Jutta Berg

Online am Abgrund


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würde, wäre, wenn Du und Deine Schwester Euren eigenen Weg geht, Verantwortung für Euer Leben übernehmt und Euch abnabelt. Es tut mir Leid, dass ich Dich so in Turbulenzen gestürzt habe. Eigentlich war meine Absicht, Dir eine Alternative vor Augen zu malen.

      Ich bin schon mehrfach in der 'Pesso-Therapie' gewesen. Da geht es immer darum, was hätte Dein 'idealer' Vater, Deine 'ideale' Mutter gesagt, getan? Was hätten sie gebraucht, um 'ideal' sein zu können? Das habe ich in Workshops erlebt und es bewirkt eine Veränderung!!! Letztlich ist Gott so ein 'idealer' Vater für mich. Daraus ziehe ich Kraft. Ich weiß nicht, wie weit weg oder wie nah das für Dich ist. Irgendwann müssen wir den Wunsch aufgeben, dass unsere Eltern anders sein sollen als sie sind. Dann übernehmen wir die Regie und die muss nicht im Abseits enden. Für Dich und Deine Schwester wäre wirklich dran, einen Ort zu suchen, an dem Ihr mehr Freiheit habt. Ich habe am Bett einer jungen Frau gesessen, die wieder aufgewacht ist nach einem Selbstmordversuch und die heute heilfroh ist, dass es damals nicht geklappt hat. Jule, fang an zu leben!

      Deine Jutta

      Am 14.01.2011 um 18:47

      schrieb: Jule22

      Betreff: Re: Re: Re: MitGefühl

      Hallo Jutta, ich habe mir nun schon ein paar Mal deine letzte Mail durchgelesen und weiß noch nicht so richtig, was ich schreiben kann. Eigentlich möchte ich gern diesen Mailkontakt beenden. Ich glaube ich bin grad etwas weit weg, von Gott als idealem Vater, wie du geschrieben hast. Obwohl ich mir vor Jahren geschworen habe (als es mir das erste Mal so schlecht ging) Gott nicht noch mal aus den Augen zu verlieren. Aber es ist wieder passiert. Ich kann einfach nicht mehr klar denken.

      Heute hatte ich wieder ein paar Stunden, wo ich am liebsten alles hingeschmissen hätte. Aber ich hab’s wieder allein geschafft, mich aufzuraffen und doch noch zum Einkaufen zu fahren. Jetzt denke ich nur an Morgen - es wird ein schrecklicher Frühdienst. Vielleicht wäre es besser auf der Autobahn, auf dem Weg zur Arbeit, einfach mal die rechte Spur noch weiter rechts auszufahren... Ich werde niemanden gefährden, da pass ich schon auf. Das hatte ich mir schon öfter vorgenommen, nur dieses besch.... Pflichtgefühl auf Arbeit zu erscheinen und nicht unentschuldigt zu fehlen, hält mich davon ab. Wie bekommt man dieses Pflichtgefühl nur los? Egal, alles geht vorbei - irgendwann.

      Tschüß Jule

      Am 14.01.2011 um 19:02

      schrieb: Jutta

      Betreff: Re: Re: Re: Re: MitGefühl

      Liebe Jule, es tut mir Leid, falls ich Dir zu nahe getreten bin. Ich weiß nur, dass Du auf andere Gedanken kommen musst, vielleicht ist da Ärger auf mich ganz gut. Was hindert Dich daran, gemeinsam mit Deiner Schwester oder auch allein, zurück in den Süden zu gehen? Dort ging es Dir besser - und Pflegekräfte werden überall gesucht. Du hast die Wahl! Wenn Du Dein Leben wegwirfst, ist es vorbei. Dann kann nichts mehr besser werden.

      Ich begreife Deine Verfassung als vorübergehenden Zustand.

      Ich habe schon öfter Kontakt mit jungen Menschen gehabt, die psychisch erkrankt sind, viele mit Psychiatrieerfahrung wegen Suizid und Depressionen, Zwängen und so. Es ist Wahnsinn, wie sie sich unter anderen Bedingungen (in einer stationären, sehr persönlichen Therapie) entwickeln, total lebensfroh! Ich weiß, dass Du Therapie ablehnst, ich denke jedoch, dass Du dringend Hilfe brauchst. Eine Pause in Deinem Leben, um Dich zu finden, um heil zu werden. Es würde mich freuen, wenn unser Kontakt nicht abreißt. Ich wünsche Dir morgen im Frühdienst einen Lichtblick, eine schöne Überraschung und ein gutes Gefühl!

      Deine Jutta

      4. Kapitel: Erster Schritt zur Therapie

      Am 17.01.2011 um 10:40

      schrieb: Jule22

      Betreff: es ist schwer

      Hallo Jutta, ich konnte die letzten Tage einfach nicht zur Ruhe kommen. Im Forum habe ich mit meiner Chatfreundin lange geschrieben. Ich hatte ihr versprochen, noch heute zu meiner Hausärztin zu gehen und Hilfe zu erbitten. Nun bin ich zurück und wollte dich auf den neusten Stand bringen. Meine Hausärztin hat das ganz gut aufgenommen (fiel mir aber schwer mit ihr darüber zu reden), nun sucht sie einen passenden Therapeuten für mich. Erst wollte sie, dass ich mich in einer psychologischen Ambulanz vorstelle oder einen Psychiater aufsuche. Ich finde aber das etwas zu abschreckend für mich. Ich könnte nie in eine Ambulanz, einer Psychiatrie fahren - das ist doch nur was für jemanden, der stationäre Hilfe braucht. Oder ich kann mich einfach nicht damit anfreunden, einen Fuß in dieses Haus zu setzen - so schlecht geht’s mir ja auch wieder nicht.

      Auf eine Krankschrift für Heute habe ich verzichtet - ich brauche die Arbeit einfach, außerdem habe ich einem Kollegen versprochen am Mittwoch seinen Dienst zu übernehmen. Ich werde dort gebraucht - irgendwie ist das ja auch ein schöner Gedanke. Mit einigen Kollegen kann ich ja auch ganz gut - wäre da nur nicht der Zeitdruck und mein schlechtes Gewissen, nicht genug zu tun. Wenn ich dann aber einen Gesprächstermin bekommen habe, schreibt mich meine Ärztin für diesen Tag krank. Naja, jetzt kann ich wohl nur nach vorn sehen, zurück geht’s nicht. Aber was vor mir liegt macht mir auch Angst. Ich hoffe, dass ich im nächsten Monat, wieder mit klaren Gedanken meine Arbeit machen kann. Ich habe mir mal verschiedene Kliniken, im Internet angesehen - Gruppengespräche stell ich mir echt schwer vor. Ich könnte nicht mit 15 Leuten meine Gefühle bearbeiten - bin da eher Einzelkämpfer.

      Danke noch einmal, dass ich meine Wut hier rauslassen konnte. ;) hat mir sicher auch geholfen, diesen Schritt nun zu gehen.

      Gruß Jule

      Am 17.01.2011 um 20:38

      schrieb: Jutta

      Betreff: Re: es ist schwer

      Liebe Jule, ich bin froh, dass Du jetzt Unterstützung findest. Es ist ja kein Makel, sich helfen zu lassen. Wir alle brauchen das, mal mehr, mal weniger. Hoffentlich stimmt die Chemie mit dem Therapeuten, wenn nicht, such weiter, bis Du findest. Es tut so gut, mal irgendwo die Hauptperson der Fürsorge zu sein, daß die eigenen Bedürfnisse, Verletzungen, Schmerzen und Ängste gesehen werden dürfen. Das Haus in Lindau habe ich Dir auch nur genannt, weil dort Menschen wirklich die Kurve kriegen, die keinen Bock mehr aufs Leben hatten, teilweise voller Narben, aber sie leben wieder. Und das wirst Du auf Deine Weise auch finden. Möge Gott Dir Geduld geben und die Demut, Hilfe anzunehmen! Liebe Grüße Jutta

      Am 18.01.2011 um 11:49

      schrieb: Jule22

      Betreff: Re: Re: es ist schwer

      Hallo Jutta, du schriebst "Es tut so gut, mal irgendwo die Hauptperson der Fürsorge zu sein, daß die eigenen Bedürfnisse, Verletzungen, Schmerzen und Ängste gesehen werden dürfen." Ich will eigentlich keine Fürsorge, wenn es gut tun sollte, warum fällt es mir dann so schwer überhaupt erstmal Hilfe zu suchen? Ich will ja auch keine Therapie machen um meine Schmerzen zu erwähnen, sondern mehr, damit mir jemand hilft, diesen Sommer noch zu erleben und ich weiß, wie ich mit den Narben umgehen kann, ohne jemanden zu erschrecken. Das sind meine größten Sorgen - wie gehe ich auf Arbeit damit um und wie kann ich offen mit meiner Familie reden? Ich bin mir noch nicht so sicher, ob ich mit einem Therapeuten über all das reden könnte, warum ich mir das eigentlich antue. Habe schon gedacht, vielleicht drucke ich einfach die erste Mail an das Forum aus - da steht eigentlich fast alles drin, was mich am meisten beschäftigt. Ich weiß nicht, ob ich so sichere Worte finde meine Situation zu beschreiben, wenn mir jemand gegenüber sitzt. Da schaltet mein Hirn einfach ab. Schreiben geht mir so leicht von der Hand, warum kann ich dann nicht flüssig reden?

      Bitte hör auf mir von Gott zu schreiben. Nicht so, dass ich nicht mehr an ihn glauben möchte, aber vielleicht habe ich mir wirklich ein falsches Bild von ihm gemacht. Letzten Sonntag, in der Predigt, hat unser Pfarrer wieder klar gemacht, dass sich Gott für uns erniedrigt hat. Klein in der Krippe geboren. Er hat sich dann für uns hingegeben am Kreuz - wir sollen ebenso handeln, uns kaputt machen für die Anderen (das hat er so wörtlich gesagt!). Da weiß ich manchmal wirklich nicht mehr, warum ich dieses, mein Kreuz des Lebens,