Andreas Parsberg

Das Spiel der Dämonen, Teil 1 (Schottland 1601)


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über den Tisch hin und her. Die Geschwister lachten. Schließlich waren die Kartoffelchips verschossen. Cedric räumte die Skip-Bo Karten frei.

      Noch während sie aufeinander feuerten, wurde Cedric bewusst, wie albern sie waren. Aber nach drei Tagen, an denen sie nur im Haus herumgesessen waren, um ihren Vater nicht zu stören, nach endlosen Runden Skip-Bo, waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt.

      Als der Lärm seinen Höhepunkt erreichte, erschien ihr Vater in der Tür.

      „Cedric! Henri!“

      Henri sprang auf, stieß mit seinem Fuß gegen den Tisch. Sein Glas Cola kippte um und ergoss sich über die Skip-Bo Karten.

      „Was geht hier vor?“, brüllte ihr Vater.

      Plötzlich erschien die Mutter von Cedric und Henri. Mit einem Blick erfasste sie die Situation und legte sanft eine Hand auf den Arm ihres Mannes.

      „Warum lässt du mich das nicht machen, Thomas? Geh du wieder in dein Zimmer und arbeite weiter an deinem Buch.“

      „Ich soll an meinem Buch arbeiten? Wie soll man bei diesem Krach arbeiten können? Würdet ihr beiden vielleicht versuchen, ein bisschen rücksichtsvoller zu sein?“

      Er drehte sich um und stürmte zornig aus dem Zimmer.

      „Tut mir leid, Mutti“, begann Cedric. „Ich weiß auch nicht, wie das gekommen ist. Es ist einfach mit uns durchgegangen.“

      „Macht erst mal sauber hier, dann sprechen wir darüber. Ich warte im Wohnzimmer auf euch“, befahl sie.

      Cedric seufzte; seine Mutter war eindeutig wütend. Na ja, das konnte man ihr nicht verdenken, aber sie war nicht nachtragend. Vielleicht würden sie keine allzu großen Schwierigkeiten bekommen.

      Er sah seinen jüngeren Bruder an. „Na los, fangen wir an und räumen auf.“

      Sie holten sich Papiertücher, einen Eimer Wasser und begannen, das Chaos zu beseitigen.

      „Ich fürchte, es ist alles meine Schuld. Es tut mir so leid. Dabei wollte ich nur, dass wir alle gemeinsam meinen Geburtstag feiern.“

      Cedric konnte es nicht mit ansehen, dass seine Großmutter sich solche Vorwürfe machte. Anderseits wusste er, dass er selbst nicht alles getan hatte, was in seinen Kräften stand, um aus der Situation das Beste zu machen. Um der Großmutter eine Freude zu machen, würde er sich mehr ins Zeug legen müssen.

      „Ach was“, sagte Anna Vogt und streichelte die Hand ihrer Mutter. „Es war absolut richtig, uns einzuladen. Thomas ist bloß schlecht gelaunt, weil er mit seinem Buch nicht vorankommt. Das Wetter macht uns alle nervös.“ Sie legte eine Pause ein. „Aber vielleicht sollten wir uns etwas überlegen, was die beiden Kinder Sinnvolles mit ihrer Zeit anfangen können.“

      „Ich bin bereits fünfzehn und kein Kind mehr“, protestierte Henri.

      „Ja, mein Schatz“, antwortete Anna Vogt. „Ich weiß, du bist bereits ein junger Mann.“

      Anna Vogt lächelte zärtlich ihren jüngsten Sohn an, dann sah sie zu Cedric. Der Junge wirkte so abwesend und melancholisch.

      Cedric blickte aus dem Fenster. Es regnete immer noch in Strömen.

      Es ist nicht fair, dachte er verdrießlich. Zumindest haben sie alle einen Grund, warum sie hier sind. Der fünfundsiebzigste Geburtstag von Großmutter sowie das Buch seines Vaters. Sie mussten einfach mit dem Regen leben und das Beste daraus machen.

      Er dachte wieder an Laura, sah ihre leuchtend grünen Augen vor sich. Sein Herzschlag beschleunigte sich.

      „Wie wär`s, wenn wir ins Kino gehen?“ schlug ihre Großmutter vor. „Im Kino läuft ein neuer Film.“

      „Den haben wir bereits gesehen“, entgegnete Henri.

      „Na? War er gut?“

      „Nein.“

      „Oh“, meinte ihre Großmutter leise.

      Jetzt fühlte sich auch Henri schuldig.

      „Nun hört mal zu, ihr Lieben“, sagte Anna Vogt. „Ich weiß, bei diesem Wetter hier eingesperrt zu sein, ist nicht sehr angenehm. Aber es ist nicht das Ende der Welt. Niemand, wenn er nur ein bisschen Phantasie hat, braucht sich zu langweilen. Es gibt alles Mögliche, was man mit seiner Zeit anfangen kann. Lesen, schreiben, zeichnen...“

      „Eine Woche lang?“, protestierte Henri.

      „Okay, eine Woche ist wirklich eine ganz schön lange Zeit. Aber wir müssen das Beste aus der Situation machen. Euer Vater hat lange darauf gewartet, dieses Buch zu schreiben. Er war immer für uns da, jetzt sollten wir uns revanchieren und ihn in Ruhe lassen.“

      Cedric fühlte sich noch mieser als vorher. „Du hast Recht, Mutti“, gab er zu. „Von heute an werden wir uns benehmen. Wir wollten keinen Aufstand machen. Wirklich nicht. Es ist einfach so über uns gekommen.“

      Die Züge seiner Mutter entspannten sich. „Ich weiß ja, wie sehr ihr euch langweilt. Irgendwie komisch. Eure Großmutter verbringt hier auch glücklich ihre Tage.“

      „Was machst du denn immer so, Omi?“, wollte Cedric wissen.

      Seine Großmutter schien überrascht. „Oh, alles Mögliche“, sagte sie. „Mal überlegen. Ich gehe oft ins Kino, so einmal pro Woche. Ich höre gerne Radio und rede viel mit meinen Freunden. Wir treffen uns und spielen Gesellschaftsspiele oder machen eine Séance. Wir gebrauchen halt unseren Kopf und langweilen uns nicht.“

      „Was ist eine Séance?“, fragte Henri.

      „Ein paar Leute sitzen um einen Tisch herum und bitten Geister, Kontakt mit ihnen aufzunehmen“, erklärte Cedric. Über dieses Thema hatte er vor Kurzem in der Schule mit seinen Freunden gesprochen.

      Henri sah seine Großmutter mit neuem Respekt an.

      „Das hast du gemacht?“, rief er.

      Seine Großmutter lachte. „Nun, jedenfalls haben wir es versucht. Es war früher der letzte Schrei hier in der Gegend. Mittlerweile ist es etwas in Vergessenheit geraten.“

      „Können wir das auch machen?“, fragte Henri mit leuchtenden Augen. „Das klingt spannend.“

      „Ja, können wir, wenn es eure Mutter erlaubt.“

      „Ich habe nichts dagegen. Nur zu. Bereite alles vor, Mutter“, antwortete Anna Vogt.

      „Ich bin sicher, es wird euch Spaß machen“, sagte die Großmutter strahlend. „Cedric, du lässt die Jalousien herunter. Henri, hilf mir, den kleinen runden Tisch in die Mitte des Zimmers zu schieben. Und du, Anna, gehst in die Küche und holst uns von dort ein paar Stühle, damit wir uns an den kleinen Tisch setzen können.“

      Cedric musste lächeln. Seine Großmutter benahm sich so aufgeregt wie ein Kind. Sie eilte geschäftig hin und her, brachte hier etwas in Ordnung und stellte dort etwas um, als müsse alles perfekt sein für die spirituelle Sitzung, die stattfinden sollte. Als würden die Gespenster oder Geister, oder was immer sie herbeirufen wollten, nicht mitmachen, wenn im Zimmer nicht alles seine Ordnung hätte!

      „So.“ Die Großmutter trat einen Schritt zurück und sah sich zufrieden im Zimmer um. „Das sieht gut aus. Also, setzen wir uns an den Tisch. Wer möchte es zuerst versuchen? Du, Cedric?“

      Cedric zuckte die Achseln. „Von mir aus.“

      „Gut. Henri, mach das Licht aus.“

      Henri lief zum Schalter und schaltete das Licht aus. Im Zimmer war es überraschend dunkel. Cedric, Henri und deren Mutter nahmen ihre Plätze um den Tisch herum ein, während die Großmutter eine Kerze holte.

      „Na ja, wenigstens kein Skip-Bo mehr“, sagte Henri. „Ich hatte es schon satt, ständig gegen Cedric zu verlieren, obwohl seine Gedanken bei dem hübschen Mädchen aus seiner Schule waren.“

      „Psst, sei still, du Verräter!“