Hubert Mergili

Das Tor nach Andoran


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diesen Gedanken wieder, weil er den Knall des Übertritts sicher wahrgenommen hätte. *Es gab sicher eine andere Erklärung.*

      Je länger Gallan darüber nachdachte, umso deutlicher erkannte er, welchen Fehler er begangen hatte. Der Junge war nicht alleine gewesen. Außer dem Mädchen gab es einen weiteren in diesem Spiel, der zwischen den Stämmen auf eine günstige Gelegenheit lauerte, um ihm eins über den Schädel zu ziehen. Seine Überheblichkeit war ihm zum Verhängnis geworden. Er hatte es versäumt, die Umgebung sorgfältig nach weiteren Personen abzusuchen.

      Seinem schmerzenden Schädel und der Beule nach zu urteilen, die Gallan vorsichtig betastete, musste der Unbekannte ein Mann gewesen sein, da war sich der Sucher sicher. So schlug nur ein Mann zu. Gallan hielt seinen Kopf mit beiden Händen fest und stützte seine Ellenbogen auf den Knien ab. Er hatte alle Hände voll damit zu tun, dem Übelkeitsgefühl das seinen Magen rebellieren ließ, nicht nachzugeben und einen klaren Kopf zu behalten.

      *Der Ring und die Jagdtasche. Ohne sie konnte er sich ebenso gut von der höchsten Zinne der schwarzen Festung stürzen. Gallan kannte den Baron und er hatte seine Grausamkeiten miterlebt. Kisho würde seine Leute ausschicken, um ihn zu jagen und was geschah, wenn sie ihn fanden, daran wollte er lieber nicht denken.*

      Gallan bemerkte nicht, dass die Sonne sich dem Horizont näherte und die Hügel in orangefarbenes Licht tauchte. Erst als er schwerfällig seinen Kopf hob, um nach seinem Rappen zu sehen, wurde ihm bewusst, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. *Wo war Jarduk, hatte er auch ihn verloren?*

      Mit zusammengebissenen Zähnen erhob sich Gallan von dem Stein. Jede noch so kleine Bewegung schien in seinem Kopf eine Explosion von Schmerzen auszulösen, die seinen Körper peinigten. Schwer atmend stand Gallan da und wartete ab, dass der Schmerz nachließ, dann rief er nach Jarduk, der ihm mit einem leisen Wiehern in seinem Rücken antwortet. Gallan atmete erleichtert auf.

      »Jarduk du alter Halunke komm her zu mir,« rief Gallan erlöst, dem sich nähernden Hengst zu.

      Es wurde Zeit von hier zu verschwinden. Sicher ließ der Baron schon nach ihm suchen und es war nicht gerade ratsam noch länger hier zu bleiben.

      Während Gallan sich unter höllischen Qualen in den Sattel zog, dachte er über ein geeignetes Versteck nach. Er hatte nicht die Absicht aufzugeben. Aber er benötigte Zeit, bis ihm eine Möglichkeit einfiel, wie er seine Tasche mit den Hörnern und den Ring wieder in seinen Besitz bringen konnte.

      Auf dem schaukelnden Rücken des Pferdes fiel es Gallan schwer, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, dennoch wandte er sich nach Osten. Dort in den Hügeln wusste er eine Stelle, die ihm als geeignetes Versteck erschien und wo er abwarten konnte, bis sein schmerzender Schädel sich beruhigte.

      Schon nach einer kurzen Strecke wurde Gallan bewusst, dass er nicht weit kommen würde. Sein Kopf schien zu explodieren und sein Magen entleerte sich zum zweiten Mal.

      *Der verdammte Unbekannte hatte ihm eine ordentliche Gehirnerschütterung verpasst, aber er musste durchhalten, wenn er nicht in den Kerkern der schwarzen Festung landen wollte.*

      Alles drehte sich vor seinen Augen im Kreis und sein Wahrnehmungsvermögen trübten schwarze undurchdringliche Wolken, die ihm die Sicht raubten. Gallan drohte jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren. Um nicht aus dem Sattel zu fallen, legte sich Gallan auf den Hals von Jarduk und umschloss ihn mit den Armen. Plötzlich überfiel ihn der Gedanke an die Jäger und er fragte sich, wo sie sein mochten.

      *Hetzten sie mit ihren Hundebiestern auf seiner Fährte hinter ihm her, oder hatte sie Kisho noch gar nicht losgeschickt?*

      Eines war ihm trotz seines getrübten Verstandes klar. Bei dem Tempo, das er vorlegte, war es für seine Verfolger ein Leichtes ihn einzuholen. In der Ferne glaubte Gallan schon, das Jaulen der Hunde und die schnellen Schritte der krummbeinigen Jäger zu hören. Er konnte nicht unterscheiden, ob ihm seine Wahrnehmung einen Streich spielte, daher biss er schmerzerfüllt die Zähne zusammen und gab Jarduk die Sporen.

      Die dröhnenden Kopfschmerzen und die zunehmende Dunkelheit raubten dem Sucher die Sicht. Jarduk kam in der Dunkelheit immer öfter ins Stolpern und Gallan kam zu der Einsicht anzuhalten, um sich und seinem Pferd Ruhe zu gönnen. Unter einem Baum dessen Zweige bis auf den Boden reichten stieg Gallan ab. Er lockerte Jarduk den Sattelgurt, gab ihm einen Klaps auf den Hals und taumelte mehr besinnungslos als wach zum Stamm. Dort lehnte er sich erschöpft mit dem Rücken dagegen und rutschte an ihm herab, bis er auf dem Boden saß. Augenblicklich drehte sich alles vor seinen Augen. Unversehens rutschte er seitlich am Stamm ab und fiel zur Seite, wo er hart mit dem Kopf am Boden aufschlug und bewegungslos liegen blieb.

      Eine tiefe Ohnmacht umfing ihn aus der er sich am nächsten Morgen ins Bewusstsein zurückkämpfte. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er sich befand, schrak aber zusammen, als er in das bärtige Gesicht eines Wurrlers blickte, der ihn hämisch angrinste.

      Wut und Enttäuschung flammten in seinem Inneren auf. Sie hatten ihn doch gefunden. Gallan sah den Schlag mit dem Knüppel noch kommen, aber er reagierte zu langsam, um ausweichen zu können. Der Knüppel traf seine Stirn, worauf Gallan abermals bodenlose Finsternis umfing.

      »Er kommt wieder zu sich.«

      Gallan hatte das Gefühl sein Gehöhr sei mit Watte verstopft, als die Worte in sein Bewusstsein drangen und ihn elektrisierten.

      *Wo befand er sich?* schlagartig kam die Erinnerung an die grinsende Grimasse des Wurrlers zurück, da hörte er eine Stimme, die er unter Tausenden herausgekannt hätte, im befehlenden Ton sagen.

      »Dann sieh zu, dass er ganz wach wird.« Die Stimme gehörte keinem Anderen als Kisho dem schwarzen Baron. Gallan bemerkte den eisigen Schwall Wassers, der sich über ihn ergoss. Als er ausweichen wollte, hielt ihn etwas fest und es dauerte lange, bis er begriff was. Er war gefesselt.

      Gallan mühte sich verzweifelt seine Augen zu öffnen und als es ihm gelang erkannte er die verschwommenen Gesichtszüge des Barons, der ihn finster anstarrte. Allmählich klärte sich Gallans Blick.

      Der schwarze Baron musterte ihn lauernd, wobei sich ein grausames Lächeln in seinen Mundwinkeln eingenistet hatte. Die tückischen Augen mit dem rötlichen Schimmer blitzten ihn wütend und gehässig an. Die grüngraue Haut mit unzähligen schwarzen Pusteln übersät spannte sich glatt über Kishos Gesicht in dem die platte breite Nase mit dem wulstigen Lippen, neben den Augen hervor stachen. Als sich der Mund des Barons öffnete, kamen schwarze verfaulte Zahnstummel zum Vorschein, begleitet von einem Schwall fauligen Atems, der Gallans Gesicht streifte.

      Gallan wusste nicht, wie lange er bewusstlos gewesen war, aber es mussten Tage vergangen sein, an die er keine Erinnerung hatte. Zweifellos hatten die Wurrler ihn aufs Pferd gepackt und zur schwarzen Festung gebracht.

      Inzwischen hatte sich Gallans Wahrnehmung so weit stabilisiert, dass er seine Umgebung deutlich erkennen konnte und was er sah, gefiel ihm ganz und gar nicht.

      Gallan erkannte den Raum, in dem er sich befand. Die langen Bücherreihen, die sich bis unter die Decke erstreckten, der alles beherrschende rote Glanz, der wie Gallan wusste von dem Rubin in der Mitte des kleinen Saals ausging, ließ ihn erschaudern. Man hatte ihn in Kishos Allerheiligstes gebracht. Diesen Raum, das wusste Gallan würde er nicht lebend verlassen. Es hieß auch: der Raum der tausend Qualen. Gallan wusste von Folterungen, die er miterlebte und ausnahmslos mit dem Tod der armen Teufel endeten. Was Kisho machte das führte er gründlich aus. Eiskaltes Entsetzen packte Gallan als Kisho ihn mit gespielter Gleichgültigkeit den Kopf herumdrehte und fast freundlich zur sprechen begann.

      »Gallan … Gallan, wie mir scheint, bist du in letzter Zeit nicht gerade vom Glück verfolgt worden.« Die Stimme des Barons triefte vor Bosheit, als er weitersprach. »Ich hielt dich für alles Andere als einen Versager Gallan. Dir gehörte mein ganzes Vertrauen, aber du hast mich aufs Schwerste enttäuscht. Ich meine der Auftrag, den ich dir gab, stellte keine große Herausforderung dar und du versaust alles.«

      Kisho machte eine Pause, in der er Gallan bewusst ignorierte. In seinen schwarzen Umhang gehüllt sah er wie ein bedrohlicher großer Aasgeier aus, der seine Kreise über seinem Opfer drehte.