Anna Sydney

Verfluchte Freiheit


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      Der Entschluss

      Müde von dem Tag machte Valentin sich auf den Weg nach Hause. Während der Fahrt schwirrten ihm Gedanken und Bilder durch den Kopf über die aufregende Zeit, die er mit Hazel verbracht hatte: die überraschende Schwangerschaft, die überstürzte Hochzeit. Valentin fand Hazel hübsch, klar, zu dieser Zeit fand er alle Mädchen hübsch, die bereit waren, mit ihm ins Bett zu gehen. Aber bei Hazel war es von Anfang an etwas Besonderes. Zum ersten Mal war er verliebt, ja, richtig verliebt. Bei ihr hatte es ihn erwischt. Und aus der Verliebtheit wuchs eine intensive, tiefe Leidenschaft. Das Kribbeln war noch immer da. Ein Blick von ihr genügte, um in ihm ein Gefühl von Freude und Sehnsucht zu wecken. Wenn er mit ihr einen Raum betrat, zog sie alle Blicke auf sich. Es war dieses bezaubernde Lächeln, das er immer vor sich hatte, wenn er an sie dachte. Dieses Lächeln, das ihn in seinen Träumen verzauberte, gepaart mit ihren großen, aufmerksamen Augen. Er war wie magnetisiert von ihr, als wäre ein unsichtbares Band um Hazel und ihn gewickelt, das sich nie wieder trennen ließ. Sie war eine willensstarke Frau, eine gute, liebevolle Mutter. Ihre Führungsqualitäten machten sich bemerkbar, als sie ihr Haus bauen ließen. Valentin hatte es zusammen mit dem Architekten entworfen.

      Architektur hatte ihn schon immer begeistert. Dabei konnte er sich verwirklichen. Valentin entwarf ein modernes Anwesen mit durchdachtem Wohnkomfort und zukunftsfähigen Details wie aktive Energiesparmaßnahmen, inmitten einer grünen Umgebung. Victoria war gerade erst ein Jahr alt; dennoch beaufsichtigte Hazel die Baustelle, kümmerte sich um alles. Ein Jahr lang war sie täglich auf der Baustelle. Hazel war eine starke Persönlichkeit. Sie hielt Valentin den Rücken frei, damit er sich um seine Arbeit kümmern konnte. Der Bauplatz lag weit oben am Waldfriedhof, eine alte Obstwiese. Sie ließen viele der Bäume stehen und bekamen einen wunderschönen Garten mit vielen Nutzbäumen. Niemand konnte in das Anwesen hineinsehen, denn es lag in einem weitläufigen Wald. Valentin erinnerte sich an den Tag, als eines Morgens (sie wohnten erst ein paar Wochen in dem neuen Haus und es war milder Herbst) zwei Katzen furchtbar schrien. Sie schrien wie weinende Babys. Hazel konnte es nicht anhören. Kurzentschlossen sprang sie aus dem Bett und rannte nackt in den Garten, um nach den Katzen zu sehen. Valentin sah auf die Uhr und fragte sich, wo Hazel blieb. Nach einer Weile stand auch er auf und ging hinunter. Was er im Garten sah, war mehr als ein Traum, es war eine anmutige Schönheit, von zurückhaltender Eleganz: Hazel spazierte nackt im Regen herum, und zarte Tropfen plätscherten auf ihrer Haut.

      Er rief ihr schmunzelnd zu: „Hazel, warum kommst du nicht wieder ins Bett? Es ist erst fünf Uhr in der Früh!“

      „Hey, komm her, es ist ein so warmer Regen! Es ist wunderbar, hier zu sein!“

      Valentin ging auch nackt in den Garten und sie sprangen im warmen Regen umher wie zwei Kinder. Behutsam küssten sie sich unter den mild rieselnden Tropfen, die auf ihre Körper prasselten. Im Morgengrauen liebten sie sich auf der Liege und sahen dabei dem Sonnenaufgang zu. Die Vögel saßen im Baum und sangen so schön, als wollten sie ihnen dazu die passende Melodie liefern. Danach gingen sie unter die Dusche und machten da weiter, wo sie kurz zuvor aufgehört hatten: Sie liebten sich noch einmal.

      „So sollten wir jeden Morgen beginnen“, begrüßte Hazel den Tag.

      Es waren schöne Momente, emotionale Bilder, die ihm durch den Kopf schwirrten, und ehe er sich versah, war er Zuhause angekommen. Victoria war schon fertig fürs Bett.

      „Gute Nacht, Dad, gute Nacht, Mum!“, sagte sie aufgedreht und ging in ihr Zimmer. Hazel gab ihr einen Kuss.

      „Geh deine Zähne putzen! Ich komme dann gleich und lese dir eine Gutenachtgeschichte vor.“

      Valentin setzte einen Cappuccino für sich und Hazel auf und ließ sich im Wohnzimmer nieder. Heute würde er mit ihr sprechen, über die Dinge, die ihm seit Wochen durch den Kopf kreisten. Er war in melancholischer Stimmung.

      Hazel nahm den Cappuccino und ließ sich erschöpft neben ihm aufs Sofa fallen. „Heute war ein anstrengender Tag! Ich habe so viel erledigt, und Victoria hatte drei Freundinnen hier. Als die Mütter ihre Mädchen abholten, haben wir eine Flasche Champagner aufgemacht und auf unsere Freundschaft angestoßen. Und wie war dein Tag, Liebling?“

      „Wie immer“, antwortete er flüchtig.

      „Vielen Dank für den Cappuccino! Ich gehe noch zu Victoria und lese ihr eine Geschichte vor. Dann geh ich duschen und ins Bett.“

      Sie gab ihm einen andeutungsweisen Kuss auf die Stirn.

      „Gute Nacht“, erwiderte Valentin, gab ihr einen Kuss und streichelte ihr über das Gesicht. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass heute wieder nicht der richtige Zeitpunkt war, um mit Hazel über seine heimlichen Pläne zu sprechen. Sein Wunsch, ihr seine Gefühle begreiflich zu machen, begleitete ihn unaufhörlich.

      Er ging ins heimische Büro. Ein paar Einladungskarten vom Geburtstag lagen auf dem Schreibtisch. Die Post lag ungeöffnet daneben. Scheinbar hatte Hazel noch keine Zeit gefunden, sie zu öffnen. Er kümmerte sich darum: Versicherungspolicen, Werbepost, Kataloge. Und eine Karte von Hazels Freundin Karla. Darauf waren die schönen Strände, aber auch die prallen Hinterteile der Frauen von Rio de Janeiro zu sehen.

      Valentin fuhr den Laptop hoch, surfte noch eine Zeitlang im Internet und studierte die Lokalnachrichten. Dann sah er auf die Uhr. Es war spät geworden. Er fuhr den Laptop herunter, duschte sich kalt ab und ging ins Bett. In dieser Nacht konnte er nur schwer einschlafen. Zu viele Gedanken wirbelten ihm im Kopf herum. Hazel schlief tief und fest, ruhig lag sie zur Seite gedreht, er hörte ihren gleichmäßigen Atem.

      Als er kurz nach sieben Uhr im Büro erschien, quoll die Ablage ZU ERLEDIGEN fast über. Das Telefon klingelte unaufhörlich, und Valentin hatte die Vermutung, dass der Feierabend sich wieder einmal hinausziehen würde. Obwohl er keine Termine mit Mandanten vereinbart hatte, kam er nicht dazu, ein paar dringende Arbeiten zu erledigen. Am Morgen war er kurz bei Gericht gewesen, und der Nachmittag verlief mit vielen Telefonaten, E-Mails schreiben und Terminvereinbarungen. Die Arbeiten, die er sich für diesen Tag vorgenommen hatte, blieben in der Ablage. Das drückte auf seine Stimmung. Er war schon spät dran, und das Telefon klingelte unaufhörlich. Obendrein wartete er auf die Unterlagen von Herrn Gehrig, die er noch durchsehen wollte, bevor er ging. Er schrie seine Sekretärin an, als diese mit rotem Kopf endlich mit den erwünschten Papieren hereinkam.

      „Sie arbeiten zu langsam, Frau Müller! Heute ist Donnerstag, und da gehe ich um siebzehn Uhr, der einzige Tag in der Woche, an dem ich pünktlich das Haus verlassen will!“

      Frau Müller entgegnete: „Herr Engel, ich arbeite nicht langsam, sondern sorgfältig. Ich habe Sie vor dreißig Minuten an ihren Saunabesuch erinnert. Erst da baten sie mich, den Ordner für Herrn Gehrig durchzuarbeiten. Hier, bitte sehr.“ Gekränkt legte sie die Akten auf seinen Schreibtisch.

      „Danke“, erwiderte er brüsk. Er sah sich die letzten Seiten durch. Es war ein verzwickter Fall, er würde später darüber nachdenken. Die Zeit war knapp.

      Eilig verließ er das Büro. Es war schon viertel nach fünf, die Straßen überfüllt von Autos und Bussen. Stau wie immer. Während er mit dem Auto zur Sauna fuhr, ging ihm der Fall Gehrig durch den Kopf. Die tiefstehende Sonne warf lange Schatten über die Häuser und Bäume. Als ein Auto aus einer Parklücke fuhr und er sofort hineinfahren konnte, spürte er einen winzigen Glücksmoment.

      Die vier Freunde hatten schon den zweiten Saunagang hinter sich, als Valentin sich ihnen anschloss. Freddy begrüßte ihn: „Valentin konnte sich wieder dem Bürotisch nicht entreißen!“

      Freddy war der einzige unter den fünf Studienkollegen, der sein Studium abgebrochen hatte. Er arbeitete in einer Firma, die Elektroartikel verkaufte. Er war zuständig für Computerhardware und betreute Firmen. Er war ein umgänglicher Typ und hatte Erfolg. Die Unternehmen konnten sich auf ihn verlassen, denn er baute schnell geschäftliche und freundschaftliche Beziehungen auf.

      Victor war angestellt in einer Wirtschaftskanzlei, welche die Auszeichnung trug, eine der besten Insolvenzverwalter in Deutschland zu sein. Es zeichnete sich bereits ab, dass er ein erfolgreicher Anwalt werden würde. Er war bereits im