Frank Fröhlich

Feuertaufe


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Sie schlug ihre Beine übereinander, zeigte nackte Füße mit lackierten Zehennägeln. Darüber trug sie schwarze Leggins, ein enges lilafarbenes Sweatshirt, unter dem sich ihre Brüste abzeichneten und kein Kopftuch bedeckte die Haare, obwohl sich ein fremder Mann in ihrer Wohnung befand. Nur die zartbraune Hauttönung und dunkle Augen, die vor Wut blitzten, zeugten noch davon, dass sie eine waschechte Türkin war. „Seit Jahren kriegst du nichts auf die Reihe“, stieß sie hervor. „Brichst die Schule ab und hängst rum, weil dir nicht gleich die erstbeste Firma eine Stelle als Chef anbietet. Dann flüchtest du zu Hinterhofpredigern, schwingst radikale Parolen in Islamvereinen und haust ins Ausland ab, ohne jemand Bescheid zu sagen. Kannst du dir vorstellen, welche Sorgen wir uns gemacht haben? Ich erkenne meinen kleinen Bruder einfach nicht mehr.“ Sie stand auf, lief in der Küche herum und räumte flink das dreckige Geschirr in die Spülmaschine, aus der feuchter Dunst emporstieg. Klirrend verschwanden Teller und Besteck in dem Kasten. Die Frau riss Timur die Tasse aus der Hand, kippte den Rest in den Ausguss und stellte sie zu den anderen. Dann hielt Alia ein Tuch unter den Wasserhahn und wischte den Tisch ab, während Mehmet sich das Blut vom Finger lutschte. Mitleidig sah sie ihren Bruder an, der die zerknitterte Kleidung vom Hinflug trug und übernächtigt wirkte. Sie streckte die Hand aus, um ihm den Krümel vom Mund zu wischen, doch er drehte den Kopf weg.

      „Ich habe mich geändert. Das Leben der Kuffar hier ist nichts für mich, das ist mir alles zu oberflächlich und verlogen. Ich habe meine Bestimmung im Kampf für Allah gefunden. Akzeptiere es endlich.“

      Alia seufzte und rang verzweifelt mit den Händen.

      „Ich sage doch nichts gegen deinen Glauben. Ich bin selbst gläubig, aber ich versuche auf keinen Fall, meine Religion anderen aufzuzwingen, vor allem nicht mit Gewalt.“

      Mehmet sprang auf und stand seiner Schwester Nase an Nase gegenüber, sodass sich ihre Augen in seinen Brillengläsern spiegelten.

      „Du bezeichnest dich als gläubig? Dann lebe gefälligst danach. Du bist schamlos. Alleine wie du dich anziehst und auf die Straße gehst, wie eine ...“

      Alia packte ihren Bruder an der Schulter und schubste ihn weg, sodass seine Brille von dem Schwung verrutschte, die andere Hand holte mit dem Putztuch aus.

      „Wag es, sprich dieses Wort aus und ihr könnt beide eure Klamotten packen.“ Sie wies mit dem Tuch Richtung Tür, doch Mehmet winkte verächtlich ab.

      „Was soll´s. Du hast du dich scheiden lassen und bist eine Schande für die Familie.“

      „Spinnst du? Mein Mann hat das ganze Geld beim Spielen verzockt, auch das, was ich als Kassiererin verdient habe. Monat für Monat und dazu hat er mich geschlagen, wenn ich was sagte. Das weißt du doch. Was sollte ich machen, wir müssen Miete bezahlen und die Kinder brauchen Essen.“ Der jungen Mutter, die ihre Familie alleine durchbrachte, stiegen Zornestränen in die Augen und ihre Stimme überschlug sich. „Außerdem - nach dem Glauben ist Glücksspiel verboten. Was sagst du nun, frommer Prediger? Papa hat ihn selbst rausgeschmissen, als er wieder zugeschlagen hat. Erzähl du mir nicht, wer sich schämen muss. Wenn unsere Eltern dich sehen könnten, dann ...“

      „Dann wären sie stolz auf mich.“

      Sie lachte höhnisch und reichte Mehmet ihr Handy vom Küchentisch.

      „Deshalb rufst du bei mir an und verkriechst dich in meiner Wohnung? Nimm das Telefon und ruf Papa an. Aber das traust du dich nicht. Soll ich die Nummer eintippen? Feigling!“

      Timur hatte den Geschwistern den Rücken zugekehrt und die ganze Zeit zum Fenster raus geblickt. Kinder spielten im kargen Innenhof der Wohnhäuser zwischen parkenden Autos, ein alter Mann führte seinen Hund spazieren und ein Postbote trug seine Sendungen aus. Briefkästen klapperten im Hausflur. Er hatte genug gehört, drehte sich um und wand der Frau das Gerät aus den Händen.

      „Beendet den Streit. Euren Vater anzurufen halte ich für überflüssig und wir sind dir sehr dankbar, dass du uns abgeholt hast und ein paar Tage bei dir wohnen lässt. Aber ihr müsst das Schreien aufhören, die Nachbarn brauchen doch nichts davon mitzubekommen.“ Timur legte das Telefon weg und Alia sah ihn erbost an. Sie hatte sich gegen ihren Ex-Mann durchgesetzt und ein Fremder durfte sie am allerwenigsten in der eigenen Wohnung bevormunden.

      „Wer bist du überhaupt? Auf jeden Fall kein Türke. Als mein Bruder mich angerufen hat, rechnete ich nicht damit, dass noch jemand mit kommt. Ich freute mich so, dass er zurückkehrt und dachte, er wäre aufgewacht. Aber jetzt zweifele ich daran. Ich will wissen, was ihr vorhabt.“

      „Wir führen nichts Schlimmes im Sinn. Du hast recht, ich bin kein Türke, sondern Afghane. In meiner Heimat herrscht Krieg und wir brauchen dringend medizinische Versorgung. Uns fehlt es an allem. Ich sammele bei den Gläubigen Spenden für mein Volk und dein Bruder hilft mir. Er macht mich mit führenden Leuten islamischer Wohlfahrtsvereine bekannt.“ Timur setzte sein vertrauenswürdigstes Lächeln auf, zu dem er fähig war.

      „Wenn ich nur glauben könnte, dass ihr für wohltätige Zwecke sammelt, denn vor kurzer Zeit hat Mehmet noch den Weg der Gewalt vertreten. Er bringt uns mit seinen radikalen Ideen in Gefahr. Unsere Eltern leben schon viele Jahre in Deutschland; auch ich genieße es, hier als Frau frei zu sein und will keine Probleme. Aber wenn die Behörden auf ihn aufmerksam werden und seine Reden, die er schwingt, ist es mit allem vorbei. Dann haben wir keine ruhige Minute mehr.“ Vor lauter Anspannung drückte es erneut in Alias Tränenkanälen und ihre Hände zitterten.

      „Wir müssen bereit sein Opfer zu bringen für die Verbreitung des wahren Glaubens“, fing Mehmet wieder an. Timur atmete tief durch, wenigstens er musste Ruhe bewahren.

      „Opfer? Wer bringt denn welche, du?“ Jetzt weinte sie wirklich. „Was hast du überhaupt, dass du noch verlieren könntest?“

      Timur trat auf die Geschwister zu, nahm beide in die Arme und drückte sie an seine Brust. Alia wehrte sich, aber die Umklammerung war zu stark.

      „Schluss mit dem Streit, ihr findet doch keine Lösung. Ich passe auf deinen Bruder auf und wir werden nur wenige Tage bleiben. Dann nehmen wir deine Gastfreundschaft nicht länger in Anspruch und ziehen weiter. Versprochen. Bis dahin sollten wir alle so gut wie möglich miteinander auskommen.“ Er ließ die beiden los. Alia warf den Putzlappen in eine Ecke, wie ein geschlagener Boxer das Handtuch, und eilte hinüber ins Kinderzimmer, wo Babygeschrei nach ihr verlangte.

      Timur schob Mehmet rüber ins Wohnzimmer, dieser glühte vor Scham und Zorn.

      „Ich entschuldige mich für meine Schwester“.

      Der Afghane klopfte ihm beruhigend auf die Schulter, nahm seine Zigarettenpackung und zündete zwei Glimmstängel an. Einen davon gab er seinem Gefährten.

      „Ärgere dich nicht, mein Freund, der Westen hat sie mit seiner Lebensweise verdorben. Sie trifft keine Schuld, es ist schwer, in diesem Umfeld der Verlockungen standhaft zu sein. Ich habe lange genug hier gelebt und vieles gesehen. Nur wahre Gläubige, wie du einer bist, sind in der Lage, den rechten Weg zu beschreiten und auf ihm zu bleiben.“

      „Danke für deine Worte, aber ich halte es bei ihr nicht mehr aus und muss vor die Tür. Lass uns gehen, wir haben eine Menge zu erledigen.“ Mehmet nahm seine Jacke und wollte den Raum verlassen, doch Timur hielt ihn am Arm fest.

      „Warte einen Moment und hör mir zu. Deine Schwester könnte zum Problem werden. Wir sind noch einige Zeit auf Alia angewiesen; glaubst du, sie wird schweigen?“ Timurs Hand drückte so hart um Mehmets Oberarm, dass dieser am liebsten aufgeschrien hätte, jedoch warnte eine innere Stimme davor. Diese riet ihm auch, seine Schwester ausnahmsweise zu verteidigen.

      „Ja, egal was sie sagt, sie würde mich nie verraten.“

      „Das ist gut. Denke daran, wir sind nicht so weit gereist, um zu versagen. In unserer Mission bündeln sich die Hoffnungen vieler Brüder und die altehrwürdigen Führer vertrauen uns. Wir dürfen sie auf keinen Fall enttäuschen. Außerdem weißt du, welchen Grund ich habe, um zu kämpfen.“ Der Druck verstärkte sich und Mehmet glaubte, der kräftige Mann presse ihm das Blut aus den Adern. Er befürchtete, einen großen blauen Fleck zu bekommen, der ihn noch lange an