Andreas Parsberg

Das Spiel der Dämonen, Teil 1 (Schottland 1601)


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Ausrufezeichen. In der zweiten Zeile standen in deutlichen Buchstaben folgende Worte:

      Ihr ruft mich zum zweiten Mal!

      Während Henri noch auf das Blatt schaute, schrieb Cedric weiter.

      Beim dritten Mal werden wir spielen!

      Hinter Henri schlug erneut die Schranktür auf und zu. Plötzlich schoss die Flamme der Kerze empor. Sie loderte mehrmals hoch, beinahe wie eine Fackel. Die lachende Stimme des Mannes veränderte sich. Aus einem fiesen Lachen wurde ein zorniges, fast wütendes Gelächter.

      Plötzlich durchdrang ein lauter Wutschrei das Zimmer.

      Henri sprang vom Tisch auf und unterbrach dadurch den Kontakt zu seinem Bruder. Im gleichen Augenblick krachte die Schranktür so heftig zu, dass die Pullover aus dem Schrankfach fielen. Die Kerze flog durch den Raum und schlug gegen die Wand neben dem Bett. Wachs spritzte in alle Richtungen.

      Dann zerbrach der Kugelschreiber in Cedrics Hand. Er zerbarst in einen Hagel von Splittern, als habe es in seinem Innern eine Explosion gegeben.

      Cedric schlug die Augen auf. Er starrte seinen Bruder an, als sei er am Rande eines Zusammenbruchs.

      „Was in Gottes Namen ist hier los?“ stieß er heiser hervor.

      „Es war... ich habe...“, stotterte Henri. Seine Stimme verstummte und seine Augen weiteten sich.

      Cedric drehte sich um und folgte dem Blick seines Bruders.

      Er fuhr vor Schreck und Angst zusammen.

      Ein Mann war durch die Tür in sein Zimmer getreten.

      Nicht durch die geöffnete Tür. Durch die geschlossene Tür! Der Mann glitt durch das solide Holz, als sei es Luft.

      Cedric spürte, wie ihm ein kalter Schauer den Rücken hinunterlief. Der Mann schien aus Licht zu bestehen, aus einem sanften blauen Schein, durch den er hindurchsehen konnte.

      Er trug eine dunkelbraune Kutte, mit einer Kordel um den Bauch gestrafft. Die Kapuze war halb über den Kopf gezogen. Cedric konnte ein markantes Gesicht mit hohen Wangenknochen und tief liegenden Augen erkennen. Die Haut schimmerte fast weiß und durchsichtig.

      Der Geist sah grässlich aus. Jetzt schlug er die Augen auf und blickte direkt Cedric an. Anstelle normaler Augäpfel waren zwei taubeneigroße, gelbe Steine zu sehen. Jedenfalls wirkte es so. Die gebrochenen Augen des Untoten fixierten ihn. Dumpfe Laute drangen aus seiner Brust, als er den Mund öffnete. Sein fauliger Atem, der von der Kälte des Todes durchdrungen war, erzeugte ein Würgegefühl in Cedric.

      Das unheimliche Wesen schwebte an Cedric vorbei und setzte sich auf den Tisch.

      Henri starrte die Erscheinung mit aufgerissenen Augen an. Sein Atem beschleunigte sich, er holte stoßweise Luft. Sein Brustkorb hob und senkte sich in immer schnellerer Geschwindigkeit.

      Dann öffnete er den Mund und wollte einen panischen Schrei ausstoßen. Die ersten Buchstaben verließen seinen Rachen: „Hilfe, Cedric...“

      Mehr brachte er nicht heraus!

      Der Geist hob seinen linken Arm, ohne Cedric aus den Augen zu verlieren. Anstatt Worten floss eine gelbliche Flüssigkeit aus dem Mund von Henri. Aus seiner Nase lief Blut und tropfte auf den Boden. Dann verdrehte er seine Augen und kippte nach vorne auf den Tisch. Sein Kopf schlug hart auf die Tischplatte, als er in tiefe Bewusstlosigkeit glitt.

      Cedric wollte seinen Mund zu einem Schrei öffnen, wurde aber durch eine weitere Handbewegung des Geistes daran gehindert. Er musste dem unheimlichen Wesen direkt in seine stechenden gelben Augen schauen.

      Es war für Cedric unmöglich, seinen Blick abzuwenden.

      Sein Herz raste. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn, seine Hände zitterten.

      Die Gesichtszüge des Untoten veränderten sich. Ein fieses, gemeines Grinsen bildete sich auf seinen Lippen. Dann reckte er seine Hand in die Luft und spreizte die Finger.

      Es sah aus, als würde er mit dem Zeige- und Mittelfinger ein V bilden. Aber es konnte auch „Zwei“ bedeuten.

      Cedric war es egal. Er hatte Angst und wollte nur, dass dieses Wesen verschwand. Außerdem machte er sich Sorgen um seinen Bruder. Er lag immer noch regungslos auf dem Tisch.

      Nur Sekunden später, die Cedric aber wie Stunden vorkamen, stand der Geist auf. Er drehte sich um und schritt direkt durch die Hauswand ins Freie.

      Cedric hörte noch länger das Lachen des Untoten.

      Wenige Augenblicke später konnte er sich wieder bewegen. Er sprang auf und wollte zu seinem Bruder. Seine Beine reagierten jedoch nicht, wie er wollte. Aus Angst hatte er seine Muskeln so stark verkrampft, dass diese nicht ausreichend durchblutet wurden. Nach dem ersten Schritt knickte er in die Knie und krachte auf den Boden.

      Es brauchte einige Momente, bis er sich bewegen konnte.

      Cedric gähnte und reckte sich.

      Henri lag dicht an die Wand gepresst in seinem Bett. Besorgt hatte er sich in der Nacht um seinen Bruder gekümmert. Er war nur wenige Minuten bewusstlos gewesen, konnte sich auch nur an Teile der nächtlichen Ereignisse erinnern. Aber diese Erinnerungen waren ausreichend genug, um zu beschließen, dass es unmöglich war, alleine in seinem Zimmer zu schlafen. Cedric hatte dies verstanden und ihm gestattet, bei ihm im Zimmer zu bleiben.

      Müde rieb er sich die Augen und fragte sich, wann er wohl eingeschlafen war. Er hatte das Gefühl, als wäre er fast die ganze Nacht wach geblieben. Nebeneinander im Bett sitzend, hatten sie versucht, die seltsame Erscheinung zu enträtseln.

      Cedric runzelte die Stirn. Ob er seine Eltern hätte aufwecken sollen?

      Wäre er allein gewesen, hätte er es getan. Der Zornausbruch seines Vaters hätte sicher Tote zum Leben erweckt, soweit die Geister nicht schon aufgewacht waren und umherwanderten.

      Es war seltsam, wie sehr es half, wenn man jemanden bei sich hatte. Sogar jemanden, der viel jünger war, wie sein Bruder Henri.

      Aber was sollten sie jetzt tun? Ihren Eltern alles erzählen? Cedric bezweifelte, dass sein Vater ihn ernst nehmen würde. Er war als Lehrer am Gymnasium viel zu praktisch veranlagt, um an so etwas zu glauben. Er würde dies alles für Ammenmärchen halten. Cedric lächelte. Er konnte ihn beinahe hören, wie er das Wort aussprach.

      Seine Mutter würde ihm vielleicht glauben. Aber was sollte sie schon unternehmen? Man konnte nicht einfach in einen Supermarkt gehen und eine Dose Geistervernichtungsmittel kaufen. Das Einzige, was seine Mutter tun konnte, war, seinen Vater dazu zu überreden, nach Hause zurückzufahren. Aber das würde er bestimmt nicht aufgrund einer Geistergeschichte tun. Außerdem wäre seine Großmutter traurig, wenn sie vor ihrem Geburtstag abreisen würden.

      Cedric krabbelte aus dem Bett. Plötzlich wurde ihm bewusst, warum ihm dieser Morgen so ungewöhnlich vorkam.

      Die Sonne schien. Kaum zu glauben.

      Nach drei Tagen hatte er sich schon daran gewöhnt, nach dem Aufwachen als Erstes den Regen zu hören, wie er auf das Dach trommelte.

      Aber an diesem Morgen sangen tatsächlich ein paar Vögel. Alles schien plötzlich viel erträglicher zu sein. Sogar das, was sich letzte Nacht ereignet hatte.

      Cedric holte sich frische Kleidung aus dem Schrank und lief den Korridor hinunter ins Badezimmer, um zu duschen. Heute könnte er einen Ausflug in den nahe gelegenen Bayerischen Wald unternehmen. Unter der Dusche wanderten seine Gedanken wieder zu Laura.

      Was sie wohl gerade machen würde?

      Er spürte wieder das Kribbeln in seinem Bauch, das seinen Herzschlag beschleunigte. Die Gedanken an Laura verdrängten die Erinnerungen an den grässlichen Geist.

      Henri saß aufrecht im Bett, als Cedric nach dem Duschen zurückkam. Er hatte sich bereits im Badezimmer komplett angezogen.

      „Da bist du ja“, sagte Henri und seufzte erleichtert auf. „Ich hab mir schon Sorgen gemacht.“

      „Warum