Corinna Bürger

Diese Sehnsucht nach Leichtheit


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„Ich will nicht, dass du gehst.“ Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Sie wusste doch selbst, dass das nicht ging. Warum sagte sie ausgerechnet jetzt so etwas? „Ach, Schatz, ich würde so gerne, aber du weißt doch, dass das nicht geht.“ Larissa verkroch sich in seinen Armen. Sie fühlte sich albern, wie ein dummes kleines Kind. „Mach dir eine schöne Woche, geh zu dem Tanzkurs, mach was mit Sandra. Und am Freitag abend sehen wir uns wieder, ja?“ Larissa nickte still. Ihr Blick war auf den Boden gewandt. Ihr fiel es schwer, ihn direkt anzusehen. Max gab ihr einen Kuss auf die Wange und trat aus der Haustür hinaus. Wie benommen hörte Larissa den Z3 anspringen. Aus dem Fenster winkte Max ihr noch einmal zu, dann brauste er davon. Larissa fühlte sich wie in Trance. Ihr Körper war auf einmal so schwer. Unfähig sich zu bewegen, blieb sie in der Tür stehen. Ein kalter Windhauch erfasste sie, und brachte sie wieder ein Stück in die Realität zurück. Schweren Herzens schloss sie die Haustür und ging wieder ins Wohnzimmer zu ihren Eltern. Betroffen sahen diese sie an. In der Luft lag ein unangenehmes Schweigen. Nur zu gut konnten sich ihre Eltern vorstellen, welche Szene sich gerade hinter der Tür ereignet hatte, und Larissa wusste das. Still setzte sie sich wieder auf das Sofa und nippte an ihrem Kaffee. „Weißt du, wir hatten früher auch eine Zeit lang eine Fernbeziehung.“ begann Ingrid sanft. Wieder spürte Larissa ihre Augen heiß werden und kämpfte mit aller Kraft dagegen an. „Ach, Mädchen.“ Ingrid kam zu Larissa, setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm. „Das wird schon. Alles wird gut. Jetzt ist es schwer, aber diese Zeit geht auch wieder vorbei.“ „Ja genau.“ stimmte Gerhard ein. „Er hat doch vorhin selbst gesagt, dass das Projekt bald vorbei ist.“ „Dieses Projekt.“ schniefte Larissa. Inzwischen konnte sie die Tränen doch nicht mehr vollständig zurückhalten. „Aber dann gibt es ja ein Nächstes.“ „Aber da wollte er doch dafür sorgen, dass er eines in der Nähe bekommt, oder?“ „Ja.“ murmelte Larissa nur und tupfte sich eine Träne aus dem Auge. Schweigend saßen sie da. Larissa fühlte die Wärme ihrer Kaffeetasse in ihrer Hand und studierte das Muster des Teppichs. „Darf ich heute nacht noch einmal bei euch schlafen?“ Überrascht sahen ihre Eltern auf, und sahen sich dann gegenseitig verwundert an. „Aber natürlich darfst du.“ fasste Ingrid sich schnell wieder. „Hast du denn morgen keine Uni?“ „Doch, aber ich muss morgen nicht so früh hin. Es reicht bestimmt auch, wenn ich nach dem Frühstück hier losfahre.“ „Wie du meinst. Du darfst gerne hier bleiben. Wir freuen uns.“

      Den restlichen Abend verbrachten sie mit belanglosem Geplänkel. Larissa hatte keine Lust, über die Sache mit Max zu reden. Auch ihre Eltern schienen das Thema instinktiv zu meiden. Sie konnte selbst nicht so recht begreifen, was sie so traurig stimmte. Max hatte ihr doch versprochen, dass er bald wieder mehr hier wäre und bisher hatte er alle seine Versprechen immer gehalten. Er liebte sie, und sie liebte ihn. Wie könnte es denn besser sein. Während Larissa ihren Gedanken nachhing, hatten ihre Eltern wieder das Gespräch von vorher aufgenommen und gaben sich sichtlich Mühe, nur über belanglose Themen zu reden. Sie wollten nicht aus Unachtsamkeit Larissa noch zusätzlich verletzen. Larissa kannte ihre Eltern in dieser Hinsicht nur zu gut und war in diesem Moment extrem dankbar um diese Eigenschaft von ihnen. Larissa lauschte, nickte hin und wieder und warf ein paar Kommentare ein, wenn ihr danach war. Ihre Mutter brachte ein paar Decken, und gemeinsam kuschelten sie sich auf die Couch, um den Tatort zu schauen.

      Als Larissa später ins Bett ging, fühlte sie sich seltsam leer und ruhig. Sie kuschelte sich unter die Decke und nahm einen leichten Duft von Max ein, der noch am Kopfkissen haftete. Sie wollte weinen, doch alles in ihr fühlte sich trocken und dörr an. Kurz danach fiel sie in einen traumlosen Schlaf. Zu Beginn jedenfalls. Später in der Nacht begann sie zu träumen. Ihr Körper drehte sich um die eigene Achse, und wie auf einer Spirale schraubte sie sich in den Himmel hinein. Ihr war schwindlig von dem Sog, der sie erfasste und immer weiter nach oben zog. So unheimlich ihr diese Kraft auch erschien, genoss sie doch die Sicherheit, mit der sie immer weiter nach oben getragen wurde. Schließlich breitete sie ihre Arme aus und der Strudel verlangsamte sich. Larissa begann klar zu sehen. Sie sah die blaue Luft um sich herum. Sie sah nach unten und sah die grünen Felder und Wiesen tief unter ihr. Sie sah nach vorne und sah die imposanten Silhouetten der Bergketten. Unter ihren Armen fühlte sie den Wind, der sie trug und auf den sie sich aufstützen konnte, wie auf einem dicken weichen Polster. Sie drehte ihren Körper leicht zur Seite und flog eine Kurve. Wie unglaublich das alles war. Noch viele weitere Kurven flog Larissa. Sie würde nie mehr aufhören zu fliegen.

      TSCHICK

      „An der Stelle ist es wichtig, dass ihr Kontakt miteinander haltet. Beide, Mann und Frau. Wenn einer keinen Kontakt hält, geht es nicht.“ Raúl sah jeden in der Runde eindringlich an. Larissa drückte Thomas' Hand etwas fester. War es das, was Raúl meinte? „Achtung, für die Frauen.“ warf Pamela mit ihrer hellen Stimme dazwischen. „Wenn ihr hier in die Drehung geht, dann legt ihr eure Hand auf eure Hüfte und fahrt damit an eurem Körper entlang bis zum Hals. Und wenn ihr dann nach hinten geht, führt ihr die Hand weiter über den Kopf und dann streckt ihr den Arm so leicht nach hinten aus, ja? Und streckt immer schön die Finger, damit es hübscher ausschaut. Ja, ist euch das klar?“ „Pffff.“ zischte Larissa zwischen den Zähnen aus. „Na, alles klar?“ fragte Thomas sie spöttisch. „Also, dieses Zouk ist echt nicht das einfachste. Wenn ich das mal vor der Anmeldung zu dem Kurs gewusst hätte.“ stöhnte Larissa. Thomas grinste. „Wenn es so einfach wäre, wäre es ja keine Herausforderung. So was wie Merengue kann ja jeder tanzen.“ „Ich tanze seit zwei Jahren Salsa. Ich dachte eigentlich, ich kann tanzen. Aber die hier sind schon extrem pingelig.“ Doch insgeheim wusste Larissa, dass Thomas recht hatte. Aus unerklärlichem Grund hatte sie ein gewisser Ehrgeiz gepackt, diesen Tanz zu beherrschen. Das konnte doch nicht so schwer sein, die Hand in dieser Bewegung zu führen, wie Pamela es vormachte. Wenn sie dabei nur nicht ihre Brust anfassen müsste. Als hätte Pamela ihre Gedanken erraten, rief Pamela in die Runde hinterher, „Mädels, traut euch ruhig, euch selbst anzufassen. Eure Hand geht an der Brust vorbei, nicht direkt darüber. Da ist nichts Sexuelles. Das ist euer eigener Körper. Traut euch doch, euren eigenen Körper anzufassen. Das macht ihr doch eh jeden Tag in der Dusche.“ Mit ernstem Gesicht stand Raúl daneben. „Genau. Zouk ist sinnlich, nicht sexuell. Verwechselt das nicht.“ Larissa hätte beinahe laut los gelacht über die Absurdität dieser Situation. Da stand also ein Pärchen und erklärte ihr allen Ernstes, sie solle nun bitte möglichst sexy vor allen Leuten ihre Brust anfassen und so tun, als wäre da überhaupt nichts Sexuelles dabei. Na klar... „Na dann wollen wir mal.“ Thomas nahm ihre Hand und führte sie in einen Seitschritt vor sich hin und her. Schließlich brachte er sie in die Drehung, und pflichtbewusst legte Larissa ihre Hand auf ihre Hüfte. Oh Gott, wie komisch das war, die Hand so an sich selbst nach oben zu schieben, während Thomas sie beobachtete. Nun noch um den Kopf herum und nach hinten ausstrecken. Geschafft. Noch einmal übten sie die Bewegung. Diesmal ließ Larissa Luft zwischen ihrer Hand und ihrem Körper. Na also, ging doch auch. Trotzdem fühlte sie sich unwohl. Wenn ihr doch nur etwas anderes einfallen würde, was sie mit ihrer Hand machen könnte. Vielleicht einfach an der Hüfte lassen? Sie probierte es bei der nächsten Drehung aus und rammte dabei Thomas ihren Ellenbogen in den Bauch. „Autsch. Die Hand kommt nach oben.“ rief Thomas leise. „Entschuldigung, war keine Absicht.“ „Ok, Leute, die Zeit ist aus heute.“ unterbrach Raúl ihre Übungen. „Wir zeigen euch nochmal, was wir heute alles gelernt haben, ok?“ Die Kursteilnehmer formierten sich zu einem Kreis und Raúl zog Pamela sanft zu sich in die Mitte. Sie schmiegten sich aneinander und gingen dann in den Grundschritt über. Von dort aus wechselten sie in den Seitschritt und zeigten die Bewegung, die sie diese Stunde gelernt hatten. Pamela führte die Handbewegungen genauso aus, wie sie es den Mädchen erklärt hatte. Bei ihr sah es so weich und selbstverständlich aus. Und sexy. Bei Pamela war einfach alles anders. Alles an ihr wirkte locker, sexy, toll. Es war eben Pamela. Bei Larissa würde es nie so wirken. Raúl und Pamela gingen in Figuren über, die sie noch nicht im Kurs unterrichtet hatten. Gemeinsam drehten sie sich um ihre eigene Achse. Pamela lehnte ihren Kopf zurück, so dass ihre Haare nach außen wegflogen. Sie fing an, ihren Kopf zusätzlich zur Drehung in einem ausladenden Kreis zu bewegen. Raúl schien ihre Bewegungen mit seinem Oberkörper zu spiegeln. Gemeinsam schwebten sie über die Tanzfläche, Kreise beschreibend mit ihren Schritten, ihren Oberkörpern und Pamela noch mit ihren langen glänzenden Haaren. Trotz dieser vielen Kreise kollidierten