Hubert Mergili

Das Tor nach Andoran


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kam jeder Krieger in das Versammlungshaus, das im Großen und Ganzen dem Erdhaus glich das Belgan draußen vor der Stadt bewohnte. Der Schamane hatte sich nie mit der städtischen Bauweise anfreunden können, die sich in Gallans Jugend durchzusetzen begann. Damals beschlossen die Räte eine Stadt nach dem Vorbild Shihoras zu errichten, weil sich die Erdhäuser weit verstreut über die Ebene erstreckten, und es so jedem Feind ein Leichtes war, die übergroßen Dörfer zu überfallen und zu plündern. Es wurde einfach unmöglich ein derart auswucherndes Dorf wirkungsvoll zu schützen und so entschloss man sich, hinter dem Schutz einer Stadtmauer zu leben. Im Notfall und bei drohender Gefahr konnten die beharrlichen Nayati die es vorzogen weiterhin in ihren kleine Siedlungen und Dörfern nach der althergebrachten Tradition in der Ebene zu leben, hinter diese Mauern flüchten.

      In Erinnerung an die alte Lebensweise beschloss man, das Versammlungshaus im Stil eines Erdhauses zu errichten, nur um ein Vielfaches größer.

      Gallan beobachtete seinen Vater, nachdem Sertan gegangen war. Die Jahre hatten ihre Spuren auf dem braunen Gesicht seines Vaters hinterlassen, aber sein langes Haar, glänzte immer noch schwarz. Schlank, hochgewachsen und aufrecht stand der alte Mann in seinem Lederhemd und seiner Leinenhose vor ihm. Prüfend betrachteten seine dunklen Augen Gallan, als er die Arme ausbreitete und seinen verloren geglaubten Sohn mit ihnen umschloss.

      »Ich bin glücklich, dass du wieder einer von uns bist, Sohn. Ich habe lange auf diesen Augenblick warten müssen, aber nun ist er endlich gekommen.«

      Gallan sah keinen Vorwurf in den Augen seines Vaters, dafür aber Erleichterung. Verwundert bemerkte er den wässrigen Glanz, der sich in den Augen Garans widerspiegelte. Gallan gelang es nicht, auch nicht mit äußerte Willenskraft, seine Tränen zurückzuhalten.

      »Es war mein Fehler Vater,« stammelte er tränenerstickt und verbarg sein Gesicht an der Schulter seines Vaters. Gallan fühlte den Druck den Garans Arme ausübten, als dieser ihn umarmte und mit bebender Stimme sprach. »Schon gut mein Junge jetzt wird alles gut. Hauptsache du bist wieder zu Hause. Deine Mutter hat jeden Tag vor dem Hausaltar gestanden und zum großen Geist gesprochen, dass er dich beschützt und eines Tages nach Hause bringt,« hörte Gallan ihn sagen. »Aber jetzt gibt es Wichtigeres zu tun, als zu heulen. Komm mit zum Kriegsrat, dort wartet man bestimmt schon auf dich.«

      Garan klopfte Gallan ermutigend auf die Schulter, dann löste er die Umarmung. Verstohlen wischte sich Gallan seine Tränen aus den Augen. Es tat ihm gut keine Vorwürfe von seinem Vater wegen seiner Eigensinnigkeit zu hören aber ihn beschlich ein mulmiges Gefühl, als er daran dachte vor den Kriegsrat zu treten, und die Botschaft Belgans zu überbringen.

      In vielen Augen war er ein Verräter, der sich in die Dienste des Schwarzen gestellt hatte und so sein Volk verraten hatte. Es blieb dahingestellt ob Sertans Autorität ausreichte, um die anderen beiden Räte und die Krieger zu überzeugen. Die Blicke der Wachen und Arteos Verhalten bewiesen ihm, dass sie noch nichts vergessen hatten.

      »Sie werden mir nicht vertrauen,« protestierte Gallan, doch all seine Einwände nützten ihm nichts. Garan schob den widerstrebenden Gallan mit sanfter Gewalt zum Versammlungshaus.

      »Hast du dich in den Jahren so verändert mein Sohn? Der Gallan, den ich kannte, wäre erhobenen Hauptes vor den Rat getreten und hätte nicht versucht, sich zu verstecken.«

      Diese Worte trafen Gallan bei seiner Ehre und mit einem innerlichen Ruck, folgte er mit weit ausholenden Schritten seinem Vater zum Versammlungsgebäude. Schon von Weitem sahen sie die Männer, die dem Aufruf gefolgt waren. Dicht gedrängt standen sie vor dem Eingang und warteten darauf, dass sich die Tore öffneten. Selbst Belgan den Schamanen brachte man auf einer Schleppbahre, die ein Pferd zog zu diesem Ereignis.

      Durch die sich bildende Gasse betrat Garan mit seinem Sohn die kreisrunde Halle im Versammlungshaus. Vor ihnen, gestützt auf zwei kräftige Männer wurde Belgan der blinde Schamane an seinen Platz geführt. Dieser befand sich neben der kleinen Erhöhung, auf der die Räte saßen.

      Mit einem leisen Stöhnen ließ sich der Schamane auf seinen Platz sinken. In der Mitte der Halle hatte man einen runden Platz freigelassen, in der sichtbar für jeden Anwesenden die Mitglieder des Stammes sprechen konnten. Belgans blinde Augen musterten die Räte eindringlich der Reihe nach, die auf ihrer erhöhten Sitzreihe heftig diskutierten.

      Gallan wusste von früher, dass Belgan sich ganz auf sein Gehör konzentrierte, um die Stimmung, die unter den Räten und den Anwesenden herrschte, einzuschätzen. Ihn überkam mit einem Mal das Gefühl, in dem Schamanen einen Freund und Beschützer zu haben.

      Nicht umsonst hatte er es Gallan überlassen, die Nachricht von dem bevorstehenden Angriff zu überbringen. Er kannte seine Stammesbrüder gut genug, um zu wissen, welches Misstrauen ihm entgegenschlagen würde.

      Sein Vater führte ihn an den Bänken vorbei zu dem erhöhten Platz, wo die Räte saßen und bot Gallan einen Platz an. Unverhohlen voll Argwohn beäugten sie ihn und steckten tuschelnd die Köpfe zusammen.

      Besorgt und nervös blicke Sertan von ihnen zu Gallan und wieder zurück. Er machte sich große Sorgen um sein Volk, das noch nie einer derartigen Bedrohung ausgesetzt war.

      Gewiss, es gab in der Vergangenheit kleinere kriegerische Auseinandersetzungen mit den benachbarten Stämmen. Aber noch nie sahen sich die Nayati einem Eroberungsfeldzug gegenüber, wie ihn Kisho plante. Meistens handelte es sich bei diesen Reibereien um Viehdiebstahl oder um den Raub junger Mädchen, die von den Kriegern eines anderen Stammes entführt wurden.

      Sertan benötigte einen Mann, der in der Lage war ihnen die Bedrohung vor Augen zu führen und die Stämme zum gemeinsamen Kampf gegen den schwarzen Baron aufzurufen. Diesen Mann sah er in Gallan, der die Kampfstärke der Zentaren, aber auch ihre Schwächen kannte.

      Langsam füllte sich das Haus mit den hereinströmenden Kämpfern und Sertan wartete, bis auch der letzte Platz genommen hatte. Schlagartig erlosch das brausende Geräusch unzähliger Stimmen und machte angespannter Aufmerksamkeit Platz. Sertan trat in die Mitte der Arena, hob die Arme hoch und begann zu sprechen.

      »Ich habe den Kriegsrat einberufen, weil sich aus dem Westen eine Bedrohung unserem Volk nähert, der wir nicht alleine gewachsen sind. Gallan, ein Sohn unseres Stammes ist der Überbringer dieser Nachricht. Viele von euch kennen Gallan, der als junger Mann fortging, um in die Dienste des Mannes zu treten, der uns heute unterwerfen will.«

      Lautstarke Zwischenrufe unterbrachen Sertans Rede, dem wildes Durcheinanderreden folgte und viele der Anwesenden sprangen von ihren Bänken hoch, um ihrer Empörung Luft zu machen.

      Sertan versuchte mit beschwichtigenden Handbewegungen die Ruhe wieder herzustellen doch seine Bemühungen wurden ignoriert. Hitzig redeten die Anwesenden aufeinander ein, bis sich ein älterer Mann vom Podium der Räte erhob, um sich durch lautes Rufen und gestikulieren Gehöhr zu verschaffen.

      »Ich, Songao kenne Gallan, als er noch von seiner Mutter getragen wurde. Ich kenne ihn auch als jungen Krieger, der sich von unserem Volk abwandte, um in die Dienste des schwarzen Barons einzutreten. Wer sagt, dass wir ihm vertrauen können und er uns nicht gegen den Baron ausspielt?«

      Zustimmendes Gemurmel brandete auf, wobei Gallan der still auf seinem Platz saß seinen Vater ansah, als wollte er sagen. *Ich hab‘s ja gewusst, sie werden mir nie verzeihen.*

      Garan jedoch schüttelte den Kopf und gab seinem Sohn ein Zeichen Ruhe zu bewahren.

      Immer heftiger wurden die Diskussionen bei der sich abzeichnete, dass sich zwei Lager bildeten. Die eine Partei unter Sertan sprach sich für Gallan aus, während die andere Partei, der Songao angehörte, Stellung bezog, ihm keinen Glauben zu schenken.

      Der Schamane saß ruhig auf seinem Platz und lauschte mit zur Seite geneigtem Kopf dem Stimmengewirr, das seiner Meinung nach dem aufgeregten Gegacker aufgescheuchter Hühner glich. Doch als es nicht verebben wollte, stand er auf und starrte mit seinen blinden Augen in die Runde.

      »Ruhe, der Schamane hat etwas zu sagen,« schrie Sertan in die Halle um Belgan Gehör zu verschaffen. Langsam klang das Stimmengewirr ab und Belgan wartete, bis er sich sicher sein konnte, dass auch der Letzte ihm zuhörte.

      »Ich