Christoph Hoenings

Djihad


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Sam´s. Alleine wäre sie nie dorthin gegangen, aber ihre Freundin Simone hatte irgendwann gesagt:

      „Du musst einfach mal mitkommen!“

      Simone Martins war im Sam´s bekannt. Simones Eltern gehörten zur Gesellschaft Düsseldorfs, und da Simone über ein großzügiges Budget verfügte, konnte sie es sich leisten, Sabine einzuladen. Wie Sabine festgestellt hatte, war es letztlich nicht Simone, die für den Champagner bezahlte, sondern es waren die männlichen Bekannten, die sich zu ihnen setzten und mit denen sie tanzten.

      Sabine Sadler war nicht ohne sexuelle Erfahrung.

      Selbstverständlich hatte sie mit einigen Jungen aus ihrer Schule geschlafen, mit ein paar Kommilitonen in Bonn, und natürlich mit ihrem Verlobten. Aber sie hatte sich gehütet, mit den Männern, die sie im Sam´s kennen gelernt hatte, etwas anzufangen.

      An dem neben ihr sitzenden glatzköpfigen Typ und seinem langhaarigen Freund vorbei sehend erkannte sie, dass Simone ihr mit einem blitzschnellen Blick klarzumachen versuchte, sie solle Simone zur Toilette folgen.

      Als sie aufstanden, erhoben sich auch die beiden Männer.

      Erst in der Damentoilette, wo der Lärm nicht so groß war wie draußen, konnten sie miteinander sprechen.

      „Das ist Holger Brockert!“ rief Simone ganz begeistert.

      Sabine guckte verständnislos.

      „Brockert! Einer der wichtigsten Männer in der Werbebranche! Wenn wir Glück haben und dem gefallen, bringt er uns in einem seiner Werbespots unter! Das ist die Chance!“

      „Und der andere?“ fragte Sabine. „Otto?“

      Bevor Simone etwas sagen konnte, lachte eine junge Frau ein, die neben Sabine Sadler vor dem Spiegel stand und ihren Lidstrich nachzog, plötzlich laut los.

      „Otto?“ rief sie prustend. „Nennt der sich plötzlich Otto? Das ist Rupert Graf!“

      Sabine guckte wiederum völlig verständnislos.

      „Kind, liest du keine Zeitungen? Manager eines großen Unternehmens in Oberhausen. Hat irgendwas mit Rüstung zu tun, mit Waffen! Geschieden und seit Jahren wieder eingefleischter Junggeselle. Wenn du dir den angelst, hast du ausgesorgt. Er ist allerdings ein entsetzlich arroganter Stiesel!“

      Von der anderen Seite meldete sich Simone zu Wort:

      „Ich dachte, du hättest ihn erkannt und dich deshalb so schnell neben ihn gesetzt. Eine Freundin von mir war mal kurze Zeit mit ihm zusammen. Graf hat sie dreimal nach New York mitgenommen! Dreimal in nicht mal zwei Monaten! Sie schwärmt heute noch davon. Nur nicht, wie er sie fallen gelassen hat!“ Sabine konnte im Spiegel sehen, wie Simone versonnen grinste.

      „Was ist passiert?“

      „Er hat ihr gesagt, sie sei ihm zu dumm. Zitat: `Du bist wunderschön, du bist aufregend, aber du bist so entsetzlich dumm, dass ich dich nicht länger ertragen kann.` Sie hat geheult wie ein Schlosshund als sie es mir erzählt hat. Aber ich gehe jede Wette ein, sie würde sofort, wenn er nur mit den Fingern schnippte, wieder zu ihm in die Kiste hüpfen!“

      „Das sieht Graf ähnlich!“ sagte die Frau auf Sabines anderer Seite. „Ich sage doch, ein arroganter Stiesel!“

      Als Sabine und Simone zurück zu ihren Plätzen kamen, waren zwei andere junge Frauen bedenklich nahe an Graf und Brockert herangerutscht. Wie auf Kommando standen Graf und Brockert, die sich miteinander unterhalten hatten, auf, und warteten, bis Sabine und Simone Platz genommen hatten.

      Ohne dass Gelegenheit zu neuerlicher Beratung oder zu Absprachen gewesen wäre, zahlte Graf nach einer Dreiviertelstunde die beiden Flaschen Champagner, die sie verputzt hatten, und alle vier stiegen in den Jaguar, den Holger Brockert wenige Meter vom Eingang der Diskothek geparkt hatte.

      Nach knapp fünf Minuten Fahrt, während der Graf stumm neben Sabine auf der Rückbank gesessen hatte, stellte Brockert den Wagen vor einem mehrstöckigen Gebäude in einer stillen Seitenstraße im Zooviertel ab. Wie Sabine sehen konnte, war es Graf, der die Haustür aufschloss und ebenfalls einen Schlüssel im Aufzug betätigte, der sie direkt in die im obersten Stockwerk gelegene Wohnung brachte.

      Plötzlich standen sie in einem großen Wohnraum mit riesiger Fensterfront zu einem mit hohen Bäumen bewachsenen Garten, die in der Dunkelheit durch Scheinwerfer von unten erhellt wurden.

      Während Sabine Sadler noch die Aussicht bewunderte und während Rupert Graf vier weitere Gläser mit Champagner füllte, flüsterten Simone und Brockert miteinander, mit dem Erfolg, dass sie ihre vollen Gläser nahmen und in einem angrenzenden Zimmer verschwanden.

      Plötzlich war Sabine Sadler mit Graf allein, der sich ihr gegenüber hingesetzt hatte und sie ernst ansah.

      „Du bist wunderschön!“ sagte er. „Vorhin habe ich dich nur von der Seite sehen können. Es ist selten, dass man jemanden von so ästhetischer Schönheit sieht, mit einer Schönheit, bei der alles zu stimmen scheint: Die Größe der Nase, deine Augen, dein Mund. Leider kann ich unter deinen Haaren deine Ohren nicht sehen, aber ich bin sicher, auch die sind schön. Es ist einfach harmonisch. Du bist zu schade für einen alten Mann wie mich.“

      Sabine Sadler entspannte sich etwas, blieb aber auf der Hut. Grafs Aussagen verwirrten sie. So etwas hatte noch nie jemand zu ihr gesagt. Sie selbst fand sich nicht schön. Na ja, gutaussehend schon, aber nicht schön.

      „Wieso alter Mann?“ fragte sie. „Dein Freund ist doch auch nicht jünger als du.“

      „Holger? Ein junger Dachs!“

      „Wieviel jünger soll er denn sein?“

      „Zwei Wochen! Stell dir das vor! Zwei lange Wochen!“

      Sabine musste lachen.

      „Spielst du Schach?“ fragte Graf.

      Natürlich spielte sie Schach. Mit ihrem Vater hatte sie endlose Partien gespielt, außerdem war sie Mitglied im Schachklub ihres Heimatortes.

      „Lass uns eine Partie spielen!“ sagte Graf. „Wenn du gewinnst, schenke ich dir eine Stunde, in der du dir wünschen kannst, was du willst.“

      „Was heißt das?“ fragte Sabine, unsicher, aber neugierig.

      „Du kannst sagen, du willst noch mal ausgehen. Ich gehe mit dir. Du kannst sagen, du willst noch etwas essen, ich koche dir etwas oder wir gehen aus. Du kannst sagen, du willst, dass ich deine Fußknöchel massiere, ich werde dies tun. Du kannst verlangen, dass ich deinen Rücken streichele, das täte ich besonders gerne.“

      Sabine Sadler fand das zwar absurd, aber doch spannend.

      „Und wenn du gewinnst?“

      „Fünf Minuten!“ antwortete Graf. „Fünf Minuten, und ich werde nichts anderes tun, als dein rechtes Bein zu streicheln.“ Er grinste sie an. „Es ist eine Idee schöner als das linke. Ich würde dich lediglich bitten, deine Strumpfhosen auszuziehen. Ich mag dieses Nylonzeug nicht.“

      Was für eine abstruse Situation!

      „Einverstanden!“ sagte sie.

      Graf stand auf, offenbar, um sein Schachbrett zu holen.

      „Ich spiele blind,“ sagte Sabine. „Ich brauche kein Brett.“

      Graf sah überrascht zu ihr herüber. Das hatte er ganz offensichtlich nicht erwartet! Sabine freute sich, ihn verblüfft zu haben.

      „Gut,“ sagte er. „Ich auch nicht. Wer fängt an?“

      „Du!“

      „E2 - E4.“ Er schien auf einmal todernst.

      „E7 - E5.“

      Nach wenigen Augenblicken merkte Sabine, dass Graf versuchte, die `Unsterbliche` nachzuspielen, die berühmte Partie zwischen Anderssen und Kieseretzki aus dem Jahre 1851. So ein Gauner!

      Sabine Sadler wehrte sich.

      Sie