Frank Fröhlich

Feuertaufe


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beiden Reisenden bildeten ein ungleiches Paar: Der einundvierzigjährige Timur zählte das Doppelte an Jahren wie sein Gefährte Mehmet. Er trug dichtes, schwarzes Haar und zwischen fleischigen Lippen und einer kräftigen Nase prangte ein buschiger Schnauzbart. Alles an ihm geriet massig, er besaß die Gestalt eines Ringers und sein Brustkorb reichte für zwei Männer. Die Hände glichen Arbeitshandschuhen. Nur eins war schmal an ihm – die dunklen Augen, aus deren Schlitzen er die Umwelt fixierte.

      Dagegen fielen dem schmächtigen Mehmet die Haare aus und er verdeckte die kahlen Stellen unter einer Wollmütze. Der Bart wollte auch nicht sprießen, nur vereinzelte Strähnen hingen auf Wangen und Kinn, was ihn als wahren Gläubigen sehr bekümmerte. Arme und Beine standen von seinem Körper ab wie die dürren Äste eines toten Baumes und seine Muskeln waren von beeindruckender Winzigkeit. Die beiden Männer wirkten so verschieden wie Pat und Patachon, aber nicht das Geringste an ihnen war witzig.

      Als der Flugkapitän die Landung ankündigte und die Beleuchtung abdunkelte, legte Mehmet die Zeitung beiseite, zog seine Brille aus und begann diese zu putzen. Mehrmals hauchte er auf die Gläser und rieb darüber, wie immer wenn er nervös wurde und sie glichen bereits der Oberfläche einer abgenutzten Eislaufbahn. Ein Kleinkind plärrte ohne Unterlass und der Sitznachbar am Fensterplatz neben ihnen rodete Wälder im Schlaf. Timur sah an ihm vorbei nach draußen und erblickte Wolken über die Tragfläche wischen, an deren Ende das Positionslicht blinkte.

      Eine Stewardess, die den Gang abschritt, tippte Mehmet an und forderte ihn auf den Sicherheitsgurt zu schließen. Fliegen behagte ihm überhaupt nicht, aber noch schlimmer empfand er Berührungen aufdringlicher Frauen. Sie warf auch einen Blick auf Timur, den dieser erwiderte, worauf sie eilig verschwand. Dann schloss er die Augen und betete, dass die Einreise glattging. Andernfalls würden die Anführer der Dschihad Union schwer enttäuscht sein. Versagen bedeutete das Ende, doch scherte ihn der Tod wenig. Wenn die Mission erfolgreich endete, sollte es ihm ein Leichtes sein, diesen als Freund zu begrüßen.

      Timur war Afghane, reiste jedoch mit gefälschtem Pass. Seine Organisation lieferte hervorragende Arbeiten, denn sie schickte bereits viele Kuriere mit Stoff für die Adern der Süchtigen in den Westen, um ihren Krieg zu finanzieren. Der Fälscher im pakistanischen Basislager hatte verwundert geguckt, als der Kämpfer seinen Namenswunsch angab, aber Timur bestand darauf. Jedes Detail seiner Reise erfuhr einen Sinn und würde sich zu einem großen Akt fügen.

      Zum zweiten Mal in seinem Leben kam er nach Deutschland, wo er seine Jugend in einem Asylantenwohnheim verbrachte, während die Sowjets seine Heimat mit Krieg überzogen. Nun kehrte er zurück, um einen Auftrag auszuführen. Dabei handelte Timur weder aus patriotischen Gefühlen, noch kämpfte er für den Glauben. Obwohl gläubiger Moslem, sah er sich nicht als Gotteskrieger. Er trat an, eine Rechnung zu begleichen und unterschied sich damit von seinem Gefährten, der im Namen Allahs stritt.

      Mehmet riss ihn durch würgende Laute aus seinen Gedanken, spuckte in die bereitliegende Papiertüte und Timur schmunzelte über den hitzköpfigen Mann. Eben stieg diesem nach der Aufforderung der Stewardess die Zornesröte ins Gesicht, augenblicklich leuchtete die Farbe der Scham. Der junge Türke hatte noch viel zu lernen, wusste nicht, wie wahre Wut aussah und wozu sie imstande war. Aber sein Novize würde es bald erfahren, denn er begleitete einen Lehrmeister der Rache.

      Die Maschine kippte zur Seite, sie erblickten die Lichter des Flughafens und Timur lockerte seine Beine, die am Vordersitz klemmten. Er freute sich auf die Landung und darauf, endlich ein paar Schritte zu gehen. Die Behörden würden Mehmet bei der Einreise keine Schwierigkeiten machen, denn er kam in Köln zur Welt und besaß einen deutschen Pass. Doch gelangte er in seiner fremden Heimat nie wirklich an und hasste die Gesellschaft.

      Die Motoren dröhnten, als der Pilot die Schubumkehr einschaltete; Baumreihen und Signallampen huschten vorbei, dann setzte das Fahrwerk rumpelnd auf. Eine ängstliche Frau stieß einen Schrei aus, Mehmet krallte seine Finger in die Polster und seufzte säuerlichen Atem. Nach dem Ausrollen dockte das Flugzeug an eine Gangway an und die Passagiere klatschten Beifall. Sicherheitsgurte klickten, Fluggäste sprangen auf, rissen ihr Bordgepäck aus den Staufächern und verließen hastig die Kabine. Der Urlaub endete und Zeit bedeutete wieder ein wichtiges Gut. Die zwei Männer folgten der Herde und reihten sich in die Schlange vor der Passkontrolle ein. Mit ihren Jeans, karierten Hemden und Lederjacken verschwanden sie optisch in der Menge, aus der Timur nur mit seiner Größe herausragte. Es ging stockend voran und Mehmet trat von einem Fuß auf den anderen, doch Timur strahlte Ruhe aus. Sein Lächeln, das er am Schalter präsentierte, war genauso falsch wie sein Name. Ein Beamter der Bundespolizei warf einen prüfenden Blick in ihre Ausweise, fand nichts zu beanstanden und winkte sie durch.

      Am Rollband erhaschten die Gefährten ihre Reisetaschen, und da sie darin nur Unverdächtiges beförderten - weder Drogen, Waffen, noch teure Konsumgüter - durchquerten sie ruhigen Gewissens den Zoll. Eine Beamtin forderte sie auf, die Taschen auf einen Tisch zu stellen und zu öffnen. Die Frau zog sich Gummihandschuhe an und durchwühlte ihre Wäsche. Timur fasste seinen Gefährten am Handgelenk, fühlte den Puls rasen und mit einem Druck befahl er dem Türken, sich zu beherrschen. Die Zöllnerin fand bei der Durchsuchung neben Kleidung und Waschzeug lediglich das ausgeschöpfte Kontingent an Zigaretten und wünschte angenehmen Aufenthalt. Timur und Mehmet schulterten ihr Gepäck und trabten weiter. Eine Rolltreppe beförderte sie ins Erdgeschoss, ein paar Meter noch zu Fuß, dann öffnete sich zischend die Ausgangstür. Ein kühlerer Wind als in Istanbul wehte und in der Ferne spiegelten sich die Lichter der rheinischen Stadt in den Wolken. Zwischen den Sternen leuchtete der Mond auf die Erde. Die Gefährten nestelten Zigaretten aus einer der mitgeführten Packungen und rauchend schauten sie in Richtung der Großstadt. Sie waren an der ersten Etappe ihrer Mission angekommen. Während Mehmet ein Mobiltelefon aus der Jacke nahm, ging Timur einige Schritte abseits. Der Rächer blendete jedes Geräusch und alles Licht aus, bis zu einem stillen Ort in der Dunkelheit seines Herzens. Er atmete aus, öffnete die Augen und war bereit.

      Kapitel 3

      Alexander Kraft spannte die Waden an, drückte die Zehen durch und wippte mit dem Stuhl. Er befand sich in der Justizvollzugsanstalt Köln, in einem kleinen Besucherraum für Anwälte, der mittels Kargheit bestach. Das Möbelstück knarrte und ächzte. Sonst herrschte Stille in der Kammer, nur hinter den Wänden erklangen gedämpfte Geräusche des Knastalltags: Rufe ertönten, Schlüssel rasselten und Türen, die zuschlugen. Der Unterhändler fuhr sich mit der Zunge über seinen verbrannten Gaumen. Obwohl die Geschmacksknospen versengt waren, schmeckte er einen schalen Pelzbelag und verfluchte den Becher heißen Automatenkaffees. Dann hauchte er in die vorgehaltene Hand, verzog die Mundwinkel und rümpfte die Nase. Er fischte eine Tüte Pfefferminzbonbons aus der Jacke, wühlte darin und steckte eins in den Mund. Kraft schaute auf die stehen gebliebene Uhr an der Wand, zog den Ärmel seines grauen Sakkos hoch und warf einen Blick auf seine Omega Speedmaster, ein Geschenk seiner Frau zum letzten Geburtstag. Fünfunddreißig Jahre, wie die Zeit verging. Er seufzte und zupfte den Jackenärmel zurecht. Ihm blieben noch ein paar Minuten seine Gedanken zu sammeln und sie auf den Auftrag zu konzentrieren. Dabei blätterte er in der Akte, die prall wie ein Versandhauskatalog vor ihm auf dem Tisch lag. Falk Sturm - las er und stützte sein Kinn in die linke Handfläche - achtunddreißig Jahre alt, ein Meter achtundachtzig groß. Außerdem brachte der Mann fünfundneunzig durchtrainierte Kilogramm auf die Waage. Alexander Kraft sah ein, dass bei den Sportarten, die Sturm beherrschte, jedermann gut beraten war, Zoff mit diesem Kerl zu vermeiden. Obwohl Falk Sturm keine Auseinandersetzung scheuen musste, führte er sich gut in der Haftanstalt. Jedenfalls suchte Kraft vergeblich disziplinarische Einträge. Vielleicht lag es auch daran, dass die Knackis sich nicht gegenseitig verpfiffen? Für Sturm wird es kein Wellnessaufenthalt sein, als ehemaliger Polizist stand er weder beim Justizpersonal noch bei seinen früheren Kunden gut im Ansehen. Der Gefängnispsychologe beurteilte ihn in seinem Gutachten als ruhig und besonnen, gar hilfsbereit, allerdings oft in sich gekehrt und manchmal schwermütig. Trotz der Schwere des Delikts gab der Seelenklempner eine positive Sozialprognose ab. Kraft runzelte die Stirn und vergaß für den Moment seine Phobie vor Faltenbildung. Die Finger tippten einen Takt auf die Wange. Das konnte heiter werden, er bekam es mit einer netten, zuweilen depressiven Kampfmaschine zu tun. Er sparte sich den Rest der