Hubert Mergili

Das Tor nach Andoran


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und für ewig verschollen blieb. Schon bei ihrem Betreten empfing einen die kalte Düsterheit seines Besitzers und jagte einem Schauer über den Rücken.

      Das alles ging Gallan durch den Kopf, während ihn die Wachen Richtung Westflügel schleiften. Alles in seinem Inneren bäumte sich dagegen auf, sang- und klanglos in den Tiefen von Kishos Burg zu verschwinden.

      In den Gängen, die seine Bewacher mit ihm passierten, kamen ihnen nur hin und wieder Sklaven entgegen, in deren Gesichtern die Hoffnungslosigkeit und die Qualen eingegraben waren, die sie in ihrer Gefangenschaft erleiden mussten. Erleichtert atmeten die Unglücklichen jedes Mal auf, wenn sie die Wachen mit ihren Gefangenen hinter sich lassen konnten, ohne von ihnen gedemütigt oder geschlagen zu werden. In den von trübem Licht der Fackeln beleuchteten Gängen beobachtete Gallan seine Bewacher aus halb geöffneten Augenlidern. Ihr Ziel war die Treppe im Westflügel, von wo diese hinab zu den Verliesen führte.

      Gallans Bewacher, zwei zentarische Krieger stammten aus dem angrenzenden Hochland, das sich im Norden erstreckte, und sie stellten die Leibwache und die Armee Kishos. Sie waren die Soldaten Kashims und diesem treu ergeben, obwohl ihnen bewusst war, dass andrerseits Kashim seine Befehle vom Baron empfing.

      Auf diese Truppe mit Kashim an der Spitze konnte sich Kisho verlassen. Kisho hielt den Sohn ihres Fürsten zur Sicherheit gefangen, um sich damit seiner Ergebenheit zu versichern. Kashima, so hieß der Sohn wurde vermutlich in einem der obersten Stockwerke der schwarzen Festung gefangen gehalten, so genau wusste das niemand außer dem Baron selbst. Jeder Versuch den Sohn des Fürsten zu befreien hätte unweigerlich dem Leben des Jungen ein Ende bereitet.

      Gallans Gedanken konzentrierten sich auf seine Bewacher. Seine Wärter waren grobschlächtige Kerle mit ungeheueren Kräften, denen kein Mensch auf Andoran gewachsen war. Sie überragten Gallan um mindestens zwei Köpfe, obwohl die Nayati dessen Volk er angehörte, als hochgewachsen galten. Ihre breite Brust und ihre Schädel waren glatt rasiert, nur wenige von ihnen ließen am Hinterkopf ein Büschel Haare stehen, das sie zu einem Zopf zusammen flochten. Die Gesichter abstoßend und unförmig erinnerten sie an unfertige Skulpturen, von denen die wulstigen Lippen und der breite Mund besonders hervor stachen. Ihre an Säulen erinnernden Beine steckten in Hosen aus grob gegerbtem Leder, dessen Gestank sie auf Schritt und Tritt begleitete. Viele von ihnen hatten sich zudem die Köpfe und die Brust mit ornamentartigen Zeichen tätowiert, was ihr Aussehen noch bedrohlicher machte.

      Doch trotz ihrer gewaltigen Körperkräfte hatten die Zentaren einen entscheidenden Nachteil. Unter ihren massigen Körpern litt auch ihre Beweglichkeit. Sie bewegten sich plump und behäbig, zudem kannten sie kein eigenständiges Denken und Handeln, sie befolgten einfach nur Befehle. Dieser Umstand machte sie zu grausamen unerbittlichen, aber auch zu verletzbaren Kriegern. Wenn sie erst einmal einen Befehl erhielten, führten sie ihn auch gnadenlos aus, selbst wenn es ihr eigenes Leben kostete.

      *Du wirst nur Erfolg haben, wenn es dir gelingt, sie zu überraschen. Du musst schnell sein, nur so hast du eine Chance,* hämmerte sich Gallan ein.

      Durch die endlosen Gänge der Festung kamen sie an Ständern mit Schwertern, Morgensternen und anderen Mordwerkzeugen vorbei. Die Gänge lagen wie ausgestorben vor ihnen. Keine anderen Wachen oder Sklaven kamen ihnen entgegen oder folgten der Gruppe.

      *Jetzt oder nie,* schoss es Gallan durch den Kopf. Wenn er jetzt nicht handelte, bekam er keine Gelegenheit mehr zu fliehen.

      Der Druck der Hände seiner Bewacher hatte inzwischen etwas nachgelassen, weil Gallan, obwohl sein Schädel noch immer dröhnte, mit ihnen Schritt halten konnte. Urplötzlich ließ sich Gallan fallen und trat seinem rechten Bewacher von hinten in die Kniekehlen. Mit einem überraschten Laut ließ dieser seinen Arm los und kippte nach hinten, wo er schwer auf dem Marmorboden aufschlug und benommen liegen blieb. Gallan sah das ungläubige Gesicht seines linken Bewachers, als er ihm den Dolch aus seinem Stiefelschaft in die Brust stieß. Sofort wandte er sich dem anderen zu, der gerade versuchte benommen auf die Beine zu kommen und den Mund zu einem Schrei öffnete.

      Mit einem raschen Schritt war er bei ihm und schlug dem Soldaten mit aller Kraft die Faust ins Gesicht. Stöhnend fiel die Wache auf den Boden zurück und Gallan rammte ihr seinen Dolch in die Brust.

      Vorsichtig sah er sich nach beiden Seiten des Ganges um, aber es war niemand weit und breit zu sehen oder zu hören. Gallan atmete erleichtert auf.

      Jetzt musste er die beiden Leichen verschwinden lassen, damit sie und seine Flucht nicht vorzeitig entdeckt wurden. Gallan sah zu der Türe, die sich zwischen zwei Regalen mit Waffen befand, und fragte sich, was wohl dahinter lag. Geschwind erhob er sich, näherte sich der Türe und drückte sie leise auf, bis er den dahinterliegenden Raum überblicken konnte. Der Raum war leer und diente offenbar als Abstellkammer. Gallan sah nur zwei ausgediente Schränke und eine große Truhe, das ideale Versteck für die Leichen seiner Bewacher. So schnell es ihm möglich war, schleifte er die leblosen Körper in den Raum und verbarg sie hinter den Schränken. Vorsichtig trat er danach wieder auf den Gang hinaus, doch der lag nach wie vor verlassen vor ihm.

      Auf dem dunklen Marmorboden des Ganges fielen die Blutspuren seiner Tat nicht weiter auf und so überlegte sich Gallan fieberhaft seinen nächsten Schritt.

      Viel Zeit für einen ausgereiften Plan stand ihm nicht zur Verfügung, daher beschloss er ohne lange zu überlegen die Stallungen aufzusuchen und sich ein Pferd zu besorgen.

      Wenn er die äußere Mauer der Burg hinter sich gelassen hatte, konnte er sich immer noch überlegen, wie es weiterging. Gallan orientierte sich kurz, nachdem er am Ende des Ganges angelangte. Er befand sich im Westflügel der Burg im ersten Stockwerk. Um zu den Ställen zu gelangen, musste er in den Ostflügel, wo eine Tür direkt zu den Stallungen und den Pferden führte.

      Auf diese Etage war es aber zu gefährlich zurückzugehen, denn auf ihr lagen die Gemächer des Barons und der Saal, aus dem er gerade kam. Gallan wandte sich der breiten Treppe des Westflügels zu und stieg wachsam die Stufen hinunter, jederzeit bereit hinter der steinernen Brüstung in Deckung zu gehen.

      Als Gallan das Ende der Stufen erreichte, wunderte er sich. Er sah weder Soldaten, die in der Festung ihren Dienst taten, noch Sklaven, die geschäftig umher huschten. Die kleine Halle, in der die Stufen endeten, wirkten wie ausgestorben.

      *Was ging in der Festung vor sich? Ansonsten konnte man keinen Schritt machen, ohne nicht auf Soldaten zu treffen, die zu Hunderten ihren Dienst in Kishos Burg versahen.*

      Sein Blick fiel auf das Fenster der Halle und er ging sichernd nach allen Seiten darauf zu und drückte sich in die Nische. Von hier aus hatte er einen großartigen Ausblick auf den Vorhof, bis hinüber zu den Stallungen. Vereinzelt sah er Wachsoldaten, die von ihren Unterkünften zu den Wachtürmen strebten, während andere von der Festungsmauer zu den Unterkünften unterwegs waren.

      *Wachwechsel,* erkannte Gallan, aber er sah nirgends Hektik, die darauf hindeutete, dass man seinen Fluchtversuch schon entdeckt hatte. Das große Tor in der Mauer stand weit offen, und es patrouillierten nur zwei oder drei Wachen davor auf und ab.

      Seltsam fand Gallan, dass so gut wie keine Sklaven zu sehen waren. Ansonsten, das wusste Gallan hielten sie sich vor ihren Hütten auf, wenn sich der Schatten der Burg über die Unterkünfte legte, um an kleinen Kochfeuern ihre kärglichen Mahlzeiten zuzubereiten.

      Er sah zum Himmel empor an dem die Sonne nur noch eine Handbreit über den Gipfeln des Kardak - Gebirges stand, das sich bis weit in den Westen erhob.

      Gallan erkannte, dass es später Nachmittag war und ihm nicht mehr viel Zeit blieb, wenn er aus der Festung fliehen wollte.

      Er hob lauschend den Kopf, als irgendwo aus den Gängen über ihm Stimmen zu hören waren. *Suchte man bereits nach ihm?*

      Ein letzter Blick auf den Hof, dann machte sich Gallan auf den Weg zum Ostflügel, von wo aus er ungesehen in die Stallungen gelangen würde, sofern er nicht patrouillierenden Wachen in die Arme lief. Einerseits kam ihm die Leere in den Gängen entgegen aber andrerseits beunruhigte sie Gallan irgendwie. Es konnte nichts Gutes bedeuten, wenn Kisho die Bewachung seiner Festung nur wenigen Soldaten überließ und er fragte sich, wo der Rest von ihnen sein