Uwe Siegfried Drogoin

Ich bin ein Berliner


Скачать книгу

so ernst wie ich es sage“. Vater Lars, der den Tumult bemerkt hatte, wollte sogleich schlichten. Er bat die Kapelle einen Tusch zu spielen, doch niemand folgte diesem Zeichen. Olaf erhob sich und sprach mit lauter Stimme ein Machtwort: „Hier wird niemand weggeschickt und es gibt auch überhaupt gar keinen Grund beleidigt zu sein. Dieser junge Mann ist ein Genie. Er hat mit Karin nur ein paar Worte gewechselt, nur Minuten mit ihr verbracht. Diese Zeichnung sagt viel mehr aus, als man in ein oder zwei Sätzen sagen kann, ich bin begeistert. Junger Mann, ich weiß nicht welche Pläne sie haben, aber sie gehören nach Stockholm in die Königliche Kunstakademie. Sie gehören sicher einmal zu den ganz Großen“. So viel Anerkennung hatte sich Harald bei einer so hingeworfenen Arbeit nicht träumen lassen. Doch dass er den Stolz Karins verletzt hatte, tat ihm nun leid. „Augenblick mal, das geht auch anders“. Mit diesen Worten nahm er ein neues Blatt Papier um einen treuherzigen Engel mit dem Gesicht Karins zu zeichnen. Die gesamte Gesellschaft sah zu, wie das Bild wuchs. In wenigen Minuten hatte er das Gesicht mit sanften und gütigen Zügen gezeichnet. Als er das Ergebnis herum zeigte, klatschten alle Anwesenden Beifall. Selbst Karin gefiel sich wieder. „ War das die Rache für meine Ungeduld beim Tanz“? Wollte sie wissen, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und ging, ohne die Antwort abzuwarten, aus dem Raum. Der Schock saß tief, den ihr dieser junge Mann zugefügt hatte, doch sie fühlte sich trotz dieser Schmach zu ihm hingezogen. Was war da schon dieser Alfred dagegen. Obwohl er gut tanzen konnte, war er in ihren Gesprächen unsicher und blass geblieben. „Ihm fehlt einfach noch das richtige Profil oder er ist ein trockener Techniker“, so dachte sie bei sich. Mutter Annegret zeigte einige Bilder herum die Harald an den Feierabenden in den Sommermonaten gemalt hatte, insbesondere das Bild mit dem aufgeblasenen Truthahn, dem man seinen Balzgesang förmlich ansah. Olaf war begeistert. „Sie müssen uns unbedingt in Stockholm besuchen“, lud er Harald ein und ihr junger Freund, wie heißt er noch gleich, Alfred, ist auch mit eingeladen. Für die mitgebrachten Kinder der Gäste war es inzwischen Zeit zu Bett zu gehen. Als verabredetes Zeichen spielte die Kapelle ein Gute- Nacht Lied, dann marschierten die Jüngsten in ihre Quartiere. Die Mütter verschwanden damit für einige Zeit, somit trat vorübergehend eine relative Ruhe ein. Für Mutter Annegret war es die Gelegenheit, in der Küche die vorbereiteten Desserts und Süßspeisen zu komplettieren. Als sich dann alle Erwachsenen wieder im Esszimmer eingefunden hatten, wurde das Naschwerk hereingebracht. Es duftete köstlich nach Vanille und Zimt, nach Südfrüchten. Weintrauben, Äpfel und süße Birnen lagen auf der Tafel. Alfred und Harald fühlten sich in ihre Kindheit versetzt, wenn in Berlin, in den Wochen vor Weihnachten, die ersten Pfefferkuchen, Kekse und Leckereien in den Geschäften auslagen und auf dem Alexanderplatz der große Christbaum aufgestellt wurde, den man für gewöhnlich aus dem Bayrischen Wald oder aus Thüringen angeliefert hatte. Harald setzte sich absichtlich neben Karin und fragte sie schüchtern, ob sie ihm immer noch böse wäre. Karin gab sich zwar untröstlich, doch die allgemeine Anerkennung, die dieser hergelaufene Deutsche heute Abend erfahren hatte, war ihr unheimlich. „Wo haben sie so gut malen gelernt“, wollte sie wissen. Er berichtete, dass sein Vater in Berlin einen kleinen Laden für Künstlerbedarf hatte und selbst auch nicht ganz unbegabt war. Bei diesen Worten erfasste Harald eine tiefe Trauer, weil er wieder an das Schicksal seines Vaters erinnert wurde. „Was haben Sie“ wollte Karin wissen, doch er scheute sich, dieser fremden Frau die Schicksalsschläge seiner Familie offen zu legen. Er erzählte ihr stattdessen von seinem Heimweh und von den ungewohnt strengen und langen Wintern hier im Norden Europas. Harald war ein guter Erzähler, der seine Berichte sorgfältig aufzog, so dass der Zuhörer immer in Spannung gehalten wurde. So hatte er Karin fasziniert, mit seiner Ausstrahlung und seinem Talent, die Dinge immer im positiven Licht zu sehen, „Dieser Harald ist doch ein Kerl, den man bei der größten Boshaftigkeit nicht lange böse sein konnte“, dachte Karin bei sich. Doch eins wollte sie unbedingt von ihm wissen: “Bin ich denn wirklich solch ein Scheusal, wie sie auf dem ersten Bild gezeichnet haben“? „Nein“, wollte sich Harald zuerst herausreden, „aber ich hatte schon den Eindruck, dass sie sehr von sich überzeugt sind und sicher sind sie eine sehr selbstbewusste junge Frau“. „Betrachten sie das als Fehler“? bohrte sie weiter, „ihr Männer wollt doch alle nur eine Frau, die euch willig und ohne Widerspruch jeden Wunsch von den Augen abliest, um ihn im nächsten Augenblick zu erfüllen. Am liebsten ein immer bereites Betthäschen“. Alfred hatte zwischenzeitlich mit den Söhnen des Hauses, Thoralf und Söhren gesprochen: „Wollen wir uns nicht vor Weihnachten in Uppsala treffen“. Beide Söhne waren immer nur kurz in der Universitätsstadt, denn wenn Vater Lars dort zu tun hatte, waren sie schon mal mitgefahren, hatten aber bislang nichts richtig Aufregendes an dieser Stadt gefunden. Nun, da sie langsam flügge wurden, hatten sie durch Alfred und Harald erfahren, dass es hier eine Unmenge hübscher Mädchen gab, die sich hier als Studenten aufhielten und in den Bars und Tanzlokalen förmlich darauf warteten kennen gelernt zu werden. Durch die konzentrierte Ballung junger Leute war an jedem Wochenende etwas los. Das Angebot reichte von Tanzabenden über Theaterbesuche, Konzertveranstaltungen, Vorträge bis zur unkomplizierten Möglichkeit einfach mit jemandem zu reden. Damit war der Plan zum Besuch abgesteckt. Pünktlich um Mitternacht ging die Geburtstagsgesellschaft geschlossen ins Freie, um sich den herrlichen Sternenhimmel und das Feuerwerk zu Ehren von Vater Lars anzusehen. Karin schmiegte sich eng an Haralds Brust, denn die Nacht war klar und bitterkalt. Sie fühlte sich geborgen in der Nähe dieses klugen und begabten Mannes. Während die Böllerschüsse die Gegend erhellten, fragte sie ihren Beschützer: „Wollen wir immer beim „Sie“ bleiben oder hätten sie etwas dagegen, wenn wir „Du“ sagen“? Harald umfasste sie zärtlich, „haben wir uns nicht schon lange nach diesem Augenblick gesehnt“ dachte er bei sich, doch er sprach es nicht aus, weil er sich der Folgen nicht so sicher war. Nachdem alle Raketen verschossen waren, das bengalische Feuer erloschen, knallte Mutter Annegret noch einmal, nun mit Sektkorken und jeder bekam ein gefülltes Glas in die Hand. Alle stießen zum Ausklang dieses schönen Festes an. Das Feuerwerk hatte an einer Stelle den Schnee schmelzen lassen und ein Stück Wiese freigelegt. Der geschmolzene Schnee war augenblicklich zu einer kleinen Eisscholle gefroren. Die nun müde gewordenen Gäste verabschiedeten sich bei den Gastgebern und gingen zu Bett. Alfred und Harald teilten sich mit Thoralf und Söhren das Kinderzimmer und hatten sich noch bis spät in der Nacht vieles zu erzählen. Dieser Abend sollte für alle Beteiligten lange im Gedächtnis bleiben. Söhren hatte vorgeschlagen, am nächsten Tag auf die Eisbahn zu gehen und so wurde beschlossen etwas früher aufzustehen um die herrliche Morgenluft zu genießen. Mutter Annegret fand den Vorschlag gut, zumal sie, zusammen mit dem Personal, den Haushalt wieder herrichten musste, damit bei den Lindgreens wieder die Normalität einkehren konnte.Vater Lars bekam die angenehme Aufgabe alle Geschenke zu sichten, damit der große Geburtstagstisch für den allgemeinen Gebrauch frei gemacht werden konnte. Die angereisten Verwandten verabschiedeten sich einer nach dem anderen und zum Mittag hatten alle Möbel wieder ihren angestammten Platz und im Haus kehrte wieder Ruhe ein. Karin hatte sich ausgebeten etwas länger zu bleiben, damit sie noch etwas mit Harald zusammen sein konnte. So rannte sie hinter den bereits aufgebrochenen jungen Männern hinterher, bis sie keuchend und schnaufend die Eisbahn erreichte. Die vier jungen Männer hatten sich inzwischen Schlittschuhe angeschnallt und waren in der Menge der Anwesenden verschwunden. Die Suche gestaltete sich schwierig, da jetzt im Winter alle Leute dunkle Kleidung trugen. Sie wurde ja nicht erwartet. So irrte sie durch die Reihen, in der Hoffnung, wenigstens einen der vier zu erkennen. Doch wie vom Blitz getroffen blieb sie stehen. Was sie sah, konnte sie nicht glauben. Harald stand neben Alfred und war gerade im Begriff ein junges Mädchen zu begrüßen und sie drückten sich sogar Wange an Wange. „Das ist zu viel... „Dieser Weiberheld“ schnaufte sie. „Wer weiß, wie vielen Mädchen dieser Draufgänger mit der sanften Stimme noch den Kopf verdreht hat“, und rannte weinend zurück zu den Lindgreens“. „Was ist denn passiert?“ wollte Mutter Annegret wissen. „Dieser Schuft“ schrie es aus ihr heraus und dicke Tränen rannen über ihr Gesicht. Als Vater Lars das Schluchzen hörte, kam auch er herbei. „Habe ich etwas verpasst“ wollte er wissen. Da berichtete Karin den beiden, was vorgefallen war. „Und sie hatte sich heute bei Ihrer Toilette besonders viel Mühe gegeben diesem Unhold zu gefallen“, schluchzte sie. Lars und Annegret tauschten bedeutungsvolle Blicke, „Da hat wohl heute Nacht bei jemandem der Blitz eingeschlagen“ meinte Vater Lars mit einem spöttischen Lächeln. „Du bist gemein“ konterte Mutter Annegret, „das Stadium der Verliebtheit kann eine ganz schwere Krankheit sein, wenn man enttäuscht wird. Setz dich hin und warte ab, ich wette du hast die Situation