Hubert Mergili

Das Tor nach Andoran


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uns nach Hause fahren,« schlug sein Vater vor, nachdem er sich auf dem Marktplatz umgesehen hatte. Nur noch wenige mögliche Kunden streiften umher auf der Suche nach billiger Ware. Der Pferdehändler von nebenan war schon lange verschwunden, wie Julian feststellte und so machten auch sie sich auf den Weg nach Hause.

      Auf dem Heimweg sprachen sie lange über das Vorhaben, und als Julian meinte, »ich glaube nicht, dass Mutter zustimmen wird,« entgegnete sein Vater ruhig.

      »Sie wird einverstanden sein mein Junge. Wir werden darüber mit deiner Mutter reden und ich glaube ich kann sie am Ende überzeugen.«

      Nach fast zwei Stunden Fahrt tauchte der Hof hinter einer Bodenwelle vor ihnen auf. Julian konnte es gar nicht erwarten, seinen Geschwistern die Neuigkeit zu erzählen. Als sie auf dem Hof einfuhren, liefen ihm schon sein drei Jahre jüngerer Bruder Arthur und seine jüngere Schwester Inga aufgeregt entgegen. Marian hielt sich wahrscheinlich bei Mutter in der Küche auf, da sie erst zwei Jahre alt war. Julian vertröstete seine Geschwister auf später, wo er die Fragen beantworten wollte, die sie ihm stellten. »Später nach dem Abendessen könnt ihr mich fragen so viel ihr wollt, aber zuerst muss ich Vater helfen,« vertröstete er sie auf später.

      Julian spannte vor dem Stall die Pferde aus und schob gemeinsam mit seinem Vater den Wagen in die Remise. Anschließend brachte er noch die Pferde in den Stall, danach ging er mit seinen Geschwistern ins Haus. Julians Mutter hatte für sie schon das Abendessen auf den Tisch gestellt. Die Familie machte sich nach einem langen Tag hungrig und mit großem Appetit darüber her. Nach dem Abendessen schickten seine Eltern die jüngeren Geschwister ins Bett, um über Julians Aufgabe in diesem Sommer zu reden.

      Julians Mutter, die seine aufgekratzte Stimmung bemerkte, schien, noch bevor sein Vater zu sprechen anfing zu wissen, worum es ging.

      »Ich hab mich entschieden,« fing Vater bedächtig zu sprechen an, »Julian wird anstatt Will auf die Hochweide gehen, ich hab´s ihm versprochen.«

      »Das kann nicht dein Ernst sein, der Junge ist gerade sechzehn geworden und du behandelst ihn wie einen Erwachsenen. Er ist den Strapazen, die ein Sommer auf der Weide mit sich bringt, noch nicht gewachsen. Weshalb hast du es ihm versprochen? ...,« brauste seine Mutter, wie von Julian befürchtet auf.

      Er hörte die raue Stimme seines Vaters, die seiner Frau antwortete. »Ich war vierzehn, als mich mein Vater das erste Mal auf die Sommerweide schickte und ich bin gut zurechtgekommen. Julian wird es auch schaffen, verlass dich drauf, oder willst du, dass er auf den Viehtrieb nach Stelen dabei ist. Das ist auch nicht ganz ungefährlich. Denk nur an den Strom, den wir überqueren müssen. Auf der Weide ist es sicherer für Julian, als bei einem Viehtrieb der über Wochen hinweggeht. Die Strapazen, die auf Julian zukämen, sind wesentlich größer als in den Hügeln bei der Herde. Er kann hervorragend mit dem Bogen umgehen und er hat seine Hunde dabei, die keinen Bären oder Wolf in die Nähe der Herde lassen. Warum willst du ihn nicht gehen lassen? Er ist erwachsen genug, um zurechtzukommen.«

      Der sorgenvolle Gesichtsausdruck seiner Mutter, dämpfte Julians Stimmung, aber als sie schließlich doch zustimmte, überschlug er sich fast vor Freude. Doch vorher nahm sie seinem Vater das Versprechen ab, sobald er von seiner Reise heimkehrte sofort in die Hügel zu gehen, um nach Julian zu sehen.

      »Und du mein Junge versprichst mir besonders auf dich aufzupassen, und keine unnötigen Risiken einzugehen. Versprich es mir,« forderte sie ernst von Julian.

      »Bitte Mutter, wenn es dich beruhigt. Ich verspreche, mich genau an die Anweisungen von Vater zu halten. Ich werde kein unnötiges Risiko einzugehen …… versprochen,« beteuerte er, dabei legte Julian seine rechte Hand auf die Herzseite seiner Brust, was einem Schwur gleichkam.

      Die kommenden Tage waren angefüllt mit den Vorbereitungen, die für den Auftrieb zur Sommerweide getroffen werden mussten. Die jungen Schafe und Ziegen, die den Sommer auf der höher gelegenen Weide verbringen sollten, mussten aussortiert und gezählt werden. Julian kroch des Abends erschöpft und hundemüde von der kräfteraubenden Tätigkeit in sein Bett, wo er augenblicklich tief und traumlos schlief.

      Der Tag auf den Julian fieberhaft gewartet hatte brach endlich an. Der Pferch mit den Tieren lag noch im Dunst des Morgennebels, der sich aber sicher im Laufe des Morgens auflösen würde. Julian fand nach kurzem Suchen den Leithammel, den er an einem Strick um den Hals aus dem Gatter führte. Erwartungsvoll folgte ihm seine Herde. Die meisten der älteren Tiere kannten die Sommerweide, nur die jüngeren zögerten noch, sich ihm anzuschließen. Endlich war es so weit und noch vor Sonnenaufgang brachen sein Vater, Arthur und der Knecht Will mit der Herde zu den Hochweiden auf.

      Begleitet wurde Julian von Trina der jungen Hirtenhündin. Die anderen Hunde, die Julian in den kommenden Monaten halfen, würden Bären und Wölfe von der Herde fern halten. Sie liefen in freudiger Erwartung um die Herde und trieben sie gemächlich auf die Hügel zu. Auch sie waren froh endlich wieder die Bewegung zu genießen, die sie in den langen Wintermonaten vermissten.

      Diese Hunde wurden eigens zu diesem Zweck gezüchtet und waren genauso wertvoll wie jedes andere Tier der Herde. Schon als Welpen wuchsen sie bei den Schafen auf und betrachteten sie naturgemäß als ihr Rudel, das sie gegen jeden Feind verteidigten. Egal ob Wolf oder Bär, die Hunde kämpften, gegen jeden der versuchte, ein Tier zu reißen. Sie waren wachsam und so hielten sich die Verluste das ganze Jahr über in Grenzen. Selbst wenn die Wölfe in besonders strengen Wintern bis ins Tal und vor ihren Hof kamen.

      Trina die junge Hündin nahm eine besondere Stelle in Julians Herzen ein. Den ganzen Winter über galt es als nicht sicher, dass sie überleben würde. So hatte sich das Band zwischen Trina und Julian, der sie mit der Flasche aufzog, besonders eng gezogen. Julian nahm sich vor, Trina zu einer ebenso guten Hüterin auszubilden wie es die acht anderen Hunde waren, die ihn begleiteten.

      Julian schätzte sich glücklich, den Sommer alleine mit der Herde verbringen zu dürfen, aber es mischte sich auch ein wenig Besorgnis in seine Gedanken.

      *War er alleine auf sich gestellt den Widrigkeiten der Natur, und der Verantwortung die auf ihm lastete gewachsen? Sein Vater schien ihm zu vertrauen und er nahm sich vor, dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen.*

      Langsam näherte sich die Herde dem engen Eingang zu den Hügeln. Der Weg führte vorbei an steilen Hängen und wurde zunehmend schmaler, sodass sich die Herde auseinanderzog. Dies war der gefährlichste Abschnitt auf ihrem Weg.

      Die Hunde konnten die Schafe und Ziegen nicht richtig zusammenzuhalten. Sie versuchten ständig auf die steilen Hänge auszuweichen, was für die Hunde anstrengende Arbeit bedeutete, sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen.

      Auf diesem Teilabschnitt kam es öfter vor, dass im dichten Unterholz Wölfe und andere Raubtiere im Hinterhalt lagen, die einem unvorsichtigen Schaf oder einer Ziege auflauerten. Julian suchte besonders sorgfältig das Gelände nach solchen Räubern ab.

      Er atmete erleichtert auf, als sich der enge Weg zu einem Tal erweiterte und ihnen ein Gatter den Weg versperrte. Sie waren am Ziel. Hier erstreckte sich eine weitläufige Einsenkung, zu der nur dieser Weg führte. Es gab keinen anderen Ausgang. Zu beiden Seiten erhoben sich steile dicht bewaldete Hänge, die sogar von den Schafen gemieden wurden und auf denen sich nur die Ziegen wohlfühlten. Es gab jedoch im Talboden genügend saftiges Gras, sodass sie es nicht für nötig fanden, Klettertouren zu unternehmen.

      Der kleine Bach, der quer durch das Tal floss, lieferte ausreichend Wasser. Selbst an den heißesten Tagen gab er genügen Wasser ab, das von den Hügeln herabkam. Ein idealer Flecken Erde um den Sommer über die Tiere hier zu halten. Julian, der mit dem Leithammel vorne ging, öffnete das Gatter und ließ ihn frei. Sofort folgte blökend die restliche Herde und verteilte sich auf dem von einzelnen Ahornbäumen bestandenen Talgrund.

      Julian wartete auf seinen Vater und seinen Bruder, der mit Will dem Knecht die Ziegen durch das Gatter trieb, und verschloss dasselbe sorgfältig. So wie er es die Jahre zuvor von seinem Vater gelernt hatte.

      Unter einer Ansammlung von Ahornbäumen, die etwas seitlich standen, duckte sich eine Hütte aus roh bearbeiteten Bohlen. In ihr fand Julian den Sommer über Schutz vor den Unbilden der Natur und war mit allem