Hubert Mergili

Das Tor nach Andoran


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*Wahrscheinlich wusste er auch von seiner Flucht und kannte sicher seine Absicht in die andere Welt zu gehen, um das Einhorn zu finden. Wusste er auch, dass das Einhorn in einen Menschen verwandelt wurde? Woher sollte er das wissen oder reichten seine Kräfte aus, um auch dort zu sehen, was geschah?*

      Die Schreckensbilder seiner Vision wirkten immer noch auf Gallan ein und er sah sein Vorhaben plötzlich in einem ganz anderen Licht. Kisho, davon war er überzeugt würde ihn so oder so töten, schon um sein eigenes Versagen zu verbergen.

      »Was soll ich tun,« fragte er und ihm wurde deutlich, dass die Prophezeiung die Belgan aussprach, als er ihn vor Jahren verließ, eintrat. »Du wirst wiederkommen und meinen Rat und meine Hilfe wollen.«

      Belgan schloss seine blicklosen Augen, wobei er seinen Kopf schief legte. Er schien einer Stimme zu lauschen, die nur er hören konnte. Unbeweglich saß Belgan ihm gegenüber. Plötzlich riss Belgan seine blinden Augen auf und schrie gequält auf. Keuchend hob und senkte sich sein Brustkorb als bekäme er zu wenig Luft, während sich sein Körper verkrampfte.

      »Kisho hat mit den Wurrlern und seinen teuflischen Kriegersklaven den Zentaren die westlichen Stämme überfallen und sie unterworfen. In seiner Gier will er sich damit nicht zufriedengeben und auch die Nayati und die anderen östlichen Stämme unterjochen. Sie sind auf den Weg hierher.«

      Gallan erinnerte sich an seine Beobachtungen während des Ritts. Er erinnerte sich an die aufsteigenden Rauchsäulen und seine Vermutungen. Er hatte geglaubt Kisho gäbe sich mit dem westlichen Teil Andorans zufrieden, dessen Grenze der Dengro war. Die Worte des Schamanen trafen ihn wie ein Hieb in den Magen.

      Gallan wollte etwas sagen, doch der Schamane kam ihm zuvor.

      »Traue nie einem Tyrannen und seinen Versprechen, sie sind wie Wasser, das durch deine Hände rinnt.«

      In der Tat hatte Kisho einst versprochen, den Stamm Gallans in Frieden zu lassen und versichert, dass er keinerlei Interesse habe, dem Stamm seines Suchers Schaden zuzufügen. Dieser Wortbruch traf Gallan bis ins Mark.

      Er fühlte sich immer noch als Sohn des Stammes, obwohl sein Vater ihm nie verziehen hatte, dass er in die Dienste des Barons getreten war. Bei seinem lang zurückliegenden Besuch schnitten ihn die Einwohner, sahen ihn schief an und tuschelten hinter seinem Rücken.

      »Ich werde die Nachricht meinem Vater überbringen,« stieß Gallan hervor, doch plötzlich schien ihn ein letzter Zweifel zu überkommen. »Bist du dir auch ganz sicher Belgan?«

      Der Schamane fuhr sich mit der Hand von der Stirne nach unten übers Gesicht. Seine Augen waren geschlossen, als er mit tonloser leiser Stimme antwortete.

      »Sie kommen schnell wie der Wind und nur die angeschwollenen Flüsse werden sie für einige Zeit aufhalten können.«

      »Wie viel Zeit bleibt uns noch,« wollte er vom Schamanen wissen. Belgan seufzte leise, ehe er Antwort gab. »Sechs … vielleicht sieben Tage.« Gallan erhob sich und wandte sich dem rechteckigen Ausgang zu. Noch bevor er ihn erreichte, hörte er die Frage des Schamanen aus dem Dämmerlicht hinter sich.

      »Wie hast du dich entschieden Gallan? Keiner kennt den Baron und die Krieger des Barons besser als du. Wirst du an der Seite deines Volkes kämpfen?«

      Gallan drehte sich um und sah durch das düstere Innere hinüber zu Belgan, der noch immer die Augen geschlossen hielt. »Ich werde dieses wortbrüchige Aas bis zum letzten Atemzug bekämpfen,« antwortete er zornig und wollte sich schon umdrehen, als ihn Belgan erneut ansprach.

      »Du musst das Einhorn nicht suchen, es wird zu dir kommen. Beschütze es, wie du deinen Stamm beschützen willst.« Es entstand eine kurze Pause, dann sprach der Schamane weiter. »Jetzt geh, die Nayati brauchen deine Hilfe.«

      Gallan verließ in Gedanken versunken Belgans Erdhaus, schwang sich in den Sattel von Jarduk und gab ihm die Sporen. Jarduk wieherte protestierend bei der ungewohnten Behandlung auf, doch Gallan achtete nicht darauf. Die letzten Worte des Schamanen gingen ihm nicht aus dem Kopf.

      *Was wusste er über das Einhorn und warum sollte es zurückkommen?*

      Gallan nahm sich vor, mit dem Schamanen ausführlicher darüber zu reden. Zuerst aber musste er seinen Stamm warnen und es sollten Vorbereitungen getroffen werden, um Ituma zu verteidigen.

      Kapitel 7

       Ein herzlicher Empfang?

      

      Gallan ritt von Belgan aus zum Ufer des Dengro, wo er dem Flusslauf folgte und auf den Fahrweg einbog, der in die Stadt führte.

      Es hatte wieder zu regnen begonnen und es wunderte ihn nicht, dass er niemanden auf den Feldern sah, die die Ufer säumten. Nur gelegentlich sah er einen einsamen Hirten, der in Regenzeug gehüllt die Schafe hütete. Aus einer Senke, in der sich das Wasser der letzten Regentage zu sammeln begann, ritt Gallan auf den Kamm des Hügels, von dem aus er die kleine Stadt erblickte, in der er aufgewachsen war.

      Schon von Weitem sah er die Befestigungsmauer, die Ituma umgab und die einsame Wache, die im Torbogen Schutz vor dem Regen suchte. Gallan ritt langsam auf das Stadttor zu. Als er noch fünfzig Schritte davon entfernt war, trat die Wache aus dem Torbogen heraus und rief ihn an. »Halt. Wer seid ihr und was wollt ihr hier?«

      Gallan zügelte Jarduk und antwortete. »Ich bin Gallan, Sohn des Garan und ich will zu meinem Vater.«

      Misstrauisch hielt ihm der Krieger die Lanze entgegen und musterte Gallan eingehend, ehe er nach hinten rief. »Da will einer zu Garan und behauptet er wäre sein Sohn, soll ich ihn durchlassen?«

      Aus dem Schatten des Torbogens löste sich eine Gestalt, die zu der Wache lief und sich flüsternd mit ihr unterhielt. Nach der kurzen Unterhaltung näherte sich die hünenhafte Gestalt Gallan.

      Gallan hätte diese hünenhafte Gestalt unter Tausenden herausgekannt. Vor ihm stand ausgerechnet Arteo, mit dem er schon als Junge diverse Streiche ausgeheckt hatte, doch Arteo sah ihn nur feindlich an. »Was willst du hier Verräter, keiner will dich sehen. Am wenigsten dein Vater. Verschwinde und kehr dorthin zurück, von wo du kamst.«

      Arteo trug einen weiten Mantel aus gefettetem Leder, an dem der Regen abperlte. Seine dunkle Mähne lugte unter dem breitkrempigen Hut hervor und Arteos dunkle Augen blickten ihn unfreundlich an.

      Gallan seufzte, aber er hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Die Leute seines Stamms nahmen es ihm übel, dass er in die Dienste von Kisho getreten war. »Ich komme mit einer Botschaft von Belgan an den Rat der Stadt,« knurrte Gallan genauso unfreundlich zurück und wollte Jarduk antreiben. Arteo aber wich keinen Zoll zur Seite, sondern langte ihm in die Zügel.

      »Ich hoffe du verschwindest bald wieder, es ist kein Platz für einen Verräter in Ituma,« zischte er, dann gab er den Weg frei. Im Umdrehen rief er zum Tor. »Lasst ihn durch.«

      Gallan ritt auf das Tor zu, das sich nur so weit öffnete, dass sein Pferd hindurch kam. Neben den aus dicken Eichenbohlen mit eisernen Beschlägen verstärktem Tor standen zwei Krieger, die ihn unbehaglich anstarrten. Gallan schenkte ihnen keine Beachtung und hörte sie noch hinter seinem Rücken tuscheln, als er an ihnen vorbei ritt.

      Auf der Straße, die menschenleer vor ihm dalag, ritt Gallan weiter zu dem Haus seiner Eltern. Die Stadt wirkte im herabprasselnden Regen trostlos und grau, aber er bemerkte auch, dass sich einzelne Häuser in einem schlechten fast baufälligen Zustand befanden. *Was war während seiner Abwesenheit geschehen?,* fragte sich Gallan und ritt mit einem unguten Gefühl weiter. Nur vereinzelt bemerkte er einen neugierigen Bewohner, der hinter dem Fenster auf die Straße schaute, und fühlte deren Blicke wie Feuer in seinem Rücken brennen. Er hatte gehofft nach all den Jahren, die inzwischen vergangen waren, hätten die Bewohner vergessen, aber dem schien nicht so zu sein.

      Vor dem Haus seiner Eltern stieg Gallan ab und führte Jarduk in den kleinen Stall, der sich daneben befand. Er rieb Jarduk trocken, führte ihn in eine leere Box und schaufelte aus der Raufe nebenan etwas Heu, dann wandte