Hubert Mergili

Das Tor nach Andoran


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die Wolle und die anderen landwirtschaftlichen Erzeugnisse bis in die Residenzstadt Gaurien. Von dort aus, so hatte sein Vater behauptet, verschiffte man sogar die Waren und verkaufte sie auf Tulan, einer Insel, die fernab vom Festland lag. Ruhig und gleichmäßig traben Lisa und Berta, die Wagenpferde auf dem ausgefahrenen Fahrweg vorwärts und nur das Knirschen der Räder drang durch die nachlassende Dämmerung. Julian, der auf dem Bock neben seinem Vater saß, beobachtete ihn von der Seite, dabei wartete er auf einen günstigen Augenblick, in dem er ihm seine Bitte vortragen konnte.

      Dieser schien Julians Blicke zu fühlen, denn er wandte Julian sein Gesicht zu und fragte ihn. »Was hast du auf dem Herzen mein Junge?«

      Die Frage seines Vaters kam überraschend für Julian. Er schüttelte verlegen den Kopf und starrte seine Zehenspitzen an, die er gegen den Wagenbock gestemmt hatte. Sein Vater ließ aber nicht locker. »Junge ich sehe es dir doch an der Nasenspitze an. »Was hast du auf dem Herzen mein Junge?« Sein Vater kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und musterte Julian aufmerksam.

      Julian gab sich innerlich einen Ruck. Wenn er jetzt die Gelegenheit nicht beim Schopf packte, blieb ihm sein großer Traum versagt. »Ich will diesen Sommer die Herde auf die Sommerweide begleiten und bei ihr bleiben, bis sie wieder abgetrieben wird,« platzte es aus Julian heraus.

      Ein verlegenes Lächeln huscht über sein Gesicht, als er beobachtete, wie es in den Augen seines Vaters zufrieden aufblitzte. »Darüber hab ich auch schon nachgedacht mein Junge,« sagte sein Vater und ließ die Peitsche über den Köpfen der Pferde knallen, ehe er weiter sprach.

      »Ich hatte denselben Gedanken, denn Will wird dieses Jahr auf der Farm gebraucht. Ich will in einigen Wochen mit einem größeren Teil der Herde nach Stelveen, wo ich einen besseren Preis für die Tiere bekomme. Hier in Elveen muss ich nehmen was mir die Händler geben, aber in Stelveen bestimme ich den Preis. Will ist ein erfahrener Helfer und mir wäre es lieber, wenn er mich begleiten würde. Mal sehen, wie du dich bis dahin auf der Sommerweide anstellst. Ich komme nachsehen, sobald ich zurück bin und wenn ich alles zu meiner Zufriedenheit vorfinde, kannst du den Sommer über bleiben. Was hältst du von dem Vorschlag Julian?«

      Julians Augen fingen an zu glänzen und er rutschte aufgeregt auf dem Bock umher. Nie im Leben hätte er gedacht, dass sein Vater zustimmen würde, obwohl er sicher noch nicht mit Mutter darüber gesprochen hatte. Sofort legte sich ein Schatten über Julians Miene.

      »Was wird Mutter dazu sagen, sicher ist sie dagegen. Vater kannst du dich noch erinnern, wie Mutter voriges Jahr sich dagegen sträubte, als ich mit Will den Sommer bei der Herde verbringen wollte.«

      Sein Vater blickte versonnen auf seine Hände, die die Zügel hielten, als er antwortet. »Ja ich erinnere mich, Sie war der Ansicht, dass du noch zu jung für die Hochweide bist. Ich werde aber trotzdem mit ihr reden, vielleicht kann ich sie überzeugen.«

      Den Rest der Fahrt nach Elveen saßen Vater und Sohn schweigend nebeneinander auf dem Bock des Wagens. Julian sah schon von Weitem die Türme der Stadt die wie spitze Finger in den Himmel ragten. Er sah die mächtige Stadtmauer mit ihren Zinnen und den Wehrtürmen, welche mit bunten Fahnen besetzt waren und anzeigten, dass heute der große Markt stattfand.

      Durch das nördliche Stadttor, vorbei an den Wachen, steuerte sein Vater den Wagen durch die engen Gassen auf die Stadtmitte zu. Hier auf dem freien Platz gleich gegenüber dem Rathaus fand wie alle Jahre der Frühjahrsmarkt statt. Schon weit vor dem Marktplatz verstopften die Karren der Händler und Bauern die Straße und sie kamen nur langsam voran. Als sie sich beim Dorfbüttel meldeten und die Standgebühr bezahlten, wies ihnen eine der Stadtwachen einen freien Platz zu. Eilig luden Julian und sein Vater den Wagen ab, errichteten ihren Stand, der aus einfachen Brettern bestand die über zwei leere Fässer gelegt waren.

      Julian fiel der hochgewachsene Mann auf, der neben ihrem Stand zwei schwere Arbeitspferde und ein schlankes Pony an den dafür vorgesehenen Eisenringen anband und seinem Vater und ihm grüßend zunickte.

      Gekleidet war der Mann in eine alte speckige Wildlederhose, die von Stiefeln die bis ans Knie reichten umschlossen waren und einem einfarbigen beigefarbenen Baumwollhemd, dessen Ärmel er hochgestrickt hatte. Sein braunes Haar wuchs dicht und lag auf den Schultern auf. Am meisten fielen Julian die wasserblauen Augen auf, die jeden auf dem Marktplatz zu beobachten schienen. Der schmallippige Mud verzog sich bei der Begrüßung zu einem Lächeln und zeigte zwei Reihen schneeweißer Zähne.

      »Wer ist der Mann,« fragte Julian seinen Vater, der gerade einen Sack Trockenfleisch vom Wagen hob. Sein Vater sah zu dem Mann hinüber und meinte.

      »Das ist Gandulf. Ihm gehört die Farm weiter östlich nahe bei den Hügeln. Mich wundert, dass er heute überhaupt hier ist, es ist das erste Mal, dass ich ihn auf dem Frühjahrsmarkt sehe. Er gilt als menschenscheu und Sonderling, aber er züchtet hervorragende Pferde.« Julian sah noch einmal hinüber zu dem Mann, dann lenkte seine Neugier ein Fallensteller ab, der sich mit Trockenfleisch und Käse eindecken wollte. Julian wollte das Geschäft seinen Vater abwickeln lassen, als dieser ihm aufmunternd zuredete. »Nun mach schon mein Junge, einmal musst du ja damit anfangen die Waren zu verkaufen, also warum nicht jetzt? Ich gehe inzwischen zum Schmied und lasse die Pferde beschlagen. Mach mir keine Schande und verlange nicht zu wenig.«

      Mit diesen Worten führte sein Vater die Pferde am Zügel vom Marktplatz, an dessen Rande die Schmiede von Roland stand.

      Julian, der nicht das erste Mal seinen Vater auf den Markt begleitete, hatte von ihm viel gelernt und kannte sich im Handeln und Feilschen aus. Nur heute musste Julian seine Nervosität besiegen, denn er verkaufte zum ersten Mal ganz alleine. Nach langem Feilschen schloss er das Geschäft mit dem Fallensteller zu seiner Zufriedenheit ab und wie er glaubte auch zu der seines Vaters.

      Mehr und mehr Käufer strömten auf den Markt. Die Luft war erfüllt von den Rufen der Händler, die ihre Waren anpriesen und von den Käufern, die lauthals um den Preis feilschten. Sein Vater war nun schon seit Stunden beim Schmied. Julian fragte sich, ob es nicht Absicht von seinem Vater war, damit er beweisen konnte, den Aufgaben gewachsen zu sein, die man ihm stellte.

      Endlich, als Julian fast den gesamten Bestand verkauft hatte, sah er seinen Vater mit den Pferden am Zügel zurückkommen. In der anderen Hand hielt er einen länglichen Gegenstand in einen Lumpen eingewickelt.

      Stolz erfüllte das Gesicht seines Vaters, als er die fast leere Ladefläche des Wagens und den prall gefüllten Beutel mit Münzen sah. Mit einer geübten Bewegung befestigte sein Vater die Zügel am Wagen. »Ich bin stolz auf dich mein Junge, das hast du gut gemacht. Hier habe ich etwas für dich mitgebracht,« sagte sein Vater geheimnisvoll und hielt Julian den eingewickelten Gegenstand hin.

      Julian strahlte über das ganze Gesicht, denn das Lob seines Vaters erfüllte ihn mit Stolz. »Danke Vater,« sagte er aufgeregt und wickelte den Gegenstand aus dem Stoff. Mit großen Augen betrachtete er das Jagdmesser, das sich darin befand. »Gehört das mir?,« fragte er ungläubig.

      Das Messer hatte eine lange blank polierte Klinge mit einem Handschutz. Er sollte das Abgleiten in die Klinge verhinderte. Der Griff war aus feinstem dunkelrotem Kirschholz gefertigt. Sein Vater nickte lachend. »Aber sicher mein Junge, du bist jetzt ein Mann und als solcher darfst du ein Messer tragen.«

      Julian strich mit den Fingern über die breite glänzende Klinge und hielt plötzlich mitten in der Bewegung an.

       Was würde Mutter dazu sagen? Sie war jeder Art von Waffen abgeneigt und das Messer mit der langen Klinge würde sie bestimmt nicht als Jagdmesser bezeichnen, sondern als Waffe.

      »Hier hab ich noch etwas für dich,« fuhr sein Vater fort und kramte in seinen Hosentaschen. Nach einiger Zeit brachte er eine silbern glänzende Münze zum Vorschein, die an einem Lederband befestigt war.

      »Das wird dein Glücksbringer sein, wenn du in diesem Sommer alleine auf die Herde aufpassen wirst. Mein Vater schenkte mir zu meinem ersten Auftrieb ein neues Paar Stiefel.« Julians Herz hüpfte fast aus seiner Brust bei diesen Worten.

      Wie oft hatte er seinen Vater in den vergangenen Jahren gebettelt, alleine auf der Weide bleiben zu dürfen. Er wurde aber jedes Mal auf ein andermal vertröstet