Hubert Mergili

Das Tor nach Andoran


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Gallan legte das leere Gefäß neben den Kessel und konnte nicht verhindern, dass er zunehmend unruhiger wurde, als der Schamane beharrlich schwieg. Der vorwurfsvolle Gesichtsausdruck des Schamanen beunruhigte ihn.

      Unsicher fragte Gallan den Schamanen. »Von welchem Frevel sprichst du Schamane.« Ein flüchtiges Lächeln huschte über das Gesicht des Schamanen, das aber keine Freude, sondern eher Schmerz ausdrückte. Dafür stellte der Schamane Gallan eine Frage, mit der er nicht gerechnet hätte.

      »Spürst du den kalten Wind aus dem Süden und den eisigen Regen, der das Land erstarren lässt? Er hat mit deiner Tat zu tun und das ist erst der Anfang. Du hast mit deinem Vorgehen das Gleichgewicht der Magie verändert. Wenn du dich nicht besinnst und umkehrst, wird diese Welt so wie wir sie kennen sterben.«

      »Wie …,« wollte Gallan einwenden, doch Belgan schnitt ihm mitten im Satz das Wort ab. »Die Einhörner sind magische Wesen, welche die Natur und alle ihre Geschöpfe im Gleichgewicht halten. Du tötest sie und willst meine Hilfe, um auch noch das letzte der Gier des Barons zu opfern.«

      Nun nahm die Stimme des Schamanen einen vorwurfvollen belastenden Ton an, bei dem Gallan das Blut in den Adern zu erstarren drohte. Obwohl Belgan nicht lauter sprach, als er ihn begrüßte, beschlich ihn ein mulmiges Gefühl.

      Diesen sanften weisen Mann hatte er noch nie zuvor in solch einem Ton mit jemand reden hören.

      Gallan kannte Belgan seit seiner Kindheit und er fragte sich, wie der alte Mann das alles wissen konnte. Reichten seine Fähigkeiten weiter, als sich Gallan das träumen ließ? Was bedeutete das Gerede vom Gleichgewicht der Natur und vom Sterben dieser Welt?

      »Woher weißt du von meinen Taten, lässt du mich heimlich beobachten,« fragte Gallan verunsichert. Doch statt einer Antwort warf der Schamane eine Handvoll Kräuter, die er aus seinem Umhang holte ins Feuer. Sogleich stieg dichter weißer Rauch empor und hüllte sie beide ein.

      »Komm ich führe dich auf eine Reise du Unwissender,« hörte Gallan den Schamanen wie aus weiter Ferne sagen. Der weiße Nebel stieg bis zur Decke der Hütte empor, aber irgendwie verließ er sie nicht durch die Öffnung. Obwohl Belgan nur zwei Schritte von ihm entfernt war, konnte Gallan ihn nicht sehen und ihm war, als löse sich Belgans Heim um ihn herum auf. Als sich der Rauch verzog, stand Gallan mitten auf der Ebene. Verwirrt sah er sich um.

      Wo war er? Gallan drehte sich um seine eigene Achse, dabei fiel sein Blick auf einen mit vertrocknetem grasbewachsenen Erdhügel, nicht weit von ihm entfernt. *Träumte er oder verabreichte der Schamane ihm eine Droge, die ihm das alles hier vorgaukelte?*

      Gallan bewegte sich auf den Hügel zu, da fiel ihm das ausgetrocknete von der Sonne verbrannte Gras unter seinen Füßen auf, das bei jedem Schritt raschelte und zu Staub zerfiel. Nun wurde er sich auch der sengenden Strahlen der Sonne bewusst die von einem an flüssiges Blei erinnernden Himmel herabbrannte und kaum Luft zum Atmen ließ. Erneut fragte er sich. *Wo bin ich gelandet. Auf einer anderen Welt?* Es gab nichts außer dem Erdhaus, das er zu kennen glaubte.

      Wenige Schritte vor dem Eingang zur Hütte hörte Gallan unter seinen Schritten ein trockenes Knacken und sah verwundert zu Boden. Vor ihm lag im Staub der bleiche Schädelknochen eines Kaninchens, auf den er getreten war.

      Gallan schritt weiter auf den Eingang zu, der je näher er kam, irgendwie anders aussah. Erst beim Näherkommen erkannte er warum. Der Balken, der den Eingang stützte, hing halb herunter und die Seitenpfosten waren gesplittert unter dem Druck des Daches zusammengebrochen. Die unzähligen Löcher im Dach gewährten einen Blick in das mit Erdreich und Staub angefüllte Innere. Vor dem Eingang lagen vom Wind zusammengetriebene rund Büsche, die sich bei jedem Luftzug bewegten.

      Gallan schob mit dem Fuß die Büsche zur Seite und zwängte sich nach drinnen. Die Strahlenfinger der Sonne, welche durch das löchrige Dach fielen, tauchten das Innere in ein unwirkliches Licht. Bei jedem Schritt, den er zögernd vorwärtsging, wirbelte feiner Staub auf, der in den Lichtstrahlen tanzte.

      Der hintere Teil, der Belgan als Schlafraum diente war einigermaßen gut erhalten. Die Seitenwände aus jungen Baumstämmen wirkten morsch und hatten teilweise schon nachgegeben. Auf dem Bettgestell lag eine zentimeterdicke Schicht Staub, die schon Jahre alt sein musste. Neben dem Bett auf dem festgetretenen Fußboden lagen die bleichen trockenen Knochen Belgans, den er nur an seiner Kleidung wiedererkannte.

      *Was war geschehen?, fragte sich Gallan erschüttert. War das Gleichgewicht der Natur wirklich so aus Fugen geraten? Wo war das saftige grüne Gras geblieben? Gallan hatte nichts als ausgedörrte Steppe, in der die Luft vor Hitze flirrte, gesehen. Wo war sein Volk, das ganz in der Nähe des Flusses lebte?*

      Mit einem Mal trat Gallan der Schweiß aus sämtlichen Poren der Haut und rann ihm in Bächen über Stirn und Rücken. Ein Gefühl von Unruhe, begleitet von ahnungsvollem Schrecken griff nach seinem Herzen und er stürmte schwer keuchend ins Freie.

      An den morschen Seitenpfosten des Eingangs gestützt blickte er suchend hinunter zum Fluss, an dem die kleine Stadt seines Stammes liegen musste. Ohne sich dessen bewusst zu werden, setzte er immer schneller werdend einen Fuß vor den anderen, bis er rannte. Eine verbissene laut dröhnende Stimme in seinem Kopf schrie ihn an. Das ist alles deine Schuld ….. deine Schuld ….. deine Schuld.

      Schon von Weitem sah er die zerfallene Festungsmauer, die die kleine Stadt umgab und Gallan stolperte außer Atem auf sie zu. Durch den halb verfallenen Zugang zur Stadt sah er kleine Sandteufel durch die ausgetrockneten Flächen zwischen den einzelnen Behausungen tanzen. Leere nichts als Leere umfing Gallan, wohin er auch sah.

      Mit vor Schrecken geweiteten Augen suchte Gallan nach dem Haus seiner Eltern, und als er davor ankam, standen Tränen in seinen Augen. Das eingefallene Dach hatte alles unter sich begraben, was ihn an seine Kinder und Jugendzeit erinnerte. Wie in Trance stolperte Gallan durch die menschenleere Stadt. Seine Augen füllten sich mit Tränen und er torkelte weiter, bis er gegen das ausgebleichte Gerippe eines Rindes stieß, das mit einem hässlichen Knirschen zu Staub zerfiel. Kreischend meldete sich die Stimme in seinem Kopf zurück und wollte nicht verstummen.

      *Deine Schuld … deine Schuld.*

      Mit zugehaltenen Ohren lief Gallan mehr taumelnd und stolpernd durch den glühenden Staub zum Fluss hinunter, an dessen Ufer er schwer atmend stehen blieb. Nur wenige Schritte vom Ufer entfernt schaute er fassungslos auf das staubige ausgetrocknete Flussbett.

      Der Fluss war verschwunden und mit ihm die Lebensader von Ituma seiner Stadt. Ein lang gezogener klagender Schrei entrang sich seiner Brust, der in einem Ächzen endete. Gallan fiel auf die Knie und blickte mit starrem Blick in den Himmel. Ein Windstoß wirbelte vor ihm Sand auf, nahm ihm die durch Tränen getrübte Sicht und hüllte ihn ein.

      Er wusste nicht, wie lange er im Sand kniend verbrachte, bis sich sein Blick klärte und die blinden Augen des Schamanen wahrnahm, der ihm kerzengerade gegenübersaß. Seine Kleidung klebte am Körper und in seinem ausgedörrtem Mund glaubte er, noch den Staub zu schmecken.

      »Schütze das letzte Einhorn oder die Zukunft sieht so aus, wie du sie eben erlebt hast. Rette es vor dem Baron.«

      Gallan saß wie betäubt da und rührte sich nicht, während sich seine Gedanken überschlugen. *Wie hatte der Schamane das zustande gebracht? Alles schien so realistisch bis ins kleinste Detail. Hatte er wirklich eine schreckliche Zukunftsvision gesehen oder wollte ihn Belgan nur von seinem Vorhaben abhalten? Lag die Schuld wirklich bei ihm, wie es ihm die plärrende Stimme weismachen wollte?*

      Belgan schien seine Gedanken lesen zu können, denn er unterbrach Gallans Betrachtung mit Fragen, die Peitschenschlägen glichen. »Du glaubst mir nicht? Was ist mit dem Südwind und seiner schneidenden Kälte und dem andauernden Regen der sich, wie Eis anfühlt? Sind das nicht genügend Zeichen für dich?, dann wisse dies. Wenn das letzte Einhorn stirbt, und es wird sterben, wenn es in die Fänge des Barons gelangt, dann sind die Menschen dem Untergang geweiht. Kisho wird diese Katastrophe durch sein Spiel mit Kräften heraufbeschwören, die er nicht beherrschen kann. Du Gallan wirst zu seinem Handlanger, wenn du ihm gibst, was er haben will. Überleg deine nächsten Schritte gut, denn es liegt in deiner