Hubert Mergili

Das Tor nach Andoran


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unverhohlener Verachtung.

      Auf keinen Fall aber war sie sich ihrer Nacktheit bewusst. Gandulf sah zu Julian. »Wie heißt du Junge?« Julian nannte seinen Namen. »Hast du Kleidung für das Mädchen. Es ist besser sie zieht sich etwas an, bevor sie sich erkältet.« Julian zeigte auf eine kleine Klappe, die sich neben dem Bett in der Wand angebracht befand. »Dahinter sind meine Ersatzsachen.«

      Gandulf öffnete die Klappe und griff hinein. Er brachte seine Ersatzhose und ein Hemd zum Vorschein. »Das dürfte genügen,« sagte er befriedigt und ging vor dem Mädchen in die Knie.

      »Zieh das an Mädchen, bevor du dir den Tod holst.« Gandulf sah ihr in die indigoblauen Augen. Erst jetzt bemerkte er die außergewöhnliche Schönheit des zarten Wesens, das bei seinem Blick leicht zurückwich. Auffallend waren ihre feinen, wie gemeißelten Gesichtszüge mit den mandelförmigen Augen, die schmale kleine Nase und die vollen blassroten Lippen. Sie standen im Kontrast zu der weißen bleichen Haut und dem rötlichen Mal auf ihrer Stirne. »Wie ist dein Name und woher kommst du Mädchen.« Gandulfs Frage klang fast wie eine Anklage, fand Julian.

      »Riana,« kam es leise von dem Mädchen zurück. »Ich heiße Riana, wie ich hier herkomme, das kann ich nicht sagen. Ich sprach mit meiner Mutter, als mich ein Sog erfasste und mir schwarz vor den Augen wurde. An den Rest kann ich mich nicht erinnern.«

      Die nächste Frage des Wächters ließ Riana erzittern. »Hatte deine Mutter etwas mit dem Sog zu tun?« Gandulf glaubte nicht daran, dass Riana aus Versehen einer Überlappung der Welten zu nahe gekommen war und so in diese Welt gelangte. »Ich weiß es nicht. Meine Mutter wollte mich vor den Jägern in Sicherheit bringen und dann das da.«

      Verzweifelt tastete Riana ihren Körper und ihr Gesicht ab, so als suche sie etwas, das nicht vorhanden war. »Du hast keine Verletzungen. Bei deiner unfreiwilligen Reise ist dir nichts geschehen. Ich werde dich trotzdem wieder zurückschicken, denn du gehörst nicht in diese Welt.«

      Julian fragte sich gerade, von was Gandulf da redete, als Riana zu weinen begann. »Ebenso gut kannst du mich hier gleich töten,« entgegnete Riana leise. »Vielleicht ist das auch besser so, denn ich bin in diesem Körper eingesperrt, wie eine Gefangene.«

      Julian sah, wie der Wächter das Mädchen fassungslos anstarrte, so als sähe er einen Geist.

      »Was willst du damit sagen Riana,« mischte sich nun Julian ein. Er hatte bis jetzt geschwiegen, weil er hoffte, Gandulf bringe Licht in das Dunkel, welches das Mädchen umgab. Zudem hatte er nicht das Geringste verstanden von dem, worüber sie sprachen. Von anderen Welten und so. Aber eines verstand er nur zu gut. Die Verzweiflung, die in Rianas Stimme lag.

      »Ja was willst du damit sagen,« echote Gandulf, der nun seinerseits dem Mädchen nicht folgen konnte. Verzweifelt warf Riana ihren Kopf nach hinten und schrie den Wächter fast an. »Ich will damit sagen, dass das nicht meine wahre Gestalt ist.« Irritiert sahen sich Gandulf und Julian an. Nun kapierten beide überhaupt nichts mehr. Gandulf, der sich als Erster von seiner Überraschung erholte, ließ die letzten Worte Rianas auf sich einwirken. Ein aufkeimender Gedanke verdichtete sich zur Gewissheit und er fragte.

      »Hat dir deine Mutter eine andere Gestalt gegeben?« Rianas Körper von heftigen Krämpfen geschüttelt, als sie antwortete. »In meiner Welt bin ich ein Einhorn.«

      Für einen kurzen Augenblick erfüllte beklemmende Stille die Hütte. Wie erstarrt blickten Julian und Gandulf auf das Mädchen. Der Wächter erschauerte bei der Vorstellung, welche magischen Kräfte nötig waren, um Riana in dieser Welt die Gestalt eines Mädchens zu verleihen. Gandulf schüttelte den Kopf, als wolle er seine Gedanken in die richtige Reihenfolge bringen, bevor er Riana fragte. »Du kannst dir also nicht deine wahre Gestalt zurückgeben?«

      Riana verneinte schniefend und fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase. »Meine Fähigkeiten reichen dazu in dieser Welt nicht aus. Ich müsste das Horn meiner Mutter berühren, denn von ihr wurde ich verwandelt.«

      »Wenn ich dich zurückschicke, wirst du dazu Gelegenheit haben.«

      Riana sah Gandulf fassungslos an. *Wollte dieser Mensch nicht begreifen, dass ihr dort Gefahr drohte?* Trotzig sah Riana den Mann vor ihr an.

      »Dann töte mich jetzt und hier. In meiner Welt werden die Jäger des Barons diese Arbeit erledigen, wenn du mich in meine Welt zurückschickst. Dort bleibe ich keinen Tag am Leben.«

      Gandulf bekam mit einmal das Gefühl, die Wände der Hütte kämen auf ihn zu und nahmen ihm die Luft zum Atmen. Rianas Augen funkelten ihn an. Die Empfindungen, welche auf ihn einströmten, kamen nicht von Rianas tiefblauen Augen, sondern von ihrem Geist. Gandulf spürte tiefe Verzweiflung und Niedergeschlagenheit, aber auch Wut, die ihn wie ein wildes Tier ansprang.

      Der Wächter erfasste, dass Rianas Worte keineswegs nur so dahin gesprochen waren, nein es war ihr voller Ernst. Lieber würde sie sterben, als wieder in ihre Welt zu gehen. Gandulf machte eine unwirsche Handbewegung, als wolle er seine Gedanken verscheuchen.

      Er musste zuerst über seinen nächsten Schritt nachdenken. Gandulf wusste nicht, wenn er ehrlich zu sich war, wie er handeln sollte. Er ist ein Wächter, der die Aufgabe hatte, fremde Wesen in ihre Welt zurückzubringen, aber er war kein Mörder.

      Sicherlich gab es Ausnahmen, wenn fremde Wesen zu einer Bedrohung für die Bewohner dieser Welt wurden, so wie die Blutsauger. Sie zu bekämpfen gehörte zu seinen Aufgaben, aber wissentlich ein Wesen in den sicheren Tod schicken, das konnte sich Gandulf beim besten Willen nicht vorstellen.

      *Wie aber sollte er sich entscheiden?*

      Zugegeben die Situation war verzwickt, aber er hatte nichtsdestoweniger eine Aufgabe zu erfüllen. Gandulf erhob sich. Er brauchte dringend frische Luft, um über dieses Problem nachzudenken. In einer solchen Situation hatte er sich noch nie befunden, in der es seinem Gewissen überlassen wurde, seine Aufgabe mit allen Konsequenzen zu erfüllen.

      »Ich muss mal nach draußen,« sagte er zu Julian, der wie angenagelt neben dem Bett stand und auf Riana herab starrte. »Sieh zu, dass sie sich die Sachen anzieht und nicht davon läuft,« fügte er noch hinzu. Mit diesen Worten drückte er sich an Julian vorbei und verschwand im dunklen Rechteck des Eingangs. Draußen trat Gandulf zwischen die Bäume und atmete tief durch. Er glaubte Riana, die von Jägern und Suchern sprach und davon, dass diese sie töten wollten und ihre Mutter sie in Sicherheit vor ihnen brachte.

      Was also sollte er tun? Seine Aufgabe verlangte es von ihm, jedes Wesen, das nicht in diese Welt gehörte wieder dahin zu bringen, wo es herkam. Oder es im schlimmsten Fall zu töten, damit es keinen Schaden anrichten konnte. Gandulf zog sich weiter in das kleine Gehölz zurück und lehnte sich ratlos an den Stamm eines Baums.

      Julian erklärte inzwischen Riana geduldig, wie sein Hemd und die Hose anzuziehen waren. Für Riana, die Julian nur fassungslos ansah, kostete es einige Überwindung, das für sie fremde Gewand anzulegen. Julians Ersatzhose war Riana viel zu weit und rutschte bei jeder ihrer Bewegungen an ihr herab. Kurzer Hand nahm Julian ein Stück Strick und band es ihr um die Hüften und verknotete ihn. Jetzt hielt die Hose, ohne zu rutschen.

      »Warst du in deiner Welt wirklich ein Einhorn?« Julian sah Riana schüchtern und verlegen an, als er ihr die Frage stellte.

      In den Märchen seiner Mutter, die sie ihm und seinen Geschwistern erzählte, kamen alle möglichen Sagengestalten vor. Nur hatte sie seine Mutter anders beschrieben. Als Riana nicht antwortete, bemerkte er die Tränen, die über ihr Gesicht liefen.

      »Entschuldige bitte, das war eine blöde Frage.« Julian kramte vor Verlegenheit in der Truhe, um Riana nicht ansehen zu müssen. Aus den Tiefen der Truhe brachte Julian ein Paar ziemlich abgetragene Sandalen hervor. Für den Moment hatte er nichts Besseres zu bieten.

      Er half Riana, die nur schweigend auf der Bettkante saß in die Sandalen. Julian sehnte sich danach, das Gandulf wieder in die Hütte kam, denn das anhaltende Schweigen machte ihn nervös. Der plötzliche Knall, der die Stille wie ein Messer zerschnitt, ließ Julian und Riana erschrocken zusammenfahren. »Die Jäger, sie kommen mich zu holen,« flüsterte Riana voller Panik.

      »Bleib