Anna Sydney

Verfluchte Freiheit


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mir für sie ein schönes, geregeltes Leben. Überlege dir diesen Schritt bitte genau! Du weißt, er hat wichtige Konsequenzen. Ich hoffe, es ist nur eine Laune von dir. Du weißt: Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“

      Nach dem Gespräch sagte Hazel kein Wort mehr darüber. Auch Victoria erzählten sie nichts von ihrer Unterredung.

      In der Nacht hörte Valentin sie leise weinen. Er spürte jeden Tag, wie sie sich entfremdeten, jetzt, da sein Ziel zwischen ihnen stand.

      Am nächsten Tag stand er mit Hazel in der Küche. Er nahm sie zärtlich in die Arme und drückte sie an sich.

      „Ich liebe dich. Gib mir Zeit. Lass uns die Sommerferien bei Oswald in Tirol verbringen.“

      „Oswald? Wer ist das?“, fragte sie verwundert.

      „Ich habe ihn auf einer Zugfahrt getroffen. Er lebt in einem alten Bauernhaus, das über hundert Jahre alt ist. Er lebt da mit seinem Vater, in einfachen Verhältnissen. Ich möchte es gerne einmal erleben und bitte dich, mit Victoria daran teilzuhaben. Sie leben sehr einfach, und ich will es einmal mit euch erfahren“, forderte Valentin.

      „Ich will dich nicht zwingen, hierzubleiben, Valentin. Aber ich mache mir natürlich Gedanken über unsere Zukunft. Na gut“, willigte Hazel ihm zuliebe ein. „Vielleicht kann dieser Urlaub uns ja wieder zusammenbringen. Wir hatten eine anstrengende Zeit, Valentin. Der Hausbau und all das. Vielleicht müssen wir mehr an unserer Beziehung arbeiten. Wenn es dann dieser Urlaub sein muss, dann eben Tirol.“ Lächelnd verdrehte sie die Augen. „Auch, wenn es sich nicht gerade nach Erholungsurlaub anhört.“ Ein zwanghaftes Lachen glitt über ihre Lippen.

      Valentin freute sich auf die Zeit mit seiner Familie, obwohl er nicht damit gerechnet hatte, dass Hazel sich auf diesen Urlaub einlassen würde. Seine Vorfreude stieg täglich und damit seine gute Gemütsverfassung.

      Hazel

      Die folgenden Wochen würden viel Kraft kosten, um Valentins Gefühle in eine andere Richtung zu lenken, wusste Hazel. Schon als Valentin mit Victoria die Koffer packte, war alles anders als sonst. Sie drehten die Musik voll auf, was normalerweise nicht Valentins Art war. Victoria und ihr Vater tanzten und alberten die ganze Zeit herum. Victoria durfte so viel Gepäck mitnehmen wie sie wollte. Dieses Mal gab es keine Diskussionen darüber, was man für zwei Wochen unbedingt brauchte, oder nicht oder welche Dinge überflüssig waren. Während der Fahrt nach Tirol war Valentin wie ausgewechselt. Er war fröhlich, fast übermütig.

      Als sie über den Brenner fuhren, sang er mit Victoria Kinderlieder in einer Lautstärke, die alles andere war als schön. Hazel hatte nicht einmal gewusst, dass Valentin so viele Kinderlieder kannte. Über eine Schnellstraße erreichten sie Meran. Das Klima war mediterran; das geöffnete Tal sorgte für ausgeglichene warme Luft. Die Palmen, Zypressen und Myrthen erinnerten an idyllische, zarte Aquarelle.

      Von Ultental aus wollten sie in einen kleinen Ort namens St. Walburg. Vergeblich sahen sie sich nach Hinweisschildern um, konnten aber keine entdecken. Sie fragten die wenigen Menschen vor den einzeln stehenden Häusern, die sehr weit voneinander entfernt waren.

      „Sehr ländlich“, stellte Hazel fest und ärgerte sich bereits ein wenig, dass sie sich auf so eine Art von Urlaub eingelassen hatte. Was würde sie erwarten?

      „Wir suchen Oswald Hofer“, fragte Valentin ein älteres Pärchen. Die sahen sie ungläubig an.

      „Oh, zum Oswald wollts ihr? Seid ihr euch da sicher?“

      „Ja, zum Oswald“, wiederholte Valentin.

      „Na, da müssts gradaus weiter, wenn ihr da zum Oswald wollt!“

      Sie sahen sich verwundert an. Hazel kam das komisch vor, doch Valentin lachte nur.

      Nach einigen weiteren Häusern fragte Valentin eine alte Dame: „Wir suchen den Oswald. Können Sie uns vielleicht den Weg dorthin erklären?“

      Die Dame kam ganz nah ans Auto heran und fragte unschlüssig nach: „Waaas, zum Oswald wollts ihr?“

      „Ja, zum Oswald Hofer“, wiederholte Valentin.

      „So so, zum Oswald, gewiss zum Oswald?“

      „Ja, gewiss“, sagte Valentin bestimmend.

      „Na, da müsst grad no a Stück weiter, wenns halt zum Oswald wolln.“

      „Da stimmt doch was nicht“, sagte Hazel zaghaft zu Valentin.

      „Den finden wir schon“, sagte er.

      Sie fuhren weiter. Man sah weniger Leute auf den Straßen, und es wurden immer weniger Häuser.

      „Also, mir wird es hier unheimlich. So sieht das Ende der Welt aus“, flüsterte Hazel Valentin zu, obwohl sie gar nicht flüstern musste. Sogar Victoria wurde leise und blickte gespannt aus dem Fenster. Normalerweise fragte sie fast jede Minute: Sind wir bald da? Oder: Wie lange dauert es denn noch? Am nächsten Haus sah man sie an, als kämen sie von einem anderen Stern. Valentin hielt und fragte abermals.

      „Zum Oswald wollen wir.“

      Wieder nur verwirrte Blicke.

      „Was, wirklich zum Oswald? Aha, ja, ja, da drüben geht’s zum Oswald, zwei Häuser noch, dann um die Ecke, wenn’s zum Oswald wolln. Sind sie vielleicht verwandt mit ihm?“ Die Frau sah die kleine Familie verblüfft an.

      „Nein, nein, nur Freunde“, gab Valentin verwundert zurück.

      „Soso“, sagte die Frau erstaunt.

      „Es hört sich nicht so an, als bekäme Oswald oft Besuch“, bemerkte Hazel.

      Sie bogen um die Ecke und waren da. Es war ein grauenhafter Anblick. Unzählige Fliegen zischten um das große Haus, das sich vor ihnen erhob. Die südwestliche Wand war wie mit Insekten tapeziert. Am liebsten wäre Hazel sofort umgedreht. Die Geräuschkulisse erinnerten sie an einen Horrorfilm. Doch Valentin parkte, rannte um das Haus und rief aufgeregt: “Oswald, Oswald!“ Dabei rannte er die Treppe hinauf. Die schwere Holztür stand offen und ein großer, kräftiger, gutaussehender, doch leicht verwilderter Mann kam zum Vorschein. Er begrüßte Valentin.

      „Hallo, mein Freund! Ich wusste, dass du irgendwann hier auftauchen würdest. Das ist deine Familie?“

      „Ja“, bestätigte Valentin stolz, „meine Frau Hazel und meine Tochter Victoria!“

      Hazel brachte ein gezwungenes Lächeln zustande. Er kam auf die Beiden zu und begrüßte sie mit einem Handschlag, der so fest war, dass Hazel ein wenig in die Knie ging. Kurz sah sie ihre Hand an, ob ihr Ehering nicht in ihren Ringfinger gedrückt worden war. Oswald lud sie ein, hineinzukommen.

      „Tretet´s ein, ihr kommt zur rechten Zeit, das Essen ist fertig! Kommt herein und setzt euch!“

      Sie folgten ihm in den ersten Raum, wo sich die Küche befand. Hazel sah sich um. Die Küche war großräumig und enthielt auf den ersten Blick alles, was man benötigte. Sofort fiel ihr auf, wie erstaunlich sauber es hier war für einen Zwei-Männer-Haushalt. Alle setzten sich um den großen, massiven Holztisch. Oswald begann ehrfürchtig ein Tischgebet zu sprechen. Dann forderte er alle auf, kräftig zuzulangen.

      Auf dem Tisch standen Kartoffeln mit Wildgulasch und Gemüse. Es schmeckte würzig und gut. Beim Essen unterhielt man sich über das Wetter und die lange Autofahrt von Deutschland nach Südtirol. Danach wollte Hazel Oswald beim Abwasch helfen.

      „Nein, ich schaffe das schon. Geht hinauf, sucht euch ein Zimmer und räumt eure Koffer aus. Wie es oben ausschaut, weiß ich nicht, war schon ewige Zeiten nicht mehr oben. Mein Vater ist alt und krank, er kann die Treppe nicht mehr gehen, dann haben wir uns unten eingerichtet, dass ich in seiner Nähe bin, falls er Hilfe braucht. Platz gibt’s genug im Haus, sucht euch das schönste Zimmer aus!“

      Mühselig schleppten sie ihre Koffer über die schmale, steile Holztreppe in die Zimmer.

      „Wir könnten uns ein Hotel nehmen und Oswald jeden Tag