stand auf seiner Halbglatze und ein Tropfen lief ihm ins Auge. Er zog die runde Brille ab, wischte mit dem Hemdsärmel über das Gesicht, schließlich fuhr er fort.

      „Mein Freund, es besteht der Verdacht, dass sie uns unterwandern. Daraus entstand der Vorbehalt gegen Mehmet. Zu viele Aktionen sind vereitelt worden und eine ganze Anzahl Brüder schmort in ihren Gefängnissen. Achtet auch auf die technischen Möglichkeiten. Man hat die beiden Libanesen gefilmt, wie sie mit den Koffern über den Bahnsteig gingen. Das reichte als Beweis für ihre Verurteilung.“

      „Keine Sorge, sie kriegen uns niemals lebend, um uns vor ein Gericht zu zerren“, erwiderte Timur, doch der Anwalt überging den Einwand.

      „Meidet öffentliche Plätze, vor allem Tankstellen und Bahnhöfe, dort hängen Kameras. Telefoniert nicht mit auf euch registrierten Handys, die Behörden überwachen Gespräche. Das Gerät, was ich dir gegeben habe, ist aus einem Secondhandladen und mit einer Prepaidkarte versehen. Sei trotzdem vorsichtig damit. Wenn möglich, umgehe es zu anzurufen, am besten sendest du codierte Nachrichten. Aus dem Grund aktivieren wir unsere Kämpfer ausschließlich per Kurier.“

      Timur dankte dem Anwalt für seine Ausführungen und versprach, die Ratschläge zu beherzigen. Er wandte sich mit Mehmet zur Tür, aber der kleine Mann war noch nicht fertig.

      „Einer der Libanesen wurde in seiner Heimat verhaftet und verurteilt. Im