Corinna Bürger

Diese Sehnsucht nach Leichtheit


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auseinander strömten und einen Kreis für das Tanzlehrerpaar formten. „Ganz ok. Ist jetzt auch nichts weltbewegendes. Ich wollte halt alles mal ausprobieren. Und du?“ „Ich fand's eigentlich ganz nett.“ Ein ätherisch anmutendes Lied setzte ein. Die Menge verstummte und betrachtete das Tanzlehrerpaar, das unbewegt in der Mitte des Kreises stand. Nach einigen Takten hob die schlanke Frau mit den langen, glänzenden Haaren langsam die Arme und ließ sie sanft wieder nach unten gleiten. Der kleine Mann mit der auffälligen Nase bewegte seinen Oberkörper in einer schlangenähnlichen Bewegung zur Seite. Nun ließ die Frau spielerisch ihre Hüfte nach oben und unten kippen und führte elegant ihre Hände an ihren Hals. Mit dem Einsetzen des Rhythmus griff der Mann die Frau und zog sie in einen langen Schritt auf sich zu. Mit ausgreifenden Bewegungen schritten sie über die Tanzfläche, vollführten wirbelnde Drehungen, hielten inne und ließen ihre Körper langsam aneinander entlangrollen, nur um dann wieder in die nächste berauschende Drehung überzugehen. Wieder verlangsamten sie ihr Tempo und legten zärtlich ihre Schläfen aneinander. In dieser Position drehten sie sich um ihre gemeinsame Achse. Langsam, sehr langsam, lehnte die Frau ihren Oberkörper nach hinten, bis ihr Gesicht der Decke zugewandt war und ihre langen Haare gerade nach hinten wegflogen. Noch weiter drehten sie sich in dieser Position. Immer tiefer sank die Frau, bis der Mann sie an den Hüften festhalten musste, so weit war sie nach hinten gelehnt. Behutsam zog er sie wieder etwas höher. Ihr Kopf beschrieb nun einen großen, ausladenden Kreis, während sie sich weiter um ihre Achse drehten. Mit einem Schlag stoppte sie den Kreis, ließ ihre Haare wie eine Peitsche nach hinten wegfliegen, und das Paar ging wieder in die großen weitschweifenden Bewegungen quer über die Tanzfläche über. Voller Energie wirbelte der Mann die Frau zweimal herum und fing sie schließlich in einer gekonnten Abschlusspose auf.

      Larissa stand mit offenem Mund da. Das war so viel mehr als das „Boom-Tschick-Tschick“ von vorhin. Ergriffen stimmte sie in den Applaus und die Pfiffe mit ein. „Wahnsinn! Das ist einfach unglaublich.“ Max nickte zustimmend. „Ja, ganz nett.“ Sie musterte ihn kurz. „Ganz nett.“ äffte sie nach. „Das war einfach der Hammer!“

      TSCHICK

      „Bist du fertig?“ „Ja, gleich!“ Larissa steckte sich die weißen Perlenohrringe an, warf einen kurzen prüfenden Blick in den Spiegel und zog ihre Bluse straff. Dann warf sie Max ihr strahlendstes Lächeln zu. „So, los geht’s!“ Warme Frühlingsluft hatte sich ausgebreitet, und die Bäume am Straßenrand leuchteten in zartem Grün. Larissa öffnete das Autofenster einen Spalt, um die frische Luft einzusaugen. Sie betrachtete Max von der Seite, wie er ruhig das Auto steuerte. Er strahlte eine solche Sicherheit und Zuverlässigkeit aus, bei allem was er tat. Sie ließ ihren Blick über sein Profil gleiten, die klaren Konturen, die sich vor dem Hintergrund des Frühlingsleuchtens so abhoben, seine stoppelige Haut an Kinn und Wangen, der Duft seines Aftershaves, bei dem sie sich so geborgen fühlte. Max hatte ihren Blick offenbar bemerkt, lächelte ihr zu und legte zärtlich seine Hand auf ihr Bein. Sanft legte Larissa ihre Hand auf seine und genoß den Ausblick auf die erblühende Landschaft.

      An der Auffahrt vor dem Krankenhauseingang ließ Max Larissa aussteigen, parkte das Auto und kam dann zu ihr zurück. Den Weg zum Zimmer kannten sie inzwischen nur allzugut. „Ja, ist das aber schön, euch zu sehen!“ strahlte Max' Oma, als die beiden in das Zimmer eintraten. Ihre geschwollenen, bläulich wirkenden Beine lagen wie Fremdkörper vor ihr auf dem Bett, und ein dünner Schlauch steckte in ihrem Handrücken. Trotzdem strahlte sie über das ganze Gesicht. „Na, aber selbstverständlich, heute ist doch wieder Sonntag, Oma!“ „Na, bei dem schönen Wetter hätte ich gedacht, dass ihr besseres zu tun habt, als eine alte debile Frau zu besuchen.“ „Ach Quatsch, du bist doch nicht debil, und wir sehen dich doch gerne!“ lachte Larissa. Max' Oma warf ihr einen liebevollen Blick zu. Larissa nahm die Blumenvase, füllte sie mit frischem Wasser und stellte den mitgebrachten Strauß gelber Osterglocken hinein. „So, ein kleiner Frühlingsgruß. So schaut's gerade draußen aus.“ Max' Oma wandte den Blick ihrem Enkel zu. „Sie ist ein Schatz, weißt du das? Pass gut auf sie auf, nicht dass sie dir eines Tages wegläuft. So ein Goldstück findest du nicht wieder.“ Max tätschelte lächelnd ihre Hand. „Ich weiß, Oma, ich weiß.“ und zwinkerte Larissa verschwörerisch zu.

      BOOM

      Zarte Klänge durchzogen den Raum. Fast zögerlich begann die Musik, und Larissa konnte es kaum erwarten, bis endlich der Takt einsetzte. Sie fühlte sich unwohl, so eng am Körper ihres Tanzpartners, der verkrampft versuchte, sich sinnlich zu bewegen. Endlich setzte der Rhythmus ein, und sie gingen in den „Boom-Tschick-Tschick“-Schritt über, den sie bereits seit einer halben Stunde übten, und in dem Larissa trotz allem nicht die Sinnlichkeit und Eleganz erkennen konnte, die sie während der Demo in dem Schnupperworkshop so fasziniert hatte. Die Hand ihres Tanzpartners lag wie eine Kralle um ihren Rücken herum, seine andere Hand knickte die ihre unangenehm ab. Mit seinem krummen Rücken schien er beinahe auf sie zu fallen. Instinktiv zog Larissa ihren Oberkörper etwas weiter weg von ihm in eine Haltung, in der sie allmählich Rückenschmerzen bekam. Wie sehr sie jetzt Max vermisste. Wie gerne wäre sie jetzt mit ihm hier in diesem Kurs, wie gerne würde sie sich an seinen Körper schmiegen, sich gemeinsam weich im Takt der Musik wiegen. Doch Max war weit weg. Er hatte bereits heute abend zu seinem Kunden anreisen müssen, bei dem er die Woche über sein würde. Er hatte sie auf die Stirn geküsst und ihr versprochen, dass das Projekt bald vorbei wäre. Er hatte sie in den Arm genommen und ihr über die Haare gestreichelt. Und nun fand sie sich in den Armen dieses Fremden wieder, der einfach nicht tanzen konnte, der nicht nach Max aussah und nicht nach ihm roch. Sehnsüchtig blickte sie auf die Uhr. Wenn dieser blöde Kurs doch endlich rum wäre. Was für eine Schnapsidee, sich ganz alleine dafür anzumelden. Das hatte sie nun davon. Noch nicht einmal Sandra hatte sich angemeldet. Die hatte sich für Tango entschieden, so wie auch viele anderer ihrer gemeinsamen Tanzbekanntschaften. Dabei war es doch Sandra gewesen, die sie überhaupt erst auf Zouk aufmerksam gemacht hatte! „Hast du überhaupt Spaß?“ riss ihr Tanzpartner sie aus ihren Gedanken. Besorgt sah er sie an. „Ich weiß, dass ich das mit dem Bewegen und so noch nicht so gut kann. Tut mir echt leid, wenn es dir keinen Spaß macht.“ Verdattert blickte ihm Larissa ins Gesicht. „Nein, nein.“ stammelte sie. „Es ist alles gut. Ich bin nur heute nicht so gut drauf.“ Schnell wandet sie ihren Blick wieder ab von ihm. Sie fühlte sich schlecht. Es war, als hätte er ihre Gedanken gelesen, und ihr daraufhin seine eigenen Schwächen und Unsicherheiten gezeigt. Sie fühlte sich ertappt und durchschaut. Sie lockerte ihre Schultern, richtete ihre Haltung auf und konzentrierte sich auf ihre Bewegungen. Sie würde diese Stunde in Würde zu Ende bringen, und mit ihrem Tanzpartner zusammenarbeiten.

      TSCHICK

      Raúl zog sie an sich, und stieß sie gleich wieder weg von sich. Und noch einmal wiederholte er diese Bewegung. Dann drückte er sanft mit der Seite seines Knies in die Innenseite ihre Oberschenkels. Unwillkürlich bewegte Larissa ihre Hüfte zur Seite und verharrte in dieser Position, bis er das gleiche in die andere Richtung wiederholte. Es war fast so, als wolle er testen, wie gut sie seiner Führung folgte. Schließlich umfasste er sie weich, wog sich sanft mit ihr hin und her und zog sie mit sich, so dass sie gemeinsam in langen Schritten die Tanzfläche durchmaßen. Endlich, dachte sich Larissa. In diesen weiten Bewegungen fühlte sie sich so viel wohler als in den kleinen isolierten Bewegungen auf der Stelle. Dort hatte sie immer das Gefühl, sich einfach nicht richtig bewegen zu können und alles andere als sinnlich und sexy zu sein. Wie viel einfacher waren da die langen Bewegungen mit klaren Figuren und Schritten, die man lernen kann. Das Lied lief zu seinem Höhepunkt auf. Raúl drehte sie mehrmals, bis die Umgebung um sie herum verschwamm und Larissa Mühe hatte, nicht ins Stolpern zu geraten. Um Gottes Willen, wie oft wollte dieser verrückte Tanzlehrer sie noch im Kreis drehen! Raùl zog ihre Hand nach unten, und sie fand sich passend zum Endakkord des Liedes in seinen Armen liegend wieder. Krampfhaft hielt sie sich an ihm fest, um nicht noch weiter nach unten auf den Boden zu fallen. Lachend zog Raùl sie wieder nach oben und drückte sie an sich. „Das war toll, richtig gut für den Anfang!“ Larissa lehnte ihr Kinn über seine Schulter, bis sich ihr Magen wieder etwas beruhigt hatte. Nach diesem Tanz war sie noch etwas