Hubert Mergili

Das Tor nach Andoran


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ein und Kisho machte in der Mitte halt. Er hob seine Hand, murmelte ein paar Worte, bis sich ein dicker Foliant aus ihr löste und als hätte er Flügel, langsam zum Lesetisch schwebte.

      Bedächtig folgte Kisho dem schwebenden Buch. Er hasste sein Aussehen. Die grünlich graue Haut, die schwarzen schwärenden Pusteln, die er am ganzen dicklichen aufgedunsenen Körper hatte. All das verachtete er und er fragte sich noch heute nach so vielen Jahren, was bei der Transformation schiefgelaufen war. Kisho wusste nur eines: Die Hörner und das junge Einhorn waren der Schlüssel zu einem erträglichen gesunden Körper, nach dem er sich so sehnte. Erst wenn er dies schaffte, war das Martyrium eines verpfuschten Zaubers für ihn zu Ende. Seine Zauberkräfte reichten trotz der zahlreichen Artefakte nicht aus, diese Umwandlung rückgängig zu machen.

      Kisho hielt vor dem Lesepult an, auf dem das Buch sanft gelandet war, und schlug es mit einer leichten Handbewegung auf. Seine Augen überflogen die aufgeschlagene Seite, dann las er murmelnd die Zeilen, denen er mit seinen Fingern folgte. Schon nach wenigen Worten, die er im singenden Tonfall vortrug, ging an der Wand in der die Artefakte untergebracht waren eine Veränderung vor. Der Fels begann durchscheinend zu werden und gab den Blick auf eine Halle frei, die angefüllt war mit langen Reihen bewegungslos verharrender Wurrlern und deren grässlichen Hunden. Kisho wartete, bis die Wand völlig verschwand und betrat mit einem teuflischen Grinsen die geheime Halle.

      Erneut begann Kisho, im hohen singenden Ton Worte zu rezitieren, welche die kleinen Gestalten zum Leben erwachen ließ, sobald er an ihnen vorüberging. Als er seiner Meinung nach genügend der Kreaturen aufgeweckt hatte, begab er sich an seinen Ausgangspunkt zurück. Anschließend öffnete sich im Felsen eine kleine Öffnung. Dahinter erschien ein langer niedriger Tunnel, der ins Freie führte.

      »Geht Kinder des Schattenreichs und verbreitet Schrecken und Verwüstung,« rief Kisho kichernd und hob die Arme ausgebreitet in die Höhe. Als hätten sie nur auf diesen Befehl gewartet setzten sich die erwachten Wurrler mit ihren Hunden in Bewegung, drängte durch das Tor und verschwanden im Tunnel.

      Als der Letzte die Halle verlassen hatte, schloss sich die Öffnung wieder so lautlos, wie sie erschienen war. Zufrieden blickte Kisho auf die verbliebenen Wurrler. Dieser kleinen Armee hatte er andere Aufgaben zugedacht, die sie schon bald erfüllen sollten. Kisho ging ans Lesepult zurück. Aus dem Buch rezitierte er eine weitere Formel, worauf die Wandseite mit den Artefakten in den Regalen wieder materialisierte.

      Mit einer Fingerbewegung schloss er das Buch und schickte es an seinen Platz, wo es gestanden hatte. Als alles an seinem angestammten Platz stand, rief er herrisch nach der Wache, die er draußen vor der Tür wusste, damit sie Kashim, den Fürsten und Anführer der Zentaren zu ihm brachten.

      Wenige Augenblicke später erschien Kashim mit angelegter Rüstung und verbeugte sich vor dem schwarzen Baron.

      »Herr Ihr habt mich rufen lassen.«

      Kishos massige Gestalt wirkte in dem rötlichen Licht, das den Saal erleuchtet, wie ein Dämon der aus der Unterwelt entsprungen schien. Kashim erschauderte beim Anblick des Despoten. Verstärkt wurde dieser Eindruck von dem hohen aufgestellten Kragen seines Umhangs, der mit allerlei magischen Formeln bestickt war.

      »Ist das Heer, das ich dir aufzustellen befahl, bereit?,« schnarrte Kisho den Zentaren an, der den Kopf gesenkt hielt. »Es steht vor den Mauern der Festung und wartet nur auf Euren Befehl Herr,« gab Kashim ruhig zur Antwort. Kashims scheinbar ruhige Gelassenheit entsprach nicht den Gefühlen, die er für seinen Erpresser hegte.

      Wäre sein Sohn Kashima nicht gewesen, der sich in den Fängen Kishos befand, so hätte er sich auf ihn gestürzt und ihn für die Demütigungen, die ihn dieser ertragen ließ, den Kopf abgerissen. Dazu wäre er jederzeit in der Lage gewesen, denn er überragte den Baron um mindestens drei Köpfe. Um das Leben seines Sohnes zu schützen, blieb ihm keine andere Wahl, als die Befehle seines Gegenübers zu befolgen.

      Wie oft hatte er die nächtliche Festung auf der Suche nach Kashima durchstreift, in der Hoffnung den Ort herauszufinden, wo Kisho ihn gefangen hielt, bis zum heutigen Tage jedoch, ohne den kleinsten Hinweis zu finden.

      »Worauf wartest du dann noch, setz dein Heer in Bewegung und befolge meine Anordnungen.«

      »Ja Herr,« antwortete er knapp. Kashim drehte sich auf dem Absatz um und verschwand durch die große schwere aus Eisenholz gefertigte Türe, vor der zwei Wachen von seinen Leuten standen. Seine Krieger salutierten vor ihm aber das bemerkte Kashim nicht mehr. In Gedanken versunken suchte er verzweifelt nach einem Weg um seinen Sohn zu befreien. Wenn dieser Feldzug vorüber war, das schwor sich Kashim, wollte er seinen Sohn in die Arme schließen und Kishos fadenscheinige Ausflüchte, würde er nicht länger gelten lassen.

      Nachdem Kashim den Saal verlassen hatte, machte Kisho es sich in seinem Sessel mit der hohen Rückenlehne bequem und dachte über sein weiteres Vorgehen mach. Wenn Andoran westlich des Dengro unterworfen war, dann würde der Süden folgen. Seine Armee von Wurrlern sollte sich am Unterlauf des großen Flusses mit den Zentaren vereinen und die dort lebenden Völker unterwerfen.

      Wenn alles so lief, wie er sich das dachte, gab es in wenigen Monaten im Westen und Süden keinen Landstich mehr, den seine Truppen nicht kontrollierten.

      Blieb nur noch das Problem mit dem Einhorn und dem verpfuschten Einsatz von Gallan, aber darum wollte er sich Morgen kümmern. Kisho gähnte herzhaft. Die Anstrengungen der letzten Tage machten sich bemerkbar und er wollte nur noch schlafen. Seine letzten Gedanken galten dem Heer der Wurrler, die er Morgen aus der Schattenwelt herbeirufen wollte. Natürlich galten sie auch Gallan, für den er sich die grausamsten Martern ausdachte, wenn dieser nicht bereit war, sein Geheimnis zu verraten.

      Kapitel 6

       Gallan

       Andoran

      Während Kisho seine Pläne durchdachte und mit einem teuflischen Grinsen einschlief, schleiften Gallans Bewacher ihn durch die verwinkelten und schwach erleuchteten Gänge der Befestigungsanlage. Sein Schädel dröhnte noch von Kishos heimtückischem Angriff auf seinen Geist, aber er nahm seine Umgebung deutlich war. Die Kerker lagen drei Stockwerke unter dem Westflügel der Festung und genau da schleppten ihn die Wachen hin.

      Fieberhaft suchte Gallans Hirn nach einem Ausweg oder einer Fluchtmöglichkeit. Schloßen sich die Gitter des Kerkers erst einmal hinter ihm gab es nur noch einen Weg, wie er sein Gefängnis verlassen würde. Die Aufseher des Kerkers würden ihn tot aus der Festung schleifen und ihn an die Hunde der Wurrler verfüttern. Diese Hölle verließ man nur als Toter und Gallan wusste von niemandem dem es gelungen wäre, ihr lebend zu entkommen.

      Nicht einmal den Magiern und Hexern die Kisho dort gefangen hielt, gelang es trotz ihrer magischen Fähigkeiten zu entfliehen. Die letzten Worte des Barons aber ließen ihn daran zweifeln, im Kerker vor sich hin zu modern, bis er sein Leben aushauchte. Vielmehr lag die Möglichkeit im Saal, aus dem er gerade kam, grausam zu Tode gefoltert zu werden am höchsten. Während die beiden Wachen ihn durch die Gänge schleiften, zwang sich Gallan zur Ruhe und versuchte einen Ausweg aus seiner misslichen Lage zu finden.

      Die Festung erhob sich an den steilen Felsen am Rande des Schwarzsteingebirges. Finster und unheildrohend beherrschte der aus dem schwarzen Felsen herausgehauene Bau mit seinen Erkern Türmen und Zinnen das Bild, das sich einem bot, wenn man sich der Festung näherte. Eine unüberwindliche Zwanzig Schritt dicke und fünfzig Meter hohe Mauer umgab mit zahlreichen Wachtürmen bestückt die Festung, in der es nur ein Tor gab, durch das man auf das weitläufige Areal gelangte.

      Einige Holzbauten in denen Ställe, die Unterkünfte für die Wachsoldaten und die Behausungen der Sklaven untergebracht waren, verloren sich auf dem riesigen Hof.

      Schwarz düster und Unheil verkündend so kam Kisho zu seinem Beinamen „der Schwarze Baron“.

      Niemand auf Andoran wusste genau, wann die Festung erbaut wurde. Sie schien eines Tages aus dem Nichts entstanden zu sein und wurde seither von dem Baron bewohnt, der ebenso geheimnisvoll auftauchte, wie seine Sklaven.

      Das Innere