Ingo M. Schaefer

Kein Zurück Ohne Dich


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ihn?“, fragte Elena und runzelte die glatte Stirn.

      „Sie fürchtet ein Desaster.“

      Emma erschrak.

       Fremantle Highway

      Ihr Gesicht ließ ihn nicht los. Das war keine Schauspielerei. Sie meinte wirklich, war fest überzeugt, ihn zu kennen. Dass er sich nicht erinnerte, tat er achselzuckend ab. Seine Kindheit kannte er nicht. Das akzeptierte er als junger Mensch. Er lebte im Jetzt. Geschichte interessierte ihn nicht, nur das Morgen, das Besser machen, und alles Bekannte als änderbar betrachten.

      Warum hielt sie so daran fest, ihn zu kennen? Warum war es ihr so wichtig?

      Er verschwieg seiner Mutter, seinem Vater und anderen seine fehlenden Erinnerungen. Es gab Babyfotos - mehr nicht. Er fand sich damit ab. Außerdem wollte er nicht weiterhin wie ein rohes Ei behandelt werden, weil er nicht wusste, warum er zur Bachner, der Psychotante, gehen musste. Je weiter er zurückblickte, umso dumpfer und schwammiger wurde es. Das mochte er nicht.

      Jetzt wollte er zurückblicken, wollte Emma als Teenager, wollte die Vergangenheit sehen, um sie zu verstehen.

      Er wollte jetzt der Junge sein, den sie kannte.

      Eine ihm unbekannte Mauer bekam einen feinen unsichtbaren Riss.

       Praxis Dr. Bachner, Fremantle

      Sie saßen in weichen Sesseln und die Psychologin hörte aufmerksam zu, wie Emma über ihren Urlaub mit Louis sprach.

      Als Emma nichts mehr einfiel, schrieb Bachner weiter, unterstrich Wörter.

      „Miss McIntyre.“

      „Nennen Sie mich bitte Emma! Ich komme mir komisch vor, wenn sich alle außer mir duzen.“

      „Dann also Emma, du bist eine Goldgrube.“

      „Das versteh ich nicht.“

      „Es ist so“, übernahm Elena. „Ich bin Louis Tante, die Schwester seines Vaters Steve. John ist Louis Onkel, der Bruder seiner Mutter Olana. Steve war Journalist, ließ sich in der ganzen Welt einsetzen. Olana ging überall mit, nahm ihrem Mann aber das Versprechen ab, dass die Familie jederzeit wieder nach Australien zurückkehren würde, wenn Olana es wollte. Sie war Polizistin und konnte jederzeit wieder anfangen.“

      „Louis wuchs in Europa, Asien, Südamerika und den USA auf“, fuhr John fort. „Ich sah Louis erstmals in Melbourne zu seiner Taufe. Danach verließen sie Australien. Natürlich blieb ich in Kontakt mit meiner Schwester. Aber was berichtet eine Mutter über ihren Sohn? Wie toll er aß, dass er schon laufen konnte, während andere saßen, welche Preise er als Segler und Schwimmer gewann. Solche Sachen. Als Mensch kannten wir Louis nicht. Nach Jahren als Weltenbummler wollte Olana wieder zurück. Sie bewarb sich in Perth und bekam die Stelle.“

      „Steve wollte eine Auszeit, um seinen ersten Roman zu schreiben“, erzählte Elena weiter. „Die Whites besaßen die Marie Celeste, unsere Familienjacht. Sie bot acht Personen Platz. Zwei, besser drei Segler konnten sie führen. Steve und Olana wollten sie von Brisbane nach Perth auf der südlichen Route überführen. Allerdings wollte Olana auch Louis prüfen. Es war ja nicht so, als ob Louis zum ersten Mal auf einem Boot stand. Aber ein vollwertiger Segler war er mit seinem Alter natürlich nicht. Als wir ihn in Brisbane trafen, stand uns ein unbekannter Junge gegenüber. Ich musste ihm das Schwimmen beibringen. Er kann es nicht.“

      „Ich fuhr mit ihm segeln. Er kannte keinen Knoten“, fügte John Taylor hinzu.

      „Emma“, bat Dr. Bachner. „Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dich zu befragen. Jetzt sind deine Gefühle wichtig. Sie haben meist eine stärkere Erinnerung als der Verstand. Je mehr ich erfahre, wie Louis früher war und worin die Gegensätze bestehen, umso besser können wir ihm helfen. Ich widersprach der Störungsdiagnose. Dann wären die Symptome anders und würden ihn in seinem Beruf hindern. Louis ist weder gestört noch gespalten. Auf dem Pazifik oder unmittelbar davor muss etwas mit ihm geschehen sein, dass er an sich erkannt hat. Der Unfall war der Auslöser, dass sein Gehirn dies zum Überleben brauchte und alles andere entweder wirklich vergessen ließ oder abkapselte. Dieses Neue macht ihn in seinem Beruf so erfolgreich. Du weiß ja, was er ist.“

      „Nein“, gab Emma zu. „Er wollte ein Spiel daraus machen, damit wir uns kennenlernen ohne den Beruf des anderen zu kennen. Keine Frage durfte Hinweise auf den Beruf geben.“

      „Das ist erstaunlich“, rief Elena.

      „In der Tat“, gab Bachner zu. „Du scheinst eine Verbindung zu ihm zu haben, die er unbewusst haben will. Er wollte für dich gut da stehen. Louis ist sonst völlig egal, was andere, vor allem Frauen, über ihn denken.“

      „Was macht er beruflich?“, fragte Emma.

      „Er gehört zu einer kleinen Gruppe junger Chirurgen, die in der Welt bereits höchstes Ansehen genießen. Er hat in Boston Wunder vollbracht. Das macht ihn zu einem der arrogantesten Menschen der Welt.“

      „Niemals!“, rief Emma empört.

      „Du bist weggelaufen, wahrscheinlich, weil er dich in die Enge getrieben hat. Er geht nur vorwärts. Automatisch sind seine Gegenüber in der Defensive.“

      „Aber man fühlt sich nicht unterlegen“, gab Emma zu. „Er ist offen und ehrlich. Arrogante Menschen, wie ich sie kenne, sind nicht ehrlich.“

      „Er achtet nicht auf andere“, sagte Bachner hart. „Weil er nur die Verbesserung einer Technik sieht, den Kampf gegen den Tod. Ihm geht es nicht um die Patienten, nicht um Menschen, sondern mit jeder OP der Beste zu sein. Welche Klinik hat schon einen so jungen Stationsarzt? Ich hatte heute im Krankenhaus zu tun. Das Thema Nummer eins wollt Ihr bestimmt wissen. Ihm ist Urlaub befohlen worden, weil er in den letzten zwei Jahren nie Urlaub machte. Niemandem fiel es auf, weil er nie einen Fehler machte. Frag John, wie die Polizisten heute über das Fremantle Hospital reden. Bei Notfällen fragen die Rettungsdienste tatsächlich dort an, ob Louis Bereitschaft hat. Rettungsdienste aus dem Umland fahren das Krankenhaus an. Fremantle hat einen enormen Prestigeschub erfahren.“

      Dr. Bachner legte den Block beiseite und setzte ihre Fingerkuppen aneinander.

      „Wir wissen nicht, wer Louis vorher war, welchen Charakter er hatte. Ich vermute, dass er mit dem Unglück seine Mitte verlor.“ Sie blickte Emma fest an. „Du warst bereits als Mädchen bestimmt wunderschön mit langen Haaren. Alle Jungen sind dir gefolgt.“

      Emma nickte leicht.

      „Was hat er dem Jungen getan? Genau.“

      „Nur geschubst.“ Emma sah zur Seite. Sie wollte Louis beschützen. Wie die Frau über Louis redete, gefiel ihr nicht. Das war nicht Louis. In seinen Augen lag keine Arroganz - aber auch kein Erkennen. Bachners Worte stachen tief.

      Die Psychologin spürte Emmas Widerwillen.

      „Schließe deine Augen, geh zu ihm zurück.“

      Emma schloss die Augen. Sie sah den Strand und den dicken Jungen, der nach ihrer Brust grabschte. Louis trat ihn gegen das Schienbein und schubste ihn zu Boden. Der Dicke wedelte hilflos mit den Armen.

      „Er war also viel größer als Louis“, stellte Bachner fest.

      Emma nickte, sprachlos, dass sie sich so lebhaft erinnern konnte.

      „Er hat dich beschützt, und das ist kein Charakterzug des neuen Louis.“

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